Ägyptische Landschildkröte, Testudo kleinmanni, – © Basim Rabia

Vasilyev - 2014 - 01

Vasilyev, V. A., A. V. Korsunenko, A., S. L. Pereshkolnik, L. F. Mazanaeva, A. A. Bannikova, D. A. Bondarenko, E. A. Peregontsev & S. K. Semyenova (2014): Differentiation of tortoises of the genera Testudo and Agrionemys (Testudinidae) based on the polymorphism of nuclear and mitochondrial markers. – Russian Journal of Genetics 50(10): 1060-1074.

Die Unterscheidung von Landschildkröten aus der Gattung Testudo und Agrionemys (Testudinidae) anhand der Polymorphismen nukleärer und mitochondrialer Marker.

DOI: 10.1134/S1022795414090154 ➚

Maurische Landschildkröte, Testudo graeca, – © Hans-Jürgen Bidmon
Maurische Landschildkröte,
Testudo graeca,
© Hans-Jürgen Bidmon

Basierend auf den Polymorphismen der 12S rRNS-Gene und der RAPD Marker differenzierten wir 122 einzelne Landschildkröten aus drei Spezies der Gattung Testudo (T. kleinmanni, T. marginata und T. graeca), sechs Unterarten von T. graeca (T. g. nikolskii, T. g. pallasi, T. g. armeniaca, T. g. zarudnyi, T. g. terrestris, T. g. ibera) und zwei Unterarten der zentralasiatischen Landschildkröte Agrionemys horsfieldii (A. h. horsfieldii, A. h. kazakhstanica). Zum Vergleich wurden auch 32 bekannte Sequenzen der 12S rRNS-Gene (392 bp) von Landschildkröten aus den zwei Gattungen herangezogen, die Territorien in Europa, Asien und Afrika besiedeln. In den Populationen von A. horsfieldii identifizierten wir insgesamt sechs Haplotypen, einschließlich dreier neu beschriebener Varianten. In den untersuchten Landschildkröten aus der Gattung Testudo identifizierten wir 12S rRNS-Haplotypen. Ein neuer Haplotyp wurde in T. kleinmanni ausgemacht. Unter den acht Unterarten von T. graeca wurden acht Haplotypen identifiziert, einschließlich von vier neu beschriebenen. Die beschriebenen RAPD Marker untermauerten im Allgemeinen die Verwandschaftsrekonstruktionen, die anhand der mitochondrialen Marker erarbeitet worden waren. Gleichsam wie die 12S rRNS-basierten Rekonstruktionen fanden sich zwei unabhängige Cluster, die Vertreter der zwei Gattungen Agrionemys und Testudo enthielten. Innerhalb des letzteren wiesen Vertreter wie T. marginata und T. kleinmanni, aber auch T. graeca, hohe statistische Werte auf, wobei sich zwei reziprok monophyletische Gruppen ergaben. Im Vergleich zu den mitochondrialen Marken lieferten die RAPD-Marker deutlichere statistisch signifikante Unterschiede für die Proben von T. g. terrestris und den vier Unterarten T. g. ibera, T. g. armeniaca, T. g. pallasi, und T. g. nikolskii. In fast allen Fällen mit Ausnahme der Vertreter von T. g. ibera gruppierten sich die Vertreter der vier Unterarten in individuellen Unterclustern. Das geographische Haplotypenverteilungsmuster und die möglichen evolutionären Abstammungsszenarien sowie die Ausbreitung der Landschildkröten aus diesen zwei Gattungen werden diskutiert.

