Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen Bidmon

Polo-Cavia - 2010 - 02

Polo-Cavia, N., A. Gonzalo1, P. López & J. Martín (2010): Predator Recognition of Native (Euopean Pond) but not invasive Turtle Predators (red-eared sliders) by naïve anuran tadpoles – Result- sliders out compete native turtles for food. – Animal Behaviour 80(3): 461-468 pp.

Beutegreiferwahrnehmung naiver Anuren Larven für Europäische Sumpfschildkröten aber nicht für invasive Schildkröten (Rotwangen-Schmuckschildkröten) – Schmuckschildkröten verdrängen einheimische Schildkröten durch Nahrungskonkurrenz.

DOI: 10.1016/j.anbehav.2010.06.004 ➚

 Emys orbicularis, Europäische Sumpfschildkröte – © Hans-Jürgen-Bidmon
Europäische Sumpfschildkröte,
Emys orbicularis,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Der Einfluss fremder Beutegreifer auf die Populationen der Beutetiere ist bei Erhaltungsbiologen bekannt. Es gibt jedoch wenige Informationen darüber welche negativen Auswirkungen sich durch diese von invasiven, ausgewilderten, exotischen Arten ausgehende Nahrungskonkurrenz für die einheimische Beutegreiferpopulationen ergeben. Auf der iberischen Halbinsel wurde die Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) und andere exotische Süßwasserschildkröten eingeführt, die mit den bedrohten einheimischen, europäischen und maurischen Sumpfschildkröten (Emys orbicularis und Mauremys leprosa) konkurrieren und diese verdrängen. Obwohl bislang die Gründe für den Konkurrenzkampf unbekannt sind ist eine direkte Konkurrenz um die verfügbare Nahrung sehr wahrscheinlich. Beide, einheimische sowie invasive Süßwasserschildkröten sind bekannt dafür, dass sie sich von Amphibienlarven (Kaulquappen) ernähren. Für einheimische naive Kaulquappen ist ein angeborenes Beutegreifervermeidungsverhalten bekannt. Sie reagieren auf einheimische, lokal vorhandene Beutegreifer, auch wenn sie erstmals mit ihnen in Kontakt kommen. Es ist unbekannt, ob sie auf invasive Beutegreifer auch entsprechend reagieren, da sie ja mit letzteren keine Coevolution durchlaufen haben.

Wir untersuchten bei den Larven von vier einheimischen Anurenarten der iberischen Halbinsel die Fähigkeit auf chemische Signale von invasiven und einheimischen Beutegreiferschildkröten zu reagieren. Larven von drei der vier getesteten Spezies reduzierten ihre Schwimmaktivität, wenn sich Signalstoffe von einheimischen Schildkröten im Wasser befanden, sie reagierten jedoch nicht auf die Signalstoffe der exotischen, invasiven Schildkröten. Diese Unfähigkeit der Kaulquappen initial auf die chemischen Signale invasiver Schildkröten zu reagieren könnte mit ein Grund für die Verdrängung einheimischer, iberischer Schildkrötenpopulationen durch invasive Schildkröten sein. Letzteres könnte auch erklären warum die fremden Prädatoren sich manchmal besser in neuen Habitaten entwickeln und ausbreiten als die Prädatoren die natürlicherweise lokal vorkommen.

Maurische Bachschildkröte, Mauremys leprosa, – © Hans-Jürgen Bidmon
Maurische Bachschildkröte,
Mauremys leprosa,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich wirklich um eine gute und nachdenklich stimmende Studie. Denn sie liefert erstmals klare Anhaltspunkte dafür, warum invasive Wasserschildkröten sich gegenüber den einheimischen Arten durchsetzen können, obwohl es sicher auch noch andere Gründe geben mag. Sie zeigt auch wie komplex die Zusammenhänge innerhalb dieser Ökosysteme sein können. Allerdings möchte ich auch etwas auf das oben angeführte „nachdenklich stimmende“ eingehen, denn wenn es diese Zusammenhänge gibt, dann müsste man auch überlegen, ob es Sinn ergibt zum Beispiel neue Biotope für die Auswilderung oder Wiederansiedlung einheimischer Sumpfschildkrötenarten anzulegen, zumindest dann, wenn vor Ort gefährdete und geschützte Amphibienarten vorkommen, denn ohne zu wissen wie diese auf die ausgewilderten oder wieder angesiedelten Schildkröten reagieren, könnte man diese dadurch einer weiteren Gefährdung aussetzen. Was langfristig, wenn die Schildkröten die Amphibienpopulation dezimiert haben auch deren eigene Ernährungsgrundlagen gefährden könnte. Aber auch im umgekehrten Fall könnten intakte Anurenpopulationen aus energetischer und ernährungsphysiologischer Sicht auch eine grundlegende Voraussetzung für die Erholung gefährdeter Sumpfschildkrötenbestände sein.

Das einzige was mich an der obigen Arbeit etwas verwundert ist die Feststellung, dass
Trachemys scripta sich von Kaulquappen ernährt. Das hätte ich eher für Clemmys guttata und Emydoidea blandingii erwartet (Beaudry et al. 2009).

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

In Bezug auf die Haltung von Wasserschildkröten stellt sich hier die Frage wie wichtig sind Amphibienlarven für deren Fortbestand und Entwicklung und bei welchen Arten machen sie einen wichtigen Nahrungsbestandteil aus? Denn wenn dem so sein sollte, dass das Dezimieren der Kaulquappenbestände schon ausreicht um einheimische Schildkrötenarten durch Nahrungskonkurrenz zu verdrängen, dann muss man davon ausgehen, dass sie einen wichtigen Faktor darstellen. Das könnte sogar sein, denn ich kenne z.B. eine Anlage in der etliche amerikanische Wasserschildkröten und Emys orbicularis ganzjährig in Außenanlagen gehalten werden und in der es sehr viele Rana esculenta gibt die sich dort auch vermehren. Gerade der Schildkrötennachwuchs gedeiht prächtig in dem er im Frühjahr und Frühsommer von Kaulquappen lebt. Dem gegenüber liest man in der Literatur zur Schildkrötenernährung relativ wenig über Kaulquappen als Nahrungsbestandteile, so dass man fast meinen könnte, dass alle Süßwasserschildkröten eher insektivor oder molluskivor seien. (Übrigens auch Würmer werden so gut wie nie erwähnt bei der Auswertung von Magenspülungen oder Kotproben). Macht man da einen Fehler nur weil man in den Magenspülungen und Kotproben zwar die harten Bestandteile des Exoskeletts von Insekten und Krebstieren, sowie die harten Schalenreste von Schnecken und Muscheln leichter identifizieren kann als das was von zarthäutigen, weichen Kaulquappen (und Würmern) übrig bleibt? Wenn dem so wäre müsste man eigentlich bezogen auf die Wasserschildkrötenhaltung in Zoos und privaten Nachzuchtprogrammen einmal darüber nachdenken die Inhaltsstoffe von Kaulquappen zu analysieren, um diese Daten dann als Grundlage für ein vermarktungsfähiges Kunstfutter zu nutzen. Vielleicht wäre man damit dann wesentlich näher an einer natürlichen, optimalen Ernährung als mit dem was wir heute so als Ersatzfutter nutzen. Da viele Kaulquappen sich auch herbivor von Algenaufwuchs und pflanzlichem Detritus ernähren und ihr Darm meist damit gefüllt ist könnte das eine wichtige Nahrungskomponente für karnivore Arten oder Entwicklungsstadien sein (siehe Bidmon 2010).

Literatur

Beaudry, F., P. G. deMaynadier & M. L. Hunter (2009): Seasonally Dynamic Habitat Use by Spotted (Clemmys guttata) and Blanding's Turtles (Emydoidea blandingii) in Maine. – Journal of Herpetology 43(4): 636-645 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2010): Karnivore Schildkröten: Was ist ihr handelsübliches Futter eigentlich wert? Oder: Die Bedeutung des Darminhalts der Futtertiere. – Schildkröten im Fokus 7(1): 3-18 ➚.

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