Becerra, Ernesto, Bruno Rodríguez López, Miguel Borja & Yessica Rico (2025): Conservation genetics of a freshwater turtle (Trachemys hartwegi) in a threatened riverine ecosystem. – Molecular Biology Reports 52(1): 761.
Die Erhaltungsgenetik für die Süßwasserschildkröte (Trachemys hartwegi) in einem gefährdeten Flussökosystem.
DOI: 10.1007/s11033-025-10858-9 ➚

Trachemys hartwegi,
© Ernesto Becerra
Hintergrund: Süßwasserökosysteme sind aufgrund von Lebensraumzerstörung, Verschmutzung und Klimawandel einer beispiellosen Degradation ausgesetzt, sodass dringende Schutzmaßnahmen zum Schutz gefährdeter Süßwasserarten erforderlich sind. Süßwasserschildkröten gehören zu den weltweit am stärksten bedrohten Wirbeltieren, deren Überleben durch ihre Temperaturempfindlichkeit und ihre Anforderungen an den aquatischen Lebensraum eingeschränkt ist. Die mexikanische Nazas-Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys hartwegi) ist eine gefährdete Süßwasserschildkröte, die auf Flussgebiete in den trockenen Regionen Nordmexikos beschränkt ist. Durch den Verlust ihres Lebensraums, dessen Fragmentierung und den illegalen Handel für die Heimtiermärkte ist ihr Bestand stark bedroht, was die Lebensfähigkeit der Population in ihrem begrenzten Verbreitungsgebiet gefährdet.
Methoden und Ergebnisse: Anhand von 13 Mikrosatelliten-Loci haben wir 148 T. hartwegi-Individuen aus 10 Probenahmestellen in drei durch Dämme getrennten Abschnitten des Durango Nazasfluss genotypisiert, um die genetische Vielfalt und Struktur zu untersuchen, demografische Parameter zu schätzen und geeignete Lebensräume unter aktuellen und zukünftigen Klimaszenarien zu identifizieren. Unsere Ergebnisse zeigten im Vergleich zu anderen mexikanischen Trachemys-Arten eine geringe genetische Vielfalt. Trotz der beiden Staudämme entlang des Nazas-Flusses konnten wir keine signifikante genetische Struktur feststellen. Die geschätzte effektive Populationsgröße war relativ gering (Ne = 307), was jedoch nicht auf den aktuellen Populationsrückgang zurückgeführt werden kann, da keine Anzeichen für einen kürzlichen Flaschenhalseffekt festgestellt wurden. Unsere Modelle unter Klimawandelszenarien für 2040 und 2060 prognostizierten einen Rückgang der verfügbaren Lebensräume um 73 bis 76 %, wobei die Dammstandorte künftige Rückzugsgebiete im Nazas-Fluss darstellen.
Schlussfolgerungen: Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Schutz von T. hartwegi vor großen Herausforderungen steht. Eine geringe effektive Populationsgröße reicht möglicherweise nicht aus, um die langfristige Lebensfähigkeit der Population zu gewährleisten, während ENMs unter den aktuellen Klimatrends einen dramatischen Verlust an Lebensraum prognostizieren. Diese Studie unterstreicht die dringende Notwendigkeit eines adaptiven Managements, das konkurrierende Ansprüche an die Wasserressourcen des Menschen ausgleicht und gleichzeitig die Konnektivität der Flusslebensräume erhält, die die Integrität des Ökosystems beeinflusst.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Hier wird wieder darauf hingewiesen, wie wesentlich der Verlust an genetischer Diversität für eine bedrohte Schildkrötenpopulation sein kann, insbesondere wenn ihr Lebensraum auch noch durch den Klimawandel schrumpft. Allerdings stellt damit die Spezies Trachemys hartwegi geradezu ein einladendes Beispiel dafür dar, sich als Modellschildkrötenspezies zu etablieren, um die Überlebenspotenz dieser Gattung einmal genauer zu analysieren. Zum einen liegt ihr Ne-Wert mit 307 noch deutlich über denen die als bedrohend eingestuft werden (siehe Caballero et al., 2017) und zum zweiten zeigen die Vertreter der Gattung Trachemys durchaus ein gewisses Potenzial für eine invasive Ausbreitung und Differenzierung, die verdeutlichen kann, wie kleine Gründerpopulationen sich durchaus neu etablieren können. Sicher das muss auch bei Trachemys nicht für jede Art gleich hoch sein, aber es spricht einiges dafür, dass das auch für die mexikanischen Gattungsvertreter zutrifft, wenn man deren Evolutionslinien und historische Ausbreitung genauer betrachtet.
Die Arbeit betont aber noch einen anderen Aspekt der sich auf die ökologischen Bedingungen dieser hier beschriebenen Population auswirkt, da sie klarstellt, dass hier das Flusssystem, also der hochgelegene Lebensraum stark bedroht ist und diesbezüglich sin des nicht wie bei manch anderen starkbedrohten Arten die Staudämme die deren Lebensraum durch Überflutung der Niststrände gefährden sondern in diesem Fall könnten sich hier gerade die Staudämme und Wasserrückhaltebecken als letzte verbleibende Lebensräume anbieten. Letzteres würde aber auch bedingen, dass sich T. hartwegi an die neuen Lebensbedingungen anpasst. Auch dabei könnte ein gewisses „invasives“ Potenzial vorteilhaft sein. Da die Art, aber unter den natürlichen synökologischen Bedingungen, wie angepasste Beutegreifer sowie angepasste Nahrungspezies vorort lebt kann man auch untersuchen wie sich unter diesen Bedingungen ihr Überlebenspotential in einem sich veränderten Lebensraum auswirkt. Sicher in diesem Fall spricht man nicht von einer invasiven Art, die sich in einem für sie völlig fremden Lebensraum ansiedelt, aber man könnte durchaus vergleichen, ob es gerade die oft angeführten völlig neuen Bedingungen sind die einer invasiven Art Vorteile verschaffen, wie unangepasste und deshalb leicht zum Opfer werdende Beutetiere (Vodrážková et al., 2022) oder noch fehlende entsprechend im Beutespektrum angepasste Beutegreifer.
Literatur
Caballero, A., I. Bravo & J. Wang (2017): Inbreeding load and purging: implications for the short-term survival and the conservation management of small Populations. – Heredity 118(2): 177-185 oder Abstract-Archiv.
Vodrážková, M., I. Šetlíkova, J. Navrátil & M. Berec (2022): Presence of an alien turtle accelerates hatching of common frog (Rana temporaria) tadpoles. – Neobiota 74: 155-169 oder Abstract-Archiv.
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Trachemys hartwegi – Nazas-Buchstaben-Schmuckschildkröte