Spinks, P. Q., R. C. Thomson, Y. P. Zhang, J. Che, Y. Wu & H. B. Shaffer (2012): Species boundaries and phylogenetic relationships in the critically endangered Asian box turtle genus Cuora. – Molecular Phylogenetics and Evolution: 63(3): 656-667.
Artgrenzen und phylogenetische Beziehungen bei den hochgradig bedrohten asiatischen Dosenschildkröten der Gattung Cuora.
DOI: 10.1016/j.ympev.2012.02.014 ➚
Schildkröten gehören derzeit weltweit zu den am stärksten bedrohten Ordnungen unter den Wirbeltieren. Die asiatischen Dosenschildkröten (Cuora) befinden sich in einem katastrophenartigen Rückgang. Ein effektives Management dieser sehr vielfältigen Schildkrötenklade (Gattung) wurde sowohl durch menschlichen Einfluss als auch durch die natürlich vorkommende Hybridisierung sehr behindert. Letzteres resultierte in einer Nichtübereinstimmung zwischen mitochondrialen und nukleären Markern sowie in einer Konfusion unter den Fachleuten in Bezug auf die Artgrenzen und deren phylogenetische Beziehungen bei den hypothetisch angenommenen Spezies innerhalb der Gattung Cuora. Hier liefern wir genetische Analysen für die mitochondriale und nukleäre DNS für alle 12 derzeit hypothetischen Spezies, um zum einen die Artabgrenzungen und zum anderen deren phylogenetische Verwandtschaftsbeziehungen darzustellen. Unsere aus 15 Genen mit 40 individuellen nukleären Datensätzen aufgebauten Analysen zeigten relativ häufig Abweichungen zum mitochondrialen Datensatz. Und das, obwohl die nukleären Daten eine gute Übereinstimmung mit den publizierten morphologischen Analysen aufweisen und unsere 15 unabhängigen Abschätzungen (für 15 Gene) über die phylogenetische Evolutionsgeschichte den Daten sehr viel Gewicht und Trennschärfe verleihen. Somit interpretieren wir die nukleären Datensätze als die derzeit verlässlichsten, um die Artabgrenzungen und die Phylogenie von Cuora abzuklären. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es notwendig ist, multiple nukleäre Marker zu verwenden, um die Phylogenie und Speziesunterscheidung bei diesen Tieren durchzuführen. Ebenso sollten DNS-Strichcodes zur Identifikation eingesetzt werden, was Cuora zu einer exzellenten Fallstudie macht, die zeigt, dass das alleinige Zurückgreifen auf die mitochondriale DNS zu einer falschen Artbestimmung führen kann.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Die ausführliche Arbeit dieser Autoren zeigt eigentlich, dass man mit den derzeitigen Methoden für etliche der Arten nur Artenkomplexe darstellen kann, die man nach einem „Strichcodesystem“ weiter spezifizieren muss. Auch hier verweisen die Autoren ausdrücklich darauf, dass es zum einen durchaus in der Natur dieser Gattung liegt, Hybriden zu bilden und es zu Introgressionen gekommen ist (siehe Diskussion zu Spinks et al. 2012), die sich heute in den Zuchtfarmen fortsetzt, und zum anderen darauf, dass der menschliche Einfluss, sprich die extrem starke Nachfrage innerhalb des Liebhabertierhandels auch heute noch die Bestände weiter bedroht und die kommerzielle Zucht mit wenig gut charakterisierten Tieren fördert. Allerdings da wohl auf der nächsten CITES-Konferenz alle Arten der Gattung Cuora auf Anhang I kommen sollen und die Preise zum Teil schon auf fünfstellige Eurobeträge geklettert sind, sehe ich schwarz, dass sich die Situation für manche Arten sowohl in menschlicher Obhut als auch in der Natur noch zum Guten wenden würde. Eines ist aber wohl heute schon sicher, da die chinesischen Zuchtfarmen derzeitig in der Mehrzahl Hybriden züchten, wird wohl langfristig ein Hybridenkomplex oder wenige Komplexe übrig bleiben, und ich denke, dass das zumindest ein ziemliches Potential zur Überlebenssicherung dieses Gesamtkomplexes in China darstellt. Aus dem sich vielleicht auch mal wieder einige neue Evolutionslinien evolvieren, die an eine anthropogen beeinflusste Umwelt auf die eine oder andere Art und Weise besser angepasst sind. Für die wenigen reinerbigen oder reinerbig geglaubten Exemplare in Zoos und bei diversen privaten Züchtern weltweit sehe ich eher, dass man dort wie mit fast jeder Zuchtinitiative bei der sehr beschränkten Individuenzahl eine mehr oder weniger eigene, – nennen wir es mal – „ZOO-Evolutionslinien“ erzeugen wird, die in ein paar Jahren oder Generationen sowieso nicht mehr viel mit den einmal ursprünglich frei lebenden Wildformen zu tun haben dürften, auch wenn sie noch so ähnlich aussehen sollten. Leider definieren wir ja den artspezifischen Phänotyp immer noch fast ausschließlich morphologisch. Aber wie uns ja die genetischen Daten zeigen, müssen gleich aussehende Individuen nicht auch die gleiche Art repräsentieren. Somit liegt es nahe, dass man neben den genetischen die bis heute kaum erfassten physiologischen Unterschiede und Umweltanpassungen kaum berücksichtigt, sowie deren Veränderungen während der Zucht in einer artifiziellen Umgebung kaum kontrollieren und erfassen kann. Somit wird es zwangsläufig zu unvermeidbaren Veränderungen kommen. Wir sollten also nach unserem heutigen Wissen nicht so tun, als hätten wir nach ein paar Zuchtgenerationen noch das, womit wir einmal begonnen haben. (siehe auch Kommentare zu Spinks et al. (2012).
Literatur
Spinks, P. Q., R. C. Thomson, B. Hughes, B. Moxley, R. Brown, A. Diesmos & H. B. Shaffer (2012): Cryptic variation and the tragedy of unrecognized taxa: the case of international trade in the spiny turtle Heosemys spinosa (Testudines: Geoemydidae). – Zoological Journal of The Linnean Society 164(4): 811-824 oder Abstract-Archiv.