Bock, S. L., Y. Loera, J. M. Johnson, C. R. Smaga, D. L. Haskins, T. D. Tuberville, R. Singh, T. R. Rainwater, P. M. Wilkinson & B. B. Parrott (2023): Differential early-life survival underlies the adaptive significance of temperature-dependent sex determination in a long-lived reptile. – Functional Ecology 37(11): 2895-2909.
Der differentiellen Frühe-Lebensphasenüberlebensfähigkeit liegt eine adaptive Bedeutung der temperaturabhängigen Geschlechtsausprägung bei einem langlebigen Reptil zugrunde.
DOI: 10.1111/1365-2435.14420 ➚

Podocnemis vogli,
© Vivian P. Paez
Viele Wechselwarme sind von Temperatursignalen abhängig, die sie während ihrer Entwicklung erfahren und die ihr Geschlecht festlegen. Die ersten Beschreibungen für eine temperaturabhängige Geschlechtsausprägung (TSD) wurden vor über 50 Jahren getätigt, aber bislang blieb die adaptive Bedeutung unverstanden, was insbesondere für langlebige Taxa zutrifft. Eine der neueren Hypothesen sagt vorher, dass TSD von der Evolution dort bevorzugt wird, wo zwei Kriterien erfüllt werden – (a) Die Inkubationstemperatur beeinflusst die jährliche Überlebensrate der Jungtiere und (b) die hervorgebrachten Geschlechter erreichen die Geschlechtsreife zu unterschiedlichen Zeiten (Alter). Unter diesen Bedingungen würde sich ein geschlechtsabhängiger Effekt der Inkubationstemperatur auf die Fitness der Nachkommen durch die Altersunterschiede beim Erreichen der Geschlechtsreife ergeben, wobei das Geschlecht, welches am längsten bis zur Geschlechtsreife benötigt, überproportional von Temperaturen, die die Frühe-Lebensphasenüberlebensfähigkeit fördern profitieren. Der amerikanische Alligator (Alligator mississippiensis) liefert hier ein erkenntnisreiches Modell, um diese Hypothese zu testen, da die Männchen nahezu ein Jahrzehnt später als die Weibchen mit der Reproduktion beginnen. Hier testen wir durch eine Kombination aus künstlichen Inkubationsexperimenten und Markierungswiederfang-Ansätzen spezifische Vorhersagen zur „Überleben – bis-zur Geschlechtsreife – Hypothese“ in Bezug auf den adaptiven Wert von TSD, indem wir die Auswirkungen von Inkubationstemperatur und Geschlecht auf die jährliche Überlebensrate der Alligatorschlüpflinge über zwei geographisch distinkte Lokalitäten hinweg getrennt analysierten. Schlüpflinge, die bei einer männcheninduzierenden Temperaturen (MPTs) inkubierten, zeigten eine höhere Überlebensrate als jene, die bei einer das weibliche Geschlecht fördernden Temperaturen inkubiert worden waren. Dieses Muster ergab sich unabhängig vom Geschlecht der Schlüpflinge, da Weibchen, die durch Hormonmanipulation bei Vorliegen von MPT produziert worden waren, die gleiche Überlebensrate wie ihre männlichen Geschwister aufwiesen. Zusätzliche Experimente zeigten, dass die Inkubationstemperatur das Überleben in der frühen Lebensphase dadurch fördert, indem es die Effizienz, mit der die mütterlichen Energiereserven (Dotter) während der Entwicklung genutzt werden, beeinflusst. Die Ergebnisse aus dieser Studie liefern die erste explizit empirische Stützung für einen adaptiven Wert von TSD für ein Krokodil und sie verweist darauf, dass die entwicklungsenergetischen Parameter einen potenziell vereinheitlichenden Mechanismus darstellen, der den anhaltenden Überlebenskonsequenzen, die durch die Inkubationstemperatur beeinflusst, werden zugrunde liegt. Lesen Sie dazu auch die in besser verständlicher sprachlicher Formulierung Zusammenfassung im begleitenden Blog zum Artikel.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Ob damit der adaptive Vorteil von TSD schon geklärt ist, bleibt fraglich, denn im Grunde genommen haben die Autoren nur klar experimentell gezeigt, dass die Weibchen, die durch Hormongaben sich bei einer Männchen-produzierenden Inkubationstemperatur entwickelten, die gleiche Überlebensrate zeigen wie ihre männlichen Geschwister. Wodurch soll sich dabei der Vorteil verdeutlichen? Nur dadurch, dass eine bestimmte Temperatur, die das Geschlecht fördert, welches am spätesten sich an der Reproduktion beteiligen kann, dessen Überlebensfähigkeit positiv beeinflusst? Ich finde, das ist zwar ein interessantes Experiment, aber dessen Interpretation wirft Fragen auf, da bei den Männchen ja mit Geschlechtsreife gar nicht die Reife der Gonaden gemeint ist, sondern vielmehr das Alter zudem ein Männchen alt, groß und kräftig genug ist ein eigenes Revier zu etablieren, indem es sich fortpflanzt. Drängt sich da nicht die Frage auf, warum viele Säuger wie z.B. Hirsche GSD anstatt TSD zeigen? Was mir eigentlich den Nutzen von TSD darlegen würde, wäre eigentlich eine molekularbiologische Studie, die die Verwandtschaftsverhältnisse bei TSD-Spezies, die einen relativ beschränkten Aktionsradius haben aufzeigen. Denn wenn TSD dazu beiträgt, dass die Nachkommen die zu einer frühen kühleren Jahreszeit inkubieren, ein bestimmtes Geschlecht überproportional hervorbringen als die Gelege, die sich z.B. im Hochsommer zu einer wärmeren Jahreszeit entwickeln, dann könnte dies dazu beitragen, dass im gleichen Lebensraum Geschwister die unterschiedliche Väter hatten entwickeln, die bei einer höheren Rate an Halbgeschwistern weniger unter einer Inzuchtdepression leiden würden als, wenn das Geschlechterverhältnis in jedem Gelege immer 1:1 wäre und die Chance das alle den gleichen Vater haben am höchsten wäre. Sicher könnte man sagen, dass umgehen viele Spezies durch die Realisierung von multiplen Vaterschaften innerhalb eines Geleges, aber über lange Zeiträume gesehen könnte das auch nicht immer vor Inzuchtdepression schützen, sodass jede Form von genetischer Diversitätssteigerung, auch wenn sie nur einen kleinen Teilbetrag leistet, sich als langfristiger Vorteil abzeichnen würde.
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Podocnemis vogli – Orinoko-Schienenschildkröte