Maurische Landschildkröte, Testudo graeca, – © Hans-Jürgen Bidmon

Pérez - 2012 - 02

Pérez, I., A. Tenza, D. J. Anadon, J. Martinez-Fernandez, A. Pedreno & A. Gimenez (2012): Exurban sprawl increases the extinction probability of a threatened tortoise due to pet collections. – Ecological Modelling 245: 19-30.

Zersiedlung außerhalb der Städte erhöht die Aussterbenswahrscheinlichkeit bedrohter Schildkröten durch Sammlung der Tiere für die Heimtierhaltung.

DOI: 10.1016/j.ecolmodel.2012.03.016 ➚

Maurische Landschildkröte, Testudo graeca, – © Hans-Jürgen Bidmon
Maurische Landschildkröte,
Testudo graeca,
© Hans-Jürgen Bidmon

Das menschliche Verhalten ist ein wesentlicher Faktor, um zu verstehen, welche Auswirkungen die Zersiedlung der Landschaft außerhalb der Städte für die einheimischen Tierarten zeitigt (z. B. vereinzelte ländliche Wohnhausanlagen). Wir untersuchten in Südostspanien die Langzeitauswirkungen, die bei Populationen der gefährdeten Maurischen Landschildkröte durch das Sammeln von Tieren von Bewohnern solcher außerstädtischen, ländlichen Siedlungen verursacht werden. Wir konstruierten ein dynamisches Modellsystem aufgrund der von den Autoren gesammelten Daten und anhand von bibliographischen Daten (Literaturangaben) zur Beschreibung der Populationsdynamiken der Schildkröten in Abhängigkeit zur Zersiedlungsdynamik und in Beziehung zum Verhalten der Siedler den Tieren gegenüber. Das Modell schloss zwei Untermodelle mit ein (Schildkrötenpopulationsdynamik und Haushaltsentwicklung oder Besiedlungsdichte), die mit einem Schildkrötensammel-Modell als zweitem Untermodell verbunden wurden. Die Simulationen zeigten, dass die „Zunahme der Besiedlung“ (Zersiedlungsintensität) der essentielle Faktor ist, anhand dessen die Intensität und Geschwindigkeit, mit der Schildkrötenpopulationen abnehmen, bestimmt werden kann. Demnach erlöschen die Populationen durch Absammeln in Gebieten um mittlere und größere Ansiedlungen (mehr als 650 Häuser). Geringere Besiedlungsdichten führen bei den Originalpopulationen ebenfalls zu erheblichen Rückgängen, meist über 14 %. Umweltbezogene Fortbildungsprogramme, mit dem Ziel die Bevölkerung dahingehend aufzuklären, keine Schildkröten in Gefangenschaft zu halten, erwiesen sich als nicht effektiv, wobei Qualität und frühzeitige Einführung solcher Fortbildungsmaßnahmen Schlüsselfaktoren für deren Effektivität sind. Die simulierten Modellszenarien lassen den Schluss zu, dass die Einführung von strikten Begrenzungen für die Besiedlung und umweltbezogene Fortbildungsmaßnahmen am besten geeignet sind, die Auswirkungen einer Landschaftszersiedlung auf die Schildkrötenpopulationen zu minimieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine Modellsimulationsstudie, die auch so ihre Tücken hat – allerdings denke ich, dass es als Ergebnis schon mal gut ist eine verwaltungstechnisch verwendbare Größe wie 650 Häuser als Anhaltspunkt zu haben. Nun fragt man sich natürlich, wie war das denn früher, wo ja auch Dörfer durchaus solche Größenordnungen erreichten, ohne dass dabei gleich ganze Schildkrötenpopulationen zusammenbrachen, so dass wir sie mancherorts auch heute noch um solche Dörfer herum finden können? Schaut man sich genauer an, wo das noch der Fall ist, stellt man sehr schnell fest, dass es sich meist um Gegenden handelt, in denen eine Agrarwirtschaft nach altem Muster betrieben wird, und ein wenig dichtes Straßennetz vorhanden ist, wie wir es des Öfteren noch in Osteuropa vorfinden. Dort stellt man aber auch fest, dass in solchen Gegenden manche Bevölkerungsgruppen Schildkröten sogar als Nahrung nutzen und trotzdem sind die Schildkrötenpopulationen nicht erloschen. Die wirklich großen Populationsrückgänge kamen erst mit dem Absammeln für den Tierhandel in den sechziger bis achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Erst heute kommt es durch die modernen Baumaßnahmen für die Tourismusindustrie zum Ausbau moderner Straßennetze. Dass Schildkröten als Heimtiere von Kindern mitgenommen werden, mag zwar den Trend verstärken, ändert aber nur marginal etwas daran, dass weit mehr Tiere den Planiermaschinen und später dann dem immer dichter ausgebautem Straßennetz mit seinem Verkehr zum Opfer fallen. Denn gut geteerte Straßen speichern Wärme und sorgen so dafür, dass sich vor allem im Frühjahr und Herbst abends Schildkröten auf dem Asphalt erwärmen und dann eben auch überfahren werden. Ebenso bietet eine moderne Agrarwirtschaft mit Kreiselmähern und Pflügen, die pro Tag mehrere Hektar großflächig bearbeiten, den Tieren oft keine Ausweichmöglichkeiten mehr. Ich glaube zwar den Autoren, dass die Populationen ab einer gewissen Besiedlungsdichte zusammenbrechen, aber nicht dadurch, dass sich das eine oder andere Kind oder die ein oder andere dort lebende Familie eine Schildkröte im Garten hält. Vielmehr gehe ich davon aus, dass die Populationsrückgänge wahrscheinlich noch besser mit dem Ausbau des Straßennetzes und dem lokal zunehmenden Verkehrsaufkommen in und um solch größere Ansiedlungen korrelieren würde. Wir sollten uns wirklich bemühen, richtig hinzuschauen und uns auch fragen, was unterscheidet heutige menschliche Besiedlungsmaßnahmen von denen vergangener Zeiten, um zu realistischen Einschätzungen zu kommen. Siehe auch Kommentare zu Hailey & Willemsen 2003, Perez et al. 2004, Anadon et al. 2007, Lee & Smith 2010, Ljubisavljevic et al. 2011).

Literatur

Anadon, J. D., A. Gimenez, M. Martinez, J. A. Palazon & M. A. Esteve (2007): Assessing changes in habitat quality due to land use changes in the spur-thighed tortoise Testudo graeca using hierarchical predictive habitat models. – Diversity and Distributions 13(3): 324-331 oder Abstract-Archiv.

Hailey, A. & R. E. Willemsen (2003): Changes in the status of tortoise populations in Greece 1984-2001. – Biodiversity and Conservation 12(5): 991-1011 oder Abstract-Archiv.

Lee, D. S & K. Smith (2010): Testudostan: Our post-cold war global exploitation of a noble tortoise. – Bulletin of the Chicago Herpetological Society 45(1): 1-9 oder Abstract-Archiv.

Ljubisavljevic, K., G. Dzukic & M. L. Kalezic (2011): The commercial export of the land tortoises (Testudo spp.) from the territory of the former Yugoslavia: a historical review and the impact of overharvesting on wild populations. – North-Western Journal of Zoology 7(2): 250-260 oder Abstract-Archiv.

Perez, I., A. Gimenez, J. A. Sanchez-Zapata, J. D. Anadon, M. Martinez & M. A. Esteve (2004): Non-commercial collection of spur-thighed tortoises (Testudo graeca graeca): A cultural problem in southeast Spain. – Biological Conservation 118(2): 175-181 oder Abstract-Archiv.

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