Breitrandschildkröte, Testudo marginata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Breitrandschildkröte,
Testudo marginata,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Wieder einmal eine molekulargenetische Arbeit zur Klärung der Testudo-Taxonomie. Ob sie wirklich so viel mehr an Erkenntnisgewinn bringt wie die vorhergehenden Arbeiten, bleibt unklar (siehe auch Fritz et al. 2007, Fritz & Bininda-Emonds 2007, Parham et al. 2006, Turkozan et al. 2010). Mir stellt sich die Frage, wozu wir diese Aufspaltungen eigentlich brauchen. Schützenswert sind meines Erachtens alle Populationen, und wenn wir mal ehrlich sind, haben wir im Zeitalter einer auf das Individuum basierten Medizin für den Menschen längst das molekulare Handwerkszeug, jede Population zu charakterisieren. Nur bringt uns das weiter? Im Falle des Menschen wird das sogar in öffentlichen Diskussionen verneint, weil man keine neuen Argumente für einen neuen Rassismus liefern will. Warum sollte das also für Tiere von Nutzen sein? Zum Schutz und für die Arterhaltungspraxis sind andere Erkenntnisse viel wichtiger (siehe Romiguier et al. 2014 oder Kommentar zu Roth & Krochmal (2015). Sicherlich hat die reine Systematik einen praktischen Nutzen für uns Menschen, der zum einen in der Kategorisierung liegt und zum anderen sich darin begründet, dass es natürlich hilfreich ist den Artnamen einer Giftschlange exakt benennen zu können, um möglichst schnell an das entsprechende Antiserum zu kommen, genauso wie es für die medizinische Diagnose durchaus von Bedeutung sein sollte den Krankheitserreger taxonomisch korrekt identifiziert zu haben, um entsprechende Behandlungsmaßnahmen einzuleiten. Allerdings, wie wir alle wissen, selbst da nutzt die medizinische bzw. veterinärmedizinische Praxis meist nicht alle Möglichkeiten, sonst würde nicht so häufig jeder Flagellat als angebliche Hexamite identifiziert, wobei auch nicht jede Hexamite, Hexamita parva ist usw. Über diese für uns anwendungsbezogene Praxis hinaus sollten wir aber die Taxonomie nicht überfordern und sie auch als Orientierung für die Arterhaltung missbrauchen, denn dort ist sie ohne solch grundlegende, ergänzende Informationen zur Ökologie überfordert und kann, wenn neuere Erkenntnisse nicht mit einbezogen werden, zu gravierenden Fehlbeurteilungen führen.

Ägyptische Landschildkröte, Testudo kleinmanni, – © Basim Rabia
Ägyptische Landschildkröte,
Testudo kleinmanni,
© Basim Rabia

Literatur

Fritz, U., A. K. Hundsdörfer, P. Široký, M. Auer, H. Kami, J. Lehmann, L. F. Mazanaeva, O. Türkozan & M. Wink (2007): Phenotypic plasticity leads to incongruence between morphology-based taxonomy and genetic differentiation in western Palaearctic tortoises (Testudo graeca complex; Testudines, Testudinidae). – Amphibia-Reptilia 28(1): 97-121 oder Abstract-Archiv.

Fritz, U. & O. R. Bininda-Emonds (2007): When genes meet nomenclature: Tortoise phylogeny and the shifting generic concepts of Testudo and Geochelone. – Zoology (Jena) 110(4): 298-307 oder Abstract-Archiv.

Parham, J. F., O. Türkozan, B. L. Stuart, M. Arakelyan, S. Shafei, J. R. Macey & T. J. Papenfuss (2006): Genetic evidence for premature taxonomic inflation in Middle Eastern tortoises. – Proceedings of the Californian Academy of Science 57: 955-964.

Romiguier, J., P. Gayral, M. Ballenghien, A. Bernard, V. Cahais, A. Chenuil, Y. Chiari, R. Dernat, L. Duret, N. Faivre, E. Loire, J. M. Lourenco, B. Nabholz, C. Roux, G. Tsagkogeorga, A. A.-T. Weber, L. A. Weinert, K. Belkhir, N. Bierne, S. Glémin & N. Galtier (2014): Comparative population genomics in animals uncovers the determinants of genetic diversity. – Nature 515(7526): 261-263 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2015): The Role of Age-Specific Learning and Experience for Turtles Navigating a Changing Landscape. – Current Biology 25(3): 333-337 oder Abstract-Archiv.

Weber, S. B., N. Weber, J. Ellick, A. Avery, R. Frauenstein, B. J. Godley, J. Sim, N. Williams & A. C. Broderick (2014): Recovery of the South Atlantic’s largest green turtle nesting population. – Biodiversity and Conservation 23(12): 3005-3018 oder Abstract-Archiv.

Turkozan, O., F. Kiremit, J. F. Parham, K. Olgun & E. Taskavak (2010): A quantitative reassessment of morphology-based taxonomic schemes for Turkish tortoises (Testudo graeca). – Amphibia-Reptilia 31(1): 69-83 oder Abstract-Archiv.

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