Maurische Bachschildkröte, Mauremys leprosa, – © Hans-Jürgen Bidmon

Oziolor - 2019 - 01

Oziolor, E. M., N. M. Reid, S. Yair, K. M. Lee, S. Guberman VerPloeg, P. C. Bruns, J. R. Shaw, A. Whitehead & C. W. Matson (2019): Adaptive introgression enables evolutionary rescue from extreme environmental pollution. – Science 364(6439): 455-457.

Adaptive Introgression befähigt zur evolutiven Rettung vor extremer Umweltbelastung.

DOI: 10.1126/science.aav4155 ➚

Maurische Bachschildkröte, Mauremys leprosa, – © Hans-Jürgen Bidmon
Maurische Bachschildkröte,
Mauremys leprosa,
© Hans-Jürgen Bidmon

Radikale Umweltveränderungen die zu Populationsrückgängen führen können sich auf die Ressourcen für die genetische Variation auswirken und können dazu beitragen Evolutionslinien zu retten. Eine adaptive Anpassung und die Entwicklung einer Resistenz gegenüber Giften evolvierte bei den Golf-Killifischen (Fundulus grandis), die verschmutzte Habitate besiedelten sehr schnell. Wir zeigen hier, dass der Grad der Resistenz mit dem Grad der Umweltbelastung ansteigt und eine negative Korrelation besteht zur Induktion des Arylhydrocarbonrezeptor (AHR) –Signalwegs. Die Loci mit den deutlichsten Signaturen für eine kürzlich erfolgte Selektion befinden sich auf Genen die den AHR-Signalweg regulieren.
Zwei dieser Genorte (Loci) wurden durch eine Introgression mit dem Atlantischen Killifisch (F. heteroclitus) eingeführt die vor etwa 18 bis 34 Generationen stattgefunden hat. Einer der introgressierten Loci beinhaltet den Verlust des AHR was zu einem sehr großen Anpassungsvorteil führte (Selektionskoeffizient (s)=0.8). Wenn man berücksichtigt, dass Killifische keine großen Migrationen zeigen wurde diese Adaptive-Introgression durch menschliches Zutun nämlich den Transport von Fischen unterstützt. Wir vermuten, dass die Interspezies-Konnektivität eine wichtige Bedingung dafür ist eine adaptive Anpassung an extreme Umweltveränderungen zu gewährleisten .

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun werden sicher wieder einige sagen, hier handelt es sich ja um Fische und nicht noch höher entwickelte Wirbeltiere. Aber Vorsicht gleiches wurde ja auch schon für Mäuse (Säugetiere) gezeigt (siehe Kommentar zu Hoffmann & Sgro, 2011). Ja und für alle Lebewesen (Evolutionslinien) die wir heute (rezent) kennen waren irgendwann Anpassungen an sich relativ schnell verändernde Umweltbedingungen notwendig, denn sowohl Meteoriteneinschläge wie große Vulkanausbrüche führten in der Geschichte unseres Planeten zu schnellen und vor allem weitreichenden (globalen) Umweltveränderungen denen sie sich anpassen mussten (siehe auch Bidmon, 2017). Solche Anpassungsleistungen müssen nicht immer gleich auf genetischer Ebene realisiert werden, sondern können auch Lernverhalten und Verhaltensplastizität mit einbeziehen (siehe Kommentar zu Roth & Krochmal, 2018). Ja, und wir beobachten sie auch aktuell in Bezug zum Klimawandel (siehe: Fretwell & Trathan, 2019) die zeigen, dass die Abwanderung aus einer unbrauchbar gewordenen Brutkolonie hin zu einer anderen wohl ein Ausweg aus der Misere ist. Letzteres ist ja auch schon für Meeresschildkröten bekannt für die inzwischen beides sowohl Hybridisierung und Niststrandverschiebungen bekannt geworden sind. Ja und letztendlich kennen wir auch Schildkrötenarten wie z. b. Mauremys leprosa die die Fähigkeit besitzen stark verschmutze Gewässer zu tolerieren (El Hassani et al., 2019; Hofstra, 2015). Ob sie bei Hybridisierung mit anderen Arten diese Fähigkeit weitervererben würden könnte man experimentell erforschen oder darauf warten bis man eventuell entsprechende Beispiele dafür in der Natur findet. Jedenfalls hat M. leprosa auch heute noch ein gewisses Ausbreitungs- oder Wiederbesiedlungspotential (siehe dazu Franch et al., 2015). Ich möchte hier keinesfalls dafür plädieren Arten zu vermischen, aber wir sollten langsam beginnen zu verstehen wie die Natur arbeitet und wie sie offensichtlich wert- und moralfrei ihre Möglichkeiten zur Überlebenssicherung von Evolutionslinien ausschöpft. Ja, und wir sollten ernsthaft darüber nachdenken! Sicher, wir halten uns für intelligent genug Auswege zu finden, aber letztendlich kann ich dazu nur anmerken, dass weder CITES-Konferenzen noch Klimaschutzkonferenzen oder der neu eingeführte Biodiversitätsgipfel bislang etwas zur Verbesserung der Situation beigetragen haben. Nein: Denn bis jetzt haben diese Konferenzen nur den Ausstoß von Treibhausgasen durch die entsprechenden An- und Abreiseaktivitäten erhöht, aber kaum einen signifikant nachweisbaren Verbesserungseffekt erbracht. Ob dies überhaupt möglich ist bleibt auch unklar, denn bislang steigt ja der Bevölkerungszuwachs noch an und wird den Landverbrauch eher noch befördern, da dieses Mehr an Menschen auch mehr Ressourcen beanspruchen wird. So zynisch sich das auch anhören mag trägt ja jede lebensverlängernde Maßnahme auch dazu bei, dass mehr Ressourcen verbraucht werden und zudem gehen wir mit unseren Verstorbenen noch sehr unökologisch um indem wir noch zusätzliche Energie verbrauchen und Treibