Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Juergen-Bidmon

Leivesley - 2021 - 01

Leivesley, J. A. & N. Rollinson (2021): Maternal provisioning and fluctuating thermal regimes enhance immune response in a reptile with temperature-dependent sex determination. – Journal of Experimental Biology 224(5): jeb237016.

Mütterliche Versorgung und fluktuierendes Temperaturregime steigern die Immunantwort bei einem Reptil mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung.

DOI: 10.1242/jeb.237016 ➚

Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Schnappschildkröte,
Chelydra serpentina,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Das Charnov-Bull Modell zur differentiellen Fitness wird oft dazu herangezogen um damit die Evolution und Aufrechterhaltung der Temperaturabhängigen Geschlechtsausprägung (TSD) zu erklären. Die meisten Tests für dieses Modell adressieren aber morphologische Parameter zur Einschätzung der Fitness, wie zum Beispiel bestimmte Größenmaße. Im Gegensatz dazu werden die frühen physiologischen Lebenseigenschaften die ja sehr eng mit der Gesamtlebenszeitfitness in Beziehung stehen unberücksichtigt gelassen, obwohl sie dazu dienen könnten einen Überbau zu bieten, der es erlauben würde das Charnov-Bull Modell für alle Taxa in gleicher Weise anwenden zu können. Ein solch physiologischer Überlebensparameter ist die frühe Immunabwehrreaktion (Immunabwehr von Schlüpflingen) die ja sehr stark mit dem Überleben und damit mit der Fitness der Nachkommen in Beziehung steht. Hier manipulierten wir die Temperatur, die Schwankungsbreite der Temperatur und das Geschlecht um das Charnov-Bull Modell anhand eines physiologischen Parameters zu testen, indem wir die Abwehrstärke des Immunsystems bei der Schnappschildkröte (Chelydra serpentina L. 1758) untersuchten. Wir fanden keine Beweise für geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf die antibakterielle Kapazitätsstärke im Blut der Schlüpflinge und ebenso gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Durchschnittstemperatur die Stärke der Bakterienabwehr beeinflusst. Allerdings zeigte sich, dass fluktuierende Inkubationstemperaturen (z. B. ein mehr den natürlichen Gegebenheiten entsprechendes Inkubationsregime) einhergeht mit einer deutlich stärkeren antibakteriellen Abwehrkapazität im Vergleich zu einer konstanten Inkubationstemperatur. Wir fanden zudem, dass die Eimasse (Eigewicht) die ein ungefähres Maß für die mütterliche Versorgung des Eies darstellt positiv mit der Stärke der antibakteriellen Abwehrkapazität assoziiert war. Unsere Befunde lassen vermuten, dass die Evolution der temperaturabhängigen Geschlechtsausprägung bei Reptilien in keiner Beziehung zu den hier von uns durchgeführten Messungen der frühen angeborenen Immunabwehr steht. Unsere Studie hebt aber deutlich hervor, wie konditionsabhängig Immunabwehr bei diesen frühen Lebensstadien ist und wirft die Frage auf welche biologische Relevanz konstante Inkubationstemperaturen in experimentellen Studien zur Entwicklung von ektothermen Lebewesen haben.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun mag man den vorletzten Satz des Abstracts verstehen wie man will, denn TSD hatte sicherlich einen Evolutionsvorteil sonst wäre TSD gerade bei Tieren mit einem so lange zurückreichenden Fossilrekord wie Schildkröten und Krokodilen nicht erhalten geblieben und zu diesen Überlebensstrategien gehört wohl auch ein gut funktionierendes Immunsystem. Allerdings mögen sich da diesbezüglich auch spezies-spezifische oder gar regionale Unterschiede als Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen zeigen. Letzteres kann auch hier für die Schnappschildkröten aus Kanada zutreffen, da sie ja einen Lebensraum am nördlichen Verbreitungsgebietsrand besiedeln indem eine andere Schildkrötenart mit vererbbarer Geschlechtsausdifferenzierung (Glyptemys insculpta) auch vorkommt. Ob sich bei solchen Umweltbedingungen dann schon alle Vorzüge von TSD feststellen lassen bleibt fraglich. Ebenso verweist diese durchaus sehr interessante Studie auf ein Problem welches bei der wissenschaftlichen Untersuchung und Interpretation von TSD seit Jahren von den diversesten Kontroversen begleitet wird (siehe dazu aktuell auch wieder Monsinjon et al., 2020 versus Carter et al., 2019). Eigentlich sollte man bei all diesen Studien einige Dinge nie unberücksigt lassen wie: 1. die spezies-spezifischen oder gar lokalitätsspezifischen und populationsspezifischen Unterschiede, 2. bei älteren Studien die unterschiedlichen Methoden der Temperaturmessung am Ei (Tezak et al., (2017) und letztendlich die meist bislang völlig unberücksichtigten physiologischen Entwicklungsvorgänge die mit schwankenden Temperaturen einhergehen. Ja und wenn sie so wollen sollte man auch nicht die individuellen – spezies-spezifischen, besonders zu betrachtenden Vorgänge bei Arten die eine synchrone Schlupfphänologie aufweisen dabei aus den Augen verlieren (McGlashan et al., 2017). Gerade bei dem Kommentar von Monsijon et al., (2020) fällt auf, dass zum Beispiel solche Parameter wie sie von Du & Shine, (2010) beschrieben wurden völlig ignoriert werden. Sicher mag man da anmerken, dass es dazu für Schildkröten keine gesicherten Untersuchungen gibt, aber das heißt ja nicht das es bei Schildkröten nicht vorkommt. Mein damaliger Diplomarbeitsbetreuer hatte diesbezgl. immer einen belehrenden Spruch parat, der da lautete: Wenn man bei experimentellen Untersuchungen bei Tieren Ergebnisse erzeugt die man im Freiland unter natürlichen Bedingungen nicht nachweisen kann oder die Daten so interpretiert, dass man unter natürlichen Freilandbedingungen keine mit der Interpretation übereinstimmenden Beobachtungen machen kann waren die Experimente falsch konzipiert oder falsch interpretiert. Ja, und da frage ich mich dann schon manchmal in Bezug zu den artifiziellen TSD Studien wie realistisch (oder besser den natürlichen Gegebenheiten entsprechend) die sind? Konstante Inkubationsbedingungen waren sicher hilfreich, um das Phänomen von TSD in gut wissenschaftlicher Vorgehensweise abzusichern und zu beschreiben, aber danach haben sie ihren wirklich ökologischen Wert dahingehend eingebüßt, da sie nur noch für Züchter wirklich von Interesse waren, die damit das Geschlecht ihrer Nachzuchten festlegen wollten. Für die reine Freilandökologie waren schon immer die natürlichen Inkubationsbedingungen der eigentliche Maßstab und auch da gibt es noch Lücken, denn die Bodenfeuchte im natürlichen Inkubationssubstrat wird auch heute noch bei den meisten Studien unberücksichtigt gelassen, obwohl auch Wasser sowohl als Temperaturspeicher wie auch durch Verdunstungskälte einen wesentlichen Einfluss auf das lokale Klima wie auch auf die Inkubationsbedingungen haben kann (z.B. Staines et al., 2020). Sicher beginnt man gerade bei den detaillierten neuen Studien im Hinblick auf den Klimawandel solche Aspekte zu berücksichtigen, aber auch da muss man sagen stehen wir erst am Anfang, denn wenn man die genetischen Daten zur Geschlechtsfestlegung berücksichtigte (Breitenbach et al, 2020), die ja eigentlich andeuten, dass selbst geringe Unterbrechungen der weibchenerzeugenden Warmphasen die Ausprägung des männlichen Geschlechts fördern muss man sich schon fragen wie die Natur solche Schwankungen abpuffert damit bei etlichen Arten immer noch Weibchen schlüpfen (siehe auch Bodensteiner et al., 2019, Carter et al., 2018). Zudem liefert obige Studie eine neue Möglichkeit die Fitness von Schlüpflingen zu testen, denn deren Immunität könnte mehr über deren Langzeitüberlebensfähigkeit aussagen als die meist durchgeführten Tests in Bezug auf die Umkehrreaktionsgeschwindigkeit aus Rückenlage.

Literatur

Bodensteiner, B. L., D. A. Warner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider & F. J. Janzen (2019): Geographic variation in thermal sensitivity of early life traits in a widespread reptile. – Ecology and Evolution 9(5): 2791-2802 oder Abstract-Archiv.

Breitenbach, A. T., A. W. Carter, R. T. Paitz & R. M. Bowden (2020): Using naturalistic incubation temperatures to demonstrate how variation in the timing and continuity of heat wave exposure influences phenotype. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 287(1932): 20200992 oder Abstract-Archiv.

Carter, A. W., B. M. Sadd, T. D. Tuberville, R. T. Paitz & R. M. Bowden (2018): Short heat waves during fluctuating incubation regimes produce females under temperature-dependent sex determination with implications for sex ratios in nature. – Scientific Reports 8(1): 3 oder Abstract-Archiv.

Du, W. G. & R. Shine (2010): Why do the eggs of lizards (Bassiana duperreyi: Scincidae) hatch sooner if incubated at fluctuating rather than constant temperatures?. – Biological Journal of the Linnean Society 101(3): 642-650 oder Abstract-Archiv.

McGlashan, J.K., M. B. Thompson, J. U. Van Dyke & R. J. Spencer (2017): Thyroid Hormones Reduce Incubation Period without Developmental or Metabolic Costs in Murray River Short-Necked Turtles (Emydura macquarii). – Physiological and Biochemical Zoology 90(1): 34-46 oder Abstract-Archiv.

Monsinjon, J., M. Girondot & J.-M. Guillon (2020): Kommentar zu: (Carter, A. W., R. T. Paitz & R. M. Bowden (2019): The Devil is in the Details: Identifying Aspects of Temperature Variation that Underlie Sex Determination in Species with TSD. – Integrative and Comparative Biology 59(4): 1081-1088). – Integrative and Comparative Biology 60(6): 1347-1350; DOI: 10.1093/icb/icaa139 ➚.

Staines, M. N., D. T. Booth, C. A. M. Hof & G. C. Hays (2020): Impact of heavy rainfall events and shading on the temperature of sea turtle nests. – Marine Biology 167(12): 190 oder Abstract-Archiv.

Tezak, B. M., I. Sifuentes-Romero & J. Wyneken (2018): A new approach for measuring temperature inside turtle eggs. – Journal of Experimental Biology 221(20): jeb188698 oder Abstract-Archiv.

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