Lee, D. S & K. Smith (2010): Testudostan: Our post-cold war global exploitation of a noble tortoise. – Bulletin of the Chicago Herpetological Society 45(1): 1-9.
Testudostan: Unsere globale Ausbeutung einer noblen Landschildkröte nach dem Kalten Krieg.
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Sowohl aus der Sicht einer Person, die nach einer Haustierschildkröte sucht, als auch aus Sicht der Erhaltungsbiologie ist die Steppenschildkröte eine der problematischsten Kandidatinnen, die man als Wildfang aus dem Reptilien-Haustierhandel erwerben kann. Trotzdem wurde diese kleine Spezies aus vielfältigen ökonomischen und politischen Gründen zu einer der am häufigsten vermarkteten Spezies. Seit 1970 wurden allein in die USA weit mehr als eine Million Wildfänge adulter Steppenschildkröten importiert. Vermutlich sind heute nur weniger als 1-2 % davon am Leben.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Diese Arbeit fasst in eindrucksvoller, gut recherchierter Weise die Entwicklung des Handels mit der Vierzehenlandschildkröte zusammen (siehe auch Vinke & Vinke 2009). Aber die Arbeit liefert mehr, denn sie geht auch auf die Literatur aus den Verbreitungsgebieten ein und hat auch in hervorragender Weise die ältere Literatur zur Ökologie, Habitatansprüchen und Lebensweise dieser Tiere in ihren unterschiedlichsten semiariden Lebensräumen recherchiert. Angaben wie die Notwendigkeit des halbtrockenen Klimas, gekoppelt mit einer Aktivitätszeit, die in den meisten Vorkommensgebieten nur drei Monate oder noch weniger im Jahr beträgt, werden herausgearbeitet, um dem Leser klar zu machen, welchen „verlogenen“ Stellenwert die Bezeichnung „Captive bred“ „in Gefangenschaft nachgezüchtet“ hat, wenn die angeblichen Zuchtfarnen in tropisch, feuchten Klimaregionen Süd- oder Mittelamerikas angesiedelt sein sollen. Wobei die Einfuhr adulter T. horsfieldii in diese die Zuchtfarmen beherbergenden Staaten pro Jahr so hoch liegen, dass man schon aus dem Vergleich der Zahlen ableiten kann, dass hier Wildfänge eher umetikettiert werden, als wirklich gezüchtet werden. Zumal die Alttiere allein aufgrund der Klimaverhältnisse wohl eher gesundheitliche Probleme haben dürften, als unter diesen Bedingungen auch noch zu züchten. Zudem wäre eine Zucht für den U.S.-Markt viel zu teuer, da die die Schlüpflinge eine Größe von 4 Inch (10 cm) haben müssten, ehe sie offiziell eingeführt werden dürften.
Die Autoren gehen auch auf die Exporteure von T. horsfieldii aus den ehemaligen Sowjetrepubliken ein und schildern sehr klar, dass im Wesentlichen zwei Firmen das Hauptgeschäft machen, die eigentlich im Kerngeschäft in der internationalen Tourismusbranche tätig sind und somit über ihre weltweiten internationalen Verbindungen die besten Voraussetzungen haben, diesen Handel zu forcieren und auf internationaler Ebene zu organisieren. Da für viele ärmere Länder gerade der internationale Tourismus eine wichtige Einnahmequelle darstellt, ist – auch wenn das in der Arbeit so explizit nicht angesprochen wird – eigentlich klar, wie erpressbar auch die Politik wird, wenn es darum geht, ein Auge gegenüber nicht ganz legalen Machenschaften zuzudrücken. Ja, selbst für uns westliche Industrienationen ist ja oft das Kapital, das in der Tourismusindustrie fließt, ein Eintrittstor für politische Beziehungen, selbst mit Staaten, die sonst eher andere Zielsetzungen verfolgen und auch da ist es nicht unüblich, die Augen geschlossen zu halten.
Neben vielen anderen interessanten Aspekten aus dem Inhalt dieser wirklich engagiert recherchierten und geschriebenen Arbeit möchte ich noch kurz auf den Schluss eingehen. Hier verweisen die Autoren darauf, dass es doch eigentlich nicht sein kann, dass eine der Landschildkröten mit dem größten Verbreitungsgebiet, dass zudem noch in den unwirtlichsten Gegenden dieser Erde liegt, als „vulnerable“ gefährdet von der IUNC eingestuft wird, wobei die Listung in dieser Kategorie darauf beruht, dass man davon ausgeht, das in den nächsten 10 Jahren 25 % der wildlebenden Gesamtpopulation ausgerottet sind (Hilton-Taylor 2000), und diese Listung erfolgte schon vor mehr als 10 Jahren. Vor fünf Jahren hatten sich in den USA die Vertreter dreier Organisationen zum Schildkrötenschutz mit den Managern von Tierhandelsketten zusammengesetzt, um den Handel mit diesen Schildkröten zu reduzieren, was allerdings zu keinem Erfolg führte. Die klare Lektion daraus ist, dass der Handel letztendlich von den Konsumenten bestimmt wird. Konsequenterweise endet die Arbeit mit dem Aufruf keine Wildfänge mehr zu kaufen.
Nun das war anscheinend vor fünf Jahren in den USA, hat man davon etwas in Deutschland oder bei unseren herpetologisch ambitionierten Verbänden gehört? Nein, denn den Handel, egal mit welchen Amphibien und Reptilien zu beschränken, wäre in deren Sichtweise fatal und würde vielleicht sogar Mitglieder kosten, denn jeder neue Reptilienbesitzer könnte ja ein neues Mitglied sein. Da fördert man doch lieber den Handel und trägt auch noch dazu bei, diese dubiose Art des „Captive bred“, gefarmt oder geranched zu unterstützen und die Einfuhr solcher Tiere aus dem Ausland zu erleichtern (Vinke & Vinke 2010). Wenn solche Organisationen wirklich etwas Verantwortungsvolles, Nachhaltiges für das Hobby ihrer Mitglieder tun wollten, dann würden sie sich mit anderen nationalen und internationalen Organisationen zeitnah zusammen tun, um wirklich die Nachzucht zu fördern und zu organisieren, ja sogar zu erleichtern und sich auf politischer Ebene aktiv und öffentlich gegen diese Importpraktiken und Erleichterungen einsetzen. Ja man könnte, wenn man zukunftsweisend handeln möchte, auch so weit gehen, den Handel mit zu organisieren und als Mittler zwischen Züchter und Handel zu fungieren. Sicher, und auch das sei hier angesprochen, geht das nur, wenn die Mitglieder das auch wollen. Wer aktiv den Raubau an der Natur und den legalen sowie illegalen Handel eindämmen möchte, der muss Alternativen schaffen und da dieser Verbraucher getriebene Markt existiert, heißt das, dass auch jede nachgezüchtete, über den Handel verkaufte Schildkröte dazu beiträgt, dass dafür unmittelbar kein Wildtier importiert werden muss. Sicher, wo gehobelt wird fallen Späne und so manche/r mag davor zurückschrecken zu erleben, dass eine liebevoll aufgezogene Nachzucht zeitweilig hinter Glas im Terrarium eines Geschäfts sitzen muss, ehe sie einen neuen Besitzer/in findet, aber das ist eine Möglichkeit und ein kleines Opfer, aktiv den oft verlustreichen noch strapaziöseren internationalen Transport zu ersparen. Zeitgleich helfen Sie sich auch selbst, denn mit jedem aus dem legalen/illegalen Handel rein kommenden Tier erhöht sich auch die Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen (siehe Fischer et al. 2006, Marschang et al. 2009; Martel et al. 2009) und die könnten auch einmal auf ihren Bestand übergreifen.
Selbst auf politischer Ebene könnte eine dem Naturschutz und Biodiversitätschutz gegenüber verpflichtete Regierung oder Bundesregierung sogar tätig werden, den Raubbau einzuschränken, denn es wäre auch durchaus eine Maßnahme, jenen Händlern, die gezielt nur auf die Vermarktung im Innland nachgezogener geschützter Spezies zurückgreifen eine z.B. Mehrwertssteuersenkung zu gewähren. So könnte ich mir zumindest einen praktikablen Artenschutz auch hierzulande vorstellen Denn dieses alte Spiel nur Verbote zu erlassen und auf das immer gleiche Gejammer der Verbände zu warten, die jede Beschränkung erst einmal als Einschränkung der persönliche Freiheit zur Exotenhaltung empfinden, hat ja weder in der Vergangenheit noch aktuell zu Verbesserungen geführt. Warum also nicht einmal etwas radikaler umdenken und selbst öffentlichkeitswirksam aktiv werden mit den Mitteln, die man hat, Mitglieder zur Zucht animieren, der Politik den Nutzen klarmachen und mit dem nationalen Handel die Inlandsvermarktung angemessen zu organisieren und fortbildend zu begleiten? Nun werden einige sagen, dass machen wir doch schon seit Jahren, Nachzuchttagungen, Vertreten bei der Terraristika in Hamm etc. Ja, aber wo ist die aktive Positionierung für den Artenschutz und die den Schutzzielen angemessene Interaktion mit dem Handel? Die beinhaltet meist kein Umdenken, sondern beschränkt sich wohl eher darauf Spenden aus dem Handel zu akzeptieren, und sich als Gegenleistung wieder gegen die verbotsähnlichen Versuche einer Handels- bzw. Besitzregulierung durch die Politik aufzuregen und Gegengutachten zu erstellen.
Merkt eigentlich niemand, dass diese festgefahren Strukturen und Facetten des immer gleichen Spiels letztendlich, wenn es politisch auch auf EU-Ebene hart auf hart kommt, für die Mitglieder solcher Vereinigungen zum genauen Gegenteil kommt? Warum also nicht gleich, sowohl Mitglieder als auch Handel und Politik öffentlichkeitswirksam aktiv angehen und zum Umdenken bewegen? Denn wenn das eintritt, dann dürfte sich sowohl auf Seiten der verantwortungsvollen Züchter wie auch der Händler der Profit auf ein akzeptables Niveau einpendeln.
Ich muss sagen, ich kenne heute schon einige private Züchter, von denen zwar manche/r in keinem Verband organisiert ist, die aber seit Jahren einen guten Anteil ihrer Nachzuchten über den Handel vermarkten, obwohl sie privat alle nur erdenklichen Mühen für das Wohlergehen ihrer Tiere tun. Und im kleinen Rahmen war das auch gar nicht mal so unlukrativ, denn die Leute, die sich im Handel eine Schildkröte kauften und mit der CITES Bescheinigung auch die Adresse des Züchters bekamen, wendeten sich meist beim Zweitkauf gleich an den Züchter. Letzteres wäre natürlich für den Handel kontraproduktiv, aber auch da gibt es Möglichkeiten dagegen zu steuern.
An dieser Stelle höre ich jetzt schon wieder zum einen die, die vielleicht aus Sozialneid andern vorwerfen, sie seien nur auf Kommerz aus, und zum anderen jene, die da meinen, man könne es nicht übers Herz bringen, ein Tier für ein paar Tage oder Wochen hinter Glas im Geschäft zu sehen und dann noch jemanden dauerhaft zu überlassen, den man vielleicht gar nicht kennt. Nun den ersteren ist meist nicht zu helfen, denn Lebenseinstellungen ändert man meist nicht, aber allen anderen erlaube ich mir schon die Frage zu stellen, wie sie es mit den eigenen Kindern halten? Oder haben Sie auf die auch verzichtet, weil ja bekanntlich guten fetten Wirtschaftswunderjahren (Nachkriegsjahren) auch mal wieder schlechtere Zeiten folgen könnten, und Sie es nicht ertragen könnten, geliebte Kinder in eine ungewisse kalte Welt zu entlassen, in der sie auch noch ihren eigenen Weg gehen müssen? Ich denke, dass trotz unserer menschlichen Emotionalität manchmal etwas Logik und Sachlichkeit angebracht ist, um etwas Sinnvolles im Sinne des Artenschutzes (einschließlich unserer eigenen Spezies) zu tun. Letztendlich wollen sich die meisten für den Natur- und Artenschutz engagieren und sind sogar bereit, Spenden dafür aufzubringen, warum also nicht auch aktiv dazu beitragen, dass der Handel mit dubiosen gefarmten Tieren und Wildfängen reduziert wird?
Literatur
Fischer, S., K. Strutzberg-Minder, G. Müller & M. Homuth (2006): Molecularbiological diagnosis of herpes virus infection of a juvenile Russian tortoise (Agrionemys horsfieldii) with skin and lung lesions. – Berliner und Münchner tierärztliche Wochenschrift 119(1-2): 28-34 oder Abstract-Archiv.
Hilton-Taylor, C. (2000): 2000 IUCN Red List of Threatened Species. – Gland, Switzerland and Cambridge, UK (IUCN Publications), 64 S.
Marschang, R. E., T. Papp, L. Ferretti, S. Hochscheid & F. Bentivegna (2009): Detection and partial characterization of herpesviruses from Egyptian tortoises (Testudo kleinmanni) imported into Italy from Libya. – Journal of Zoo and Wildlife Medicine 40(1): 211-213 oder Abstract-Archiv.
Martel, A., S. Blahak, H. Vissenaekens & F. Pasmans (2009): Reintroduction of clinically healthy tortoises: the herpesvirus trojan horse. – Journal of Wildlife Diseases 45(1): 218-220 oder Abstract-Archiv.
Vinke, T. & S. Vinke (2009): Bedrohen Schildkrötenfarmen die Wildbestände? – Schildkröten im Fokus 6(4): 3-21 ➚.
Vinke, T. & S. Vinke (2010): Ergibt es auch heute noch einen Sinn, Schildkröten zu vermehren? – Schildkröten im Fokus 7(1): 30-34 ➚.