Radhakrishnan - 2018 - 01

Radhakrishnan, S., R. Literman, J. L. Neuwald & N. Valenzuela (2018): Thermal Response of Epigenetic Genes Informs Turtle Sex Determination with and without Sex Chromosomes. – Sexual Development 12: 308-319.

Thermische Reaktionen an epigenetisch modulierten Genen liefern Informationen zur Geschlechtsausprägung bei Schildkröten mit und ohne Geschlechtschromosomen.

DOI: 10.1159/000492188 ➚

In Wirbeltieren kann das sexuelle Schicksal durch Umweltfaktoren mitbestimmt werden (z.B., bei der temperatur-abhängigen Geschlechtsfestlegung, TSD) oder es wird durch Gene bestimmt (genetische Geschlechtsfestlegung, GSD). Obwohl DNS-Methylierungen bei TSD eine Rolle spielen, bleiben doch viele der epigenetischen Prozesse die für die Geschlechtsentwicklung wichtig sind unverstanden. Hier untersuchten wir erstmals die embryonale Expression für die genomweite epigenetische Maschinerie in den Geschlechtsorganen von Schildkröten einschließlich der Gene und der nicht-kodierenden RNS (ncRNSs) die in die DNS/Histon-Acetylierung, Methylierung, Ubiquitinylierung Phosphorylierung und RNSi (inhibition) eingebunden sind. Diese Maschinerie (Abläufe) war aktiv und auf differentielle Art auch thermosensitiv bei der TSD versus der GSD (im ZZ/ZW-System) bei Schildkröten. Gene die über Methylierung und Histon-Acetylierung geregelt werden reagierten dabei am stärksten. Die Ergebnisse führten zu folgenden Arbeitshypothesen die den Unterschied zwischen TSD und GSD erklären könnten: 1. TSD könnte epigenetisch kontrolliert sein und würde über epigenetisch modulierte hormonelle Prozessabläufe (via Acetylierung, Methylierung und ncRNSs) gesteuert oder 2. Hormonell kontrollierte epigenetische Prozessabläufe und 3. epigenetische Schlüsselfunktionen die noch vor der kanonischen (üblicher Weise bekannten) temperatursensitiven Periode stattfinden. Es wurden zudem andere epigenetische Kandidaten als Regulatoren entdeckt als nur Methylierung einschließlich der bislang unbekannten ncRNSs die die Gonadenentwicklung potentiell beeinflussen können. Diese Befunde werfen ein Licht auf die molekulare Ökologie der Geschlechtsausprägung bei Reptilien und ermöglichen die Aufstellung von Hypothesen die als Richtlinien zur Durchführung zukünftiger funktioneller Studien zur Aufklärung der epigenetischen Übermittlung von externen Signalen die in TSD- und GSD–Systemen von Bedeutung sind.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit greift noch einmal das große wissenschaftliche Thema bei Schildkröten aus diesem Jahr auf. Ja, und da Ge et al. (2018) nun schon mal vorgelegt haben und für Trachemys scripta elegans diesen epigenetischen Mechanismus recht gut aufgeklärt haben (siehe auch Kommentar: Bidmon, 2018) zwingt dies die etablierten Gruppen nachzulegen. Die Aufklärung dieses Mechanismus kam von einer bis dahin relativ unbekannten Gruppe und somit merkt man hier auch wie alle die auf diesem Gebiet seit Jahren etablierten Arbeitsgruppen nun nachzulegen versuchen. Letzteres ist sicher gerechtfertigt, denn es gibt sicher Unterschiede zwischen den einzelnen Arten, dennoch sieht man diesem Abstract an, dass es versucht alle denkbaren Möglichkeiten einzubeziehen ohne aber wirklich konkret zu werden. Denn letztendlich ist die Ausformulierung von Arbeitshypothesen etwas anderes als die Aufklärung eines biologischen Prozessablaufs (Mechanismus) wie er von Ge et al., (2018) beschrieben wurde und auch praktisch angewandt wurde um die Geschlechtsausprägung experimentell zu steuern. Ein schönes Beispiel wie Wissenschaft sich entwickelt die auch klar zeigt, dass es manchmal wirklich zielführender ist auch fördermitteltechnisch auf „Newcomer“ zu setzen, als nur das Establishment zu berücksichtigen. Vieles hat sich ja schon über die Jahre hinweg abgezeichnet (siehe z.B.: Crews et al., 2006) aber dennoch kam der Durchbruch eben aus einer ganz anderen Richtung als jener, die von so vielen während der letzten 30 Jahre eingeschlagen worden war. In diesem Sinne sicherlich etwas über das es sich in der Zeit zwischen Jahren einmal nachzudenken lohnt.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Bidmon, H.-J. (2018): Das Humangenomprojekt, Epigenetik und die Zukunft von Reptilien temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung – Ein Kommentar. – Schildkröten im Fokus 15(3): 11-18, 2018 ➚.

Crews, D., W. Lou, A. Fleming & S. Ogawa (2006): From gene networks underlying sex determination and gonadal differentiation to the development of neural networks regulating sociosexual behavior. – Brain Research 1126(1): 109-121 oder Abstract-Archiv.

Ge, C., J. Ye, C. Weber, W. Sun, H. Zhang, Y. Zhou, C. Cai, G. Qian & B. Capel (2018): The histone demethylase KDM6B regulates temperature-dependent sex determination in a turtle species. – Science 360(6389): 645-648 oder Abstract-Archiv.

Renner, S. S. (2016): A Return to Linnaeus's Focus on Diagnosis, Not Description: The Use of DNA Characters in the Formal Naming of Species. – Systematic Biology 65(6): 1085-1095 oder Abstract-Archiv.