Oliv-Bastardschildkröte, Lepidochelys olivacea, – © Sando L. Bonatto

Soares - 2018 - 02

Soares, L. S., K. A. Bjorndal, A. B. Bolten, M. A. G. dei Marcovaldi, P. B. Luz, R. Machado, R. Lo, S. F. McDaniel, A. C. Payton, T. B. Waltzek & M. L. Wayne (2018): Effects of hybridization on sea turtle fitness. – Conservation Genetics 19: 1311-1322.

Auswirkungen der Hybridisierung auf die Fitness von Meeresschildkröten.

DOI: 10.1007/s10592-018-1101-8 ➚

Echte Karettschildkröte, Eretmochelys imbricata, – © Enrico Marcovaldi
Echte Karettschildkröte,
Eretmochelys imbricata,
© Enrico Marcovaldi

Das Meeresschildkröten hybridisieren ist ein allgemein bekanntes Phänomen in Brasilien, da dort Hybriden von Unechten Karettschildkröten (Caretta caretta) und Echten Karettschildkröten (Eretmochelys imbricata) wie auch zwischen Unechten Karettschildkröten und Oliven Bastardschildkröten (Lepidochelys olivacea) vorkommen. In früheren Studien zeigten wir schon, dass die Reproduktionsleistung von Hybriden aus Unechter und Echter Karettschildkröte gleich der der reinerbigen Eltern ist was nahelegt, dass es keine negativen Auswirkungen aufgrund der Hybridisierung zumindest für dieses Lebensstadium gibt. Bei dieser Studie nutzten wir nun eine gepoolte Ampliconsequenzierung zur Identifizierung der Spezies bei den Muttertieren und deren Nachkommen um die Konsequenzen der Hybridisierung auf die Schlüpflingsüberlebensfähigkeit als ein Maß für deren Fitness zu überprüfen. Wir genotypisierten 4829 Schlüpflinge aus 78 Gelegen von Unechten Karettschildkröten, 13 Gelegen Echter Karettschildkröten, 7 Gelegen von Hybriden aus Unechter und Echter Karettschildkröte und 3 Gelegen von Hybriden aus Unechter Karettschildkröte und Oliver Bastardschildkröte. Der Anteil der lebensfähigen Hybriden (heterozygote) Schlüpflinge war gleichgroß wie der der homozygoten (reinerbigen) Schlüpflinge (basierend auf der Bestimmung zweier Genloki) und das Ergebnis war auch unabhängig vom Genotyp der jeweiligen Muttertiere. Auch multiple Vaterschaften wurden bei 35.7 % der Gelege gefunden. Beides, sowohl männliche Hybriden wie auch weibliche Hybriden waren fertil und produzierten lebensfähige Nachkommen und es gab keinerlei Anzeichen für Schwächen bei den Hybridschlüpflingen. Wir empfehlen eine genomweite Studie für die Hybriden und die Elternarten zur vollständigeren Charakterisierung der Hybriden sowie zusätzliche Studien zu den demographischen und ökologischen Parametern, um die Auswirkungen der Hybridisierung und deren Konsequenzen für diese Meeresschildkröten in deren Umwelt noch besser einordnen zu können.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Unechte Karettschildkröte,
Caretta caretta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Diese Arbeit liefert ein sehr schönes Beispiel dafür wie innerhalb eines barrierefreien Lebensraums Schildkröten sowohl als Arten wie auch als Hybriden auftreten und wie sich daraus durchaus wahrscheinlich auch neue Potentiale für die Artenbildung (Speziation) ergeben können. Ganz sicher ein natürliches vom Menschen unbeeinflusstes Muster einer Genflusssteigerung welche die Schildkröten anscheinend relativ nachteilsfrei realisieren können. Da diese verschiedenen Arten auch gewisse Unterschiede in der Umweltanpassung zeigen (siehe Proietti, et al., 2014, Abwanderung vom Niststrand als Beispiel) ergeben sich damit auch neue Möglichkeiten sich einer veränderten Umwelt genetisch anzupassen (Stichwort Klimawandel). Solche Anpassungen könnten dann auch noch vielleicht schneller stattfinden als die kognitiven (also erlernten) Anpassungen oder gar jene die durch epigenetische Faktoren koordiniert werden (Kommentar zu Georges et al., 2018, Pöschel et al., 2018). Vielleicht war es dieses was Bowen & Karl (2007) meinten, als sie in ihren Review schon andeuteten, dass Meeresschildkröten uns noch für die damalige Zeit unerwartete Erkenntnisse offenbaren würden. Die Evolution rezenter also noch lebender Lebewesen ist komplex und findet für viele langlebigere Kreaturen auf einer Zeitskala statt die uns mit unseren oft auf die eigene Lebenszeit begrenzten Blick nicht so leicht zugänglich ist (siehe Kommentar zu Scott et al., 2018 und Blount et al., 2018). Erstaunlich dabei ist aber wie seit Darwins Zeit Schildkröten uns immer wieder auf solche Phänomene aufmerksam machen, denn gerade die zur Jahreswende erschiene neue Arbeit von Quesada et al., (2018) zu Lonesome George und den Aldabrariesenschildkröten zeigt ja nicht nur welche Gene und Umweltbedingungen eine lange Lebenszeit fördern sondern auch, dass selbst langlebige Arten die auf Inseln leben trotz hoher Individuenzahl irgendwann einen Verwandtschaftsgrad untereinander erreichen der dazu führt, dass sich negative genetische Veränderungen (Mutationen) anhäufen und den schleichenden Populationszusammenbruch einleiten. Vielleicht wären solch negative Auswirkungen dann eben nur noch aufzuhalten, wenn es eben durch bestimmte katastrophenartige Ereignisse dazu kommt, dass art- oder besser gesagt unterartfremde Individuen angespült werden oder durch den Menschen dorthin verfrachtet werden (Poulakakis et al., 2015; Garrick et al., 2014; Loire et al., 2013) und wenn wie bei den Schildkröten anscheinend problemlos möglich „neues Blut“ Genmaterial in die Population einbringen. Sicher geht auch dabei nicht alles durcheinander, denn wie uns die etwas kurzlebigeren Darwinfinken zeigen tragen solche Hybriden auch zur Bildung neuer Arten bei. Anscheinend nach einem uns all zugut bekannten Sprichwort das da lautet „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ (Peters et al., 2018), zumindest solange die Umweltbedingungen oder die genetische Verarmung nicht wie oben erwähnt dagegensprechen.
Insofern kann ich nur immer wieder davor warnen Arterhaltungsprogramme und deren Ziele zu eng zu fassen, denn gerade bei Arten deren Individuenzahl schon jetzt kaum noch die von Caballero et al., (2017) errechneten Ne-Werte erreichen wird es, wenn wir Langzeitüberleben bzw. Erhaltung ernst meinen kaum möglich sein ohne Hybridisierung auszukommen. Zumindest wäre es eine nicht wiedergutzumachende Entscheidung, wenn man diese anscheinend natürlichen Mechanismen nicht mit einbeziehen und nutzen würde. Sicher mögen sich manche Fragen was uns das hier in Europa zu kümmern hat, aber wir und die Arten die uns hier in Europa doch eher und praxisnäher am Herzen liegen scheinen den gleichen biologischen Gesetzmäßigkeiten zu unterliegen und zu folgen (siehe dazu Pöschel et al., 2018).

Literatur

Blount, Z. D., R. E. Lenski & J. B. Losos (2018): Contingency and determinism in evolution: Replaying life’s tape. – Science 362 (eaam5979): 1-10.

Bowen, B. W. & S. A. Karl (2007): Population genetics and phylogeography of sea turtles. – Molecular Ecology 16(23): 4886-4907 oder Abstract-Archiv.

Caballero, A., I. Bravo & J. Wang (2017): Inbreeding load and purging: implications for the short-term survival and the conservation management of small Populations. – Heredity 118(2): 177-185 oder Abstract-Archiv.

Garrick, R. C., E. Benavides, M. A. Russello, C. Hyseni, D. L. Edwards, J. P. Gibbs, W. Tapia, C. Ciofi & A. Caccone (2014): Lineage fusion in Galápagos giant tortoises. – Molecular Ecology 23(21): 5276-5290 oder Abstract-Archiv.

Georges, A., B. Gruber, G. B. Pauly, D. White, M. Adams, M. J. Young, A. Kilian, X. Zhang, H. B. Shaffer & P. J. Unmack (2018): Genome-wide SNP markers breathe new life into phylogeography and species delimitation for the problematic short-necked turtles (Chelidae: Emydura) of eastern Australia. – Molecular Ecology 27(24): 5195-5213 oder Abstract-Archiv.

Loire, E., Y. Chiari, A. Bernard, V. Cahais, J. Romiguier, B. Nabholz, J. M. Lourenço & N. Galtier (2013): Population genomics of the endangered giant Galapagos tortoise. – Genome Biology 14(12): R136 oder Abstract-Archiv.

Peters, K. J., S. A. Myers, R. Y. Dudaniec, J. A. O'Connor & S. Kleindorfer (2018): Females drive asymmetrical introgression from rare to common species in Darwin's tree finches. – Journal of Evolutionary Biology 30 (11): 1940-1952.

Pöschel, J., B. Heltai, E. Graciá, M. F. Quintana, G. Velo-Antón, O. Arribas, A. Valdeón, M. Wink, U. Fritz & M. Vamberger (2018): Complex hybridization patterns in European pond turtles (Emys orbicularis) in the Pyrenean Region. – Scientific Reports 8(1): 15925 oder Abstract-Archiv.

Poulakakis N., D. L. Edwards, Y. Chiari, R. C. Garrick, M. A. Russello, E. Benavides, G. J. Watkins-Colwell, S. Glaberman, W. Tapia, J. P. Gibbs, L. J. Cayot & A. Caccone (2015): Description of a New Galapagos Giant Tortoise Species (Chelonoidis; Testudines: Testudinidae) from Cerro Fatal on Santa Cruz Island. – PLoS One 10(10): e0138779 oder Abstract-Archiv.

Proietti, M. C., J. Reisser, L. F. Marins, M. A. Marcovaldi, L. S. Soares, D. S. Monteiro, S. Wijeratne, C. Pattiaratchi & E. R. Secchi (2014): Hawksbill × loggerhead sea turtle hybrids at Bahia, Brazil: where do their offspring go? – PeerJ 2: e255 oder Abstract-Archiv.

Quesada, V., S. Freitas-Rodríguez, J. Miller, J. G. Pérez-Silva, Z. F. Jiang, W. Tapia, O. Santiago-Fernández, D. Campos-Iglesias, L. F. K. Kuderna, M. Quinzin, M. G. Álvarez, D. Carrero, L. B. Beheregaray, J. P. Gibbs, Y. Chiari, S. Glaberman, C. Ciofi, M. Araujo-Voces, P. Mayoral, J. R. Arango, I. Tamargo-Gómez, D. Roiz-Valle, M. Pascual-Torner, B. R. Evans, D. L. Edwards, R. C. Garrick, M. A. Russello, N. Poulakakis, S. J. Gaughran, D. O. Rueda, G. Bretones, T. Marquès-Bonet, K. P. White, A. Caccone & C. López-Otín (2018): Giant tortoise genomes provide insights into longevity and age-related disease. – Nature Ecology & Evolution 3(1): 87-95 oder Abstract-Archiv.

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