Krochmal, A. R., T. C. Roth II, S. Rush & K. Wachter (2016): Turtles outsmart rapid environmental change: The role of cognition in navigation. – Communicative & Integrative Biology 8(6): e1052922.
Schildkrötenintelligenz befähigt zum Umgang mit schnell erfolgenden Umweltveränderungen: Die Rolle der Kognition bei der Navigation.
DOI: 10.1080/19420889.2015.1052922 ➚
Tiere, die unter sich verändernden Umweltbedingungen leben, zeigen meist ein hohes Maß an kognitiver Plastizität. Kognition befähigt Tiere dazu die Einflüsse von Umweltveränderungen abzupuffern. Allerdings, bislang haben Studien zur Evolution von kognitiven Fähigkeiten selten Populationen, die in einem sich schnell verändernden Umweltszenario leben das einen hohen Selektionsdruck hin zu plastischem Verhalten ausübt, mit anderen verglichen. Wir untersuchten dieses Phänomen durch die Überwachung mittels Radiotracking von erfahrenen und unerfahrenen östlichen Zierschildkröten (Chrysemys picta), während sie als ihr Teich trocken fiel ein neues permanentes Gewässer finden mussten. Dabei benutzten die ortsansässigen adulten Schildkröten sehr spezifische Wanderrouten, die sie zu einem permanenten Gewässer führten, während umgesiedelte adulte Schildkröten dies nicht schafften. Naive, unerfahrene 1-3 Jahre alte Jungschildkröten aus beiden Populationen – also ortsansässig oder umgesiedelt – nutzten die Wanderrouten der adulten erfahren ortsansässigen Schildkröten erfolgreich. Allerdings hatten umgesiedelte Schildkröten ab dem 4. Lebensjahr die Fähigkeit dazu verloren. Allein die Erfahrung hatte aber keinen Einfluss auf den Beginn des Abwanderns oder auf die Latenz, mit der die Tiere zu navigieren begannen. Letzteres lässt den Schluss zu, dass das Lernen während einer bestimmten Lebensperiode für die Schildkröten sehr wichtig zu sein scheint, und diese Periode könnte deshalb sehr wesentlich dazu beitragen wie Tiere auf Umweltveränderungen reagieren. Zudem liefern diese Befunde ein sehr starkes Argument dafür, Kognition unbedingt in das Arterhaltungsmanagement mit einzubeziehen.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Diese Arbeit stellt eine Ergänzung zu der früheren Arbeit der Autoren dar (siehe Roth II & Krochmal 2016). Hier beschreiben sie auch klar, dass bislang völlig unbekannt ist wie junge Schildkröten lernen und an was sie sich orientieren, denn bislang konnte man trotz einer Gesamtüberwachungsdauer von mehr als 3.000 Stunden nie beobachten, dass sowohl adulte wie auch junge Schildkröten hintereinander her wandern, sprich die Jungtiere den adulten direkt folgen. Eine inzwischen auch erschienene zusätzliche Arbeit liefert zwar dazu einige Vermutungen und Anhaltspunkte, aber alles Weitere ist bislang unbekannt. Wie ich finde beschreiben die Autoren in ihrer Einleitung zudem sehr schön, welche Kognitions- bzw. Navigationsfähigkeiten auch andere Reptilienarten haben. Insbesondere finde ich auch den Verweis darauf, welche Rolle die Kognitionsfähigkeit in Bezug zum Arterhaltungsmanagement spielt, äußerst wichtig und zwar auch dann wenn es sich um Spezies handelt, die keine Brutpflege im eigentlichen Sinne betreiben (siehe dazu auch Bidmon 2015a) Eigentlich eine Arbeit, die allen Taxonomen recht geben sollte, die am liebsten jede Lokalpopulation – mal übertrieben gesprochen – in den Artstatus erheben wollen, denn hier kommt klar zum Ausdruck, das lokale Umweltanpassung ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines Erhaltungsstatus darstellt. Allerdings muss man auch klar erkennen, dass dieses Kriterium eben für Populationen zutrifft und – wie ich schon öfters erwähnt habe – auch Populationen ein Schutzfaktor zu gebilligt werden kann. Zudem lernen wir hier auch wieder was Plastizität und in diesem Fall speziell kognitive Plastizität bedeutet (siehe dazu auch Bidmon 2015b). Und es wird auch klar, dass auch andere Landschildkrötenarten lern- und navigationsfähig sein müssen, denn wie sollten sonst Testudo hermanni oder Testudo graeca ihre gemeinsam genutzten weit vom Sommerhabitat entfernten Überwinterungsplätze wiederfinden (siehe dazu Loy & Cianfrani 2010, Iosif et al. 2013) ebenso wie sich die meisten Schildkrötenweibchen ihre Nistplätze merken und mehrere Jahre hintereinander immer wieder aufsuchen (z.B. Walde et al. 2007).
Literatur
Bidmon, H.-J. (2014): Kommentar zu: Golubović, A., M. Andjelkovic, D. Arsovski, A. Vujovic, V. Ikovic, S. Djordjevic & L. Tomovic (2014): Skills or strength-how tortoises cope with dense vegetation? – Acta Ethologica 17(3): 141-147 oder Abstract-Archiv.
Iosif, R., L. Rozylowicz & V. D. Popescu (2013): Modeling road mortality hotspots of Eastern Hermann’s tortoise in Romania. – Amphibia-Reptilia 34(2): 163-172 oder Abstract-Archiv.
Loy A. & C. Cianfrani (2010): The ecology of Eurotestudo h. hermanni in a mesic area of southern Italy: first evidence of sperm storage. – Ethology Ecology & Evolution 22(1): 1-16 oder Abstract-Archiv.
Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2016): Cognition-centered conservation as a means of advancing integrative animal behavior. – Current Opinion in Behavioral Sciences 6: 1-6 oder Abstract-Archiv.
Walde, A. D., J. R. Bider, D. Masse, R. A. Saumure & R. D. Titman (2007): Nesting ecology and hatchling success of the wood turtle, Glyptemys insculpta, in Quebec. – Herpetological Conservation and Biology 2(1): 49-60 oder Abstract-Archiv.
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Chrysemys picta – Zierschildkröte