Gelbwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta scripta, – © Hans-Jürgen Bidmon

Ma - 2022 - 01

Ma, X., F. Liu, Q. Chen, W. Sun, J. Shen, K. Wu, Z. Zheng, J. Huang, J. Chen, G. Qian & C. Ge (2022): Foxl2 is required for the initiation of the female pathway in a temperature-dependent sex determination system in Trachemys scripta. – Development 149(13): dev200863.

Foxl2 ist notwendig für die Initiation des weiblichen Entwicklungsgangs im Rahmen des temperaturabhängigen Geschlechtsbestimmungsystems bei Trachemys scripta.

DOI: 10.1242/dev.200863 ➚

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

KDM6B-modulierte epigenetische Modifizierungen am Regulationsgen für die Hodenentwicklung Dmrt1wurde erst kürzlich als der primäre Schalter entdeckt der die Entwicklung zu Männchen innerhalb des TSD-Systems einleitet allerdings blieb dabei das molekulare Netzwerk für den weiblichen Entwicklungsweg noch unbekannt. Hier charakterisierten wir zum ersten Mal einen Hauptregulator für den Entwiclungsweg hin zum weiblichen Geschlecht, den sogenannten Forkhead-Transkriptionsfaktor FOXL2 bei Trachemys scripta einer Schildkröte mit einem TSD-System. FOXL2 zeigte temperaturabhängige weibchen-spezifische Expressionsmuster schon vor dem Beginn der Gonadenentwicklung und dieser Faktor wurde dabei hauptsächlich in den somatischen Zellen die Ovarien bilden lokalisiert. Foxl2 reagierte schnell auf Temperaturschwankungen und auf das Hormon Östrogen. Wichtig dabei war, dass auch die experimentell forsierte Expression von Foxl2 bei einer kühlen Männchen-produzierenden Inkubationstemperatur zu einer Geschlechtsumkehr hin zu Weibchen führte wie sich dies an der Formation von Ovarien-ähnlichen Zellanhäufungen erkennen ließ und ebenso wurden dabei die Ovarienregulatorgene Cyp19a1 und R-spondin1 aktiviert. Zusätzlich konnten wir zeigen, dass das Ausschalten (knockout) von Foxl2 zur Vermännlichung bei Weibchen-produzierenden Temperaturen führte was auch durch den Verlust eines weibchentypischen Phänotyps führte, ebenso wie zur Ausbildung der Tubuli seminiferi begleitet von einer erhöhten Expression der Gene Dmrt1 und Sox9. Zusammenfassend konnten wir zeigen, dass Foxl2-Expression notwendig und ausreichend ist um die Ausbildung von Ovarien bei T. scripta zu steuern was darlegt, dass Foxl2 für die Entwicklung von Weibchen innerhalb des TSD-Systems die entscheidende Rolle spielt.

Gelbwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta scripta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Gelbwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta scripta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Siehe dazu auch den Kommentar zu Ge et al. (2018) sowie Bidmon (2018). Da diese Gene bislang auch bei anderen daraufhin untersuchten Schildkrötenarten gleiche Funktionen während der Gonadenentwicklung zu haben scheinen haben wir somit die Möglichkeit die Geschlechtsausprägung molekulargenetisch zu steuern falls dies für sehr seltene Arten angezeigt sein sollte. Allerdings haben wir trotz dieser für die Arterhaltungsbiologie wichtigen Erkenntnisse kein Verständnis oder Wissen darüber erlangt wie in der Natur schwankende Temperaturen beiderlei Geschlechter hervorbringen können. Letzteres wäre aber wesentlich für das Verständnis darüber wie sich Klimaveränderungen auswirken würden. Was man auch oft angenommen hat war ja, dass Schildkröten der gleichen Art die nördlichere Breitengrade besiedeln eine andere Pivotaltemperatur aufweisen als die südlicheren Bestände sodass dadurch sichergestellt wäre das es zum Schlupf ausgegelichener Geschlechterverhältnisse unter den verschiedenen Umwelttemperaturbedingungen kommt. Aber wenn man mal die Daten für die wenigen daraufhin gut untersuchten Arten vergleicht erkennt man, dass sich die Pivotaltemperaturen für die nördlichen und südlichen Population nicht signifikant und wenn nur um ±0,4 ⁰C unterscheiden. Also eine so minimale kaum erfassbare Temperaturabweichung die keine Erklärung für die Einwirkung von Unterschieden bei der Umwelttemperatur liefern (siehe dazu auch Bowden & Paitz, 2022). Insofern ist es also nicht ganz uninteressant, dass Foxl2 nicht nur auf Temperatur reagiert, sondern auch auf den Östrogenspiegel und da wären wir dann wieder bei den Muttertieren und der Östrogenmenge die sie dem jeweiligen Ei oder Eiern mitgegeben haben. Sicher lässt sich der Einfluss von Östrogen bei konstanter artifizieller Inkubationstemperatur abschwächen oder gar ausschalten aber man sollte auch bedenken, dass man dazu in einem artifiziellen Extremtemperaturbereich inkubieren muss der eventuell auch andere Probleme mit sich bringt. Allerdings sollte man auch im Kopf behalten, dass die mütterliche Geschlechtshormonproduktion nicht unabhängig von Stress abläuft, der ja auch oft während der Reproduktionszeit durch das Geschlechterverhältnis zumindest bei artifizieller Haltung auf meist geringer Fläche im Vergleich zur Wildnis oder wie für die Situation auf der Insel Golem Grad (Bonnet et al., 2016) mitbestimmt wird. Auch Habitatveränderungen wie Fragmentierung, Umsiedlung und Ressourcenverschiebungen oder Verschlechterungen können stressbedingte Geschlechtshormonschwankungen auslösen die zwar für Schildkrötenweibchen bislang kaum untersucht wurden, die aber für Gopherschildkrötenmännchen durchaus bekannt wurden da Stresshormone und Testosteron am Testosteronrezeptor durchaus bzgl. der Bindung interagieren können (Tracy et al., 2006). Alle diese Faktoren könnten auch darüber einen Einfluss auf die Entwicklung der Nachkommen ausüben welchen es eigentlich noch zu untersuchen gilt. Siehe dazu auch Liu et al., (2020) oder Radhakrishnan et al., (2018).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2018): Das Humangenomprojekt, Epigenetik und die Zukunft von Reptilien temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung – Ein Kommentar. – Schildkröten im Fokus 15(3): 11-18, 2018 ➚.

Bonnet, X., A. Golubović, D. Arsovski, S. Nikolić, J.-M. Ballouard, S. Bogoljub, R. Ajtic, C. Barbraud & L. Tomović (2016): A prison effect in a wild population: a scarcity of females induces homosexual behaviors in males. – Behavioral Ecology 27(4): 1206-1215 oder Abstract-Archiv.

Bowden, R. M. & R. T. Paitz (2021): Is Thermal Responsiveness Affected by Maternal Estrogens in Species with Temperature-Dependent Sex Determination?. – Sexual Development 15(1): 69-79 oder Abstract-Archiv.

Ge, C., J. Ye, C. Weber, W. Sun, H. Zhang, Y. Zhou, C. Cai, G. Qian & B. Capel (2018): The histone demethylase KDM6B regulates temperature-dependent sex determination in a turtle species. – Science 360(6389): 645-648 oder Abstract-Archiv.

Liu, X., Y. Zhu, Y. Wang, W. Li, X. Hong, X. Zhu & H. Xu (2020): Comparative transcriptome analysis reveals the sexual dimorphic expression profiles of mRNAs and non-coding RNAs in the Asian yellow pond turtle (Mauremys mutica). – Gene 750: 144756 oder Abstract-Archiv.

Radhakrishnan, S., R. Literman, J. L. Neuwald & N. Valenzuela (2018): Thermal Response of Epigenetic Genes Informs Turtle Sex Determination with and without Sex Chromosomes. – Sexual Development 12: 308-319 oder Abstract-Archiv.

Tracy, C. R., K. E. Nussear, T. C. Esque, K. Dean-Bradley, C. R. Tracy, L. A. DeFalco, K. T. Castle, L. C. Zimmerman, R. E. Espinoza & A. M. Barber (2006): The importance of physiological ecology in conservation biology. – Integrative and Comparative Biology 46(6): 1191-1205 oder Abstract-Archiv.

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