Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, sitzt sonnend am Ufer – © Hans-Jürgen Bidmon

Bowden - 2021 - 01

Bowden, R. M. & R. T. Paitz (2021): Is Thermal Responsiveness Affected by Maternal Estrogens in Species with Temperature-Dependent Sex Determination?. – Sexual Development 15(1): 69-79.

Wird die thermale Reaktionsbereitschaft durch mütterliches Östrogen beeinflusst bei Arten mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung?.

DOI: 10.1159/000515187 ➚

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

Bei Arten mit Temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung (TSD) reguliert die Inkubationstemperatur die Expression von Genen die in die Entwicklung der Gonaden einbezogen sind wobei sie bestimmen ob sich dabei Eierstöcke oder Hoden entwickeln. Bei den meisten Arten führen die natürlichen Inkubationsbedingungen dazu, dass die Gelege transienten (wechselnden) Phasen mit unterschiedlichen temperaturbestimmten Signalen für beides Ovarien- und Hodenentwicklung ausgesetzt sind, aber wie die einzelnen Individuen auf diese wechselnden Temperaturphasen reagieren kann dazu beitragen, dass es zu Unterschieden bei den Geschlechterverhältnissen kommt. Hier argumentieren wir, dass Schwankungen bei den Reaktionszeiten auf Temperatursignale eine Eigenschaft darstellen die weiterer Untersuchungen bedarf. Kürzlich erfolgte Arbeiten bei Rotwangen-Schmuckschildkröten (Trachemys scripta) zeigen, dass wenn die Embryonen einer vorübergehenden Exposition von warmen Temperaturen (z. B. Hitzewellen) ausgesetzt werden einige Embryonen eine schnelle Reaktion zeigen wobei sie nur eine sehr kurze warme Phase brauchen um die Ovarienentwicklung einzuleiten während andere eine sehr langsame Reaktionszeit aufweisen und selbst nach wesentlich längeren Warmphasen weiterhin Hoden ausbilden. Wir diskutieren hier wie mütterliche Östrogene diese Reaktionszeit auf Temperaturveränderungen bei Organismen die sich unter fluktuierenden Temperaturen entwickeln beeinflussen könnten. Die Untersuchung des Zusammenspiels der molekularen Reaktionen auf Temperaturschwankungen und den endokrinen Bedingungen im Ei könnten uns bedeutende Erkenntnisse für den Prozessablauf der Geschlechtsfestlegung bei Arten mit TSD liefern.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Aber zu den bei Ma et al. (2022) kommentierten Befunden möchte ich mich hier auf ein paar weitere bislang so gut wie gar nicht untersuchte und verstandene Parameter fokussieren die diese unterschiedlichen Reaktionszeiten auf Inkubationsveränderungen mit erklären könnten. Zum einen wäre hier der Befund zu nennen, dass schwankende Temperaturen wie z. B. auch die nächtlichen Temperaturabsenkungen sowie die wiederkehrenden Temperaturanstiege die Metabolismusrate und Entwicklungsgeschwindigkeit der Embryonen zum Teil nachhaltig beeinflussen und somit der Zeitpunkt im individuellen Entwicklungsverlauf zu denen sie auftreten diese Reaktion auf Temperatur und Hormone mitbeeinflussen (siehe dazu auch Du & Shine, 2010; Du et al., 2009), wobei auch die Schilddrüsenhormone eine Rolle spielen könnten (siehe McGlashan et al, 2017). Zudem erwähnt der obige Review auch, dass diese zellulären molekularen Entwicklungsreaktionen auf die Temperaturänderungen über Kalziumsignalwege in den Geweben realisiert werden. Da stellt sich dann aber auch die Frage wie sieht die Kalzium- oder überhaupt die Elementverfügbarkeit im sich entwickelnden Ei zu welcher Zeit aus? Wenn also dazu auch zusätzliches Kalzium aus der Eischale mobilisiert werden müsste dann könnten diese von der Temperatur beeinflussten Kalziumsignale auch von der Substratfeuchtigkeit mitbeeinflusst werden, denn eine gewisse Substratfeuchte müsste wohl gewährleistet sein um eventuell benötigte Kalziummengen aus der Eischale zeitnah zu mobilisieren. Solche Überlegungen wurden bislang nie nachverfolgt, weil man eigentlich meist daraufhin adulte ausentwickelte Zellen oder Gewebe untersucht hat die intrazelluläre gefüllte physiologische Kalziumspeicher besitzen. Bei der Embryonalentwicklung ist es aber oft so, dass solche Zellen sich gerade erst neu bilden oder gebildet haben und dabei von dem abhängig sind was ihnen durch die extrazellulären „Umweltbedingungen“ im Ei zur Verfügung gestellt werden kann. Eine Situation die ich bislang kaum in einer Studie erwähnt gefunden habe. Zudem gibt es auch noch andere bislang wenig untersuchte Aspekte, denn Zellen, z. B. die erste Zelle oder die ersten Zellen die im Embryo sich zu Gonadenzellen entwickeln könnten auch „Eigene Entscheidungen“ in Abhängigkeit von Signalen die vorher schon auf sie einwirkten ein Phänomen welches man gerade unter dem Begriff „kontextabhängige Einzelzellentscheidungen“ bei innerhalb multizellulärer Systeme zu analysieren beginnt (siehe dazu Kramer et al., 2022 und die dortige Literatur). Welche Rolle spielt dann dabei der Zufall oder der Terminus zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Für bewässerte Meeresschildkrötengelege ist nur bekannt, dass die Abkühlung durch oberflächliche Verdunstung zur Erhöhung des Anteils schlüpfender Männchen führt (Lolavar & Wyneken, 2020; Staines et al., 2020). Allerdings welchen Einfluss die Substratfeuchte im Inneren von Nestern spielt bleibt dabei bislang auch unbeantwortet. Sie sehen es gibt also noch viele weitere unverstandene Fragestellungen im Bezug zur Geschlechtsausprägung die sich wohl so schnell auch nicht beantworten lassen werden. Denn selbst um solche komplexen Systeme zu verstehen nützt einem die Modellierung dieser Prozesse wenig solange man diesbezüglich keine guten Untersuchungsdaten hat die einem wenigsten für solche Modelle verlässliche Eckdaten liefern. Letztendlich ist es auch dabei „Immer so - Wie im richtigen Leben“ denn es handelt sich um komplexe, multifaktoriell gesteuerte Prozesse die wir selbst für adulte leichter zu untersuchende Individuen kaum verstanden haben. Siehe zu Letzterem auch die Kommentare zu Hazard et al., (2010) sowie Wilkinson, A. & L. Huber (2012).

Literatur

Bodensteiner, B. L., D. A. Warner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider & F. J. Janzen (2019): Geographic variation in thermal sensitivity of early life traits in a widespread reptile. – Ecology and Evolution 9(5): 2791-2802 oder Abstract-Archiv.

Carter, A. L., B. L. Bodensteiner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider, D. A. Warner & F. J. Janzen (2019): Breadth of the thermal response captures individual and geographic variation in temperature‐dependent sex determination. – Functional Ecology 33(10): 1928-1939 oder Abstract-Archiv.

Du, W. G. & R. Shine (2010): Why do the eggs of lizards (Bassiana duperreyi: Scincidae) hatch sooner if incubated at fluctuating rather than constant temperatures?. – Biological Journal of the Linnean Society 101(3): 642-650 oder Abstract-Archiv.

Du, W. G., J. W. Shen & L. Wang (2009): Embryonic development rate and hatchling phenotypes in the Chinese three-keeled pond turtle (Chinemys reevesii): The influence of fluctuating temperature versus constant temperature. – Journal of Thermal Biology 34(5): 250-255 oder Abstract-Archiv.

Hazard, L. C., D. R. Shemanski & K. A. Nagy (2010): Nutritional Quality of Natural Foods of Juvenile and Adult Desert Tortoises (Gopherus agassizii): Calcium, Phosphorus, and Magnesium Digestibility. – Journal of Herpetology 44(1): 135-147 oder Abstract-Archiv.

Kramer, B. A., J. S. del Castillo & L. Pelkmans (2022): Multimodal perception links cellular state to decision making in single cells. – Science 377(6606): 642-648; DOI: 10.1126/science.abf4062 ➚.

Lolavar, A. & J. Wyneken (2020): The impact of sand moisture on the temperature-sex ratio responses of developing loggerhead (Caretta caretta) sea turtles. – Zoology 138: 125739 oder Abstract-Archiv.

Ma, X., F. Liu, Q. Chen, W. Sun, J. Shen, K. Wu, Z. Zheng, J. Huang, J. Chen, G. Qian & C. Ge (2022): Foxl2 is required for the initiation of the female pathway in a temperature-dependent sex determination system in Trachemys scripta. – Development 149(13): dev200863 oder Abstract-Archiv.

McGlashan, J.K., M. B. Thompson, J. U. Van Dyke & R. J. Spencer (2017): Thyroid Hormones Reduce Incubation Period without Developmental or Metabolic Costs in Murray River Short-Necked Turtles (Emydura macquarii). – Physiological and Biochemical Zoology 90(1): 34-46 oder Abstract-Archiv.

Staines, M. N., D. T. Booth, C. A. M. Hof & G. C. Hays (2020): Impact of heavy rainfall events and shading on the temperature of sea turtle nests. – Marine Biology 167(12): 190 oder Abstract-Archiv.

Wilkinson, A. & L. Huber (2012): Cold-Blooded Cognition: Reptilian Cognitive Abilities. – S. 129-143 in: Vonk, J. & T. K. Shackelford (Hrsg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology. – Oxford University Press 129-143 oder Abstract-Archiv.

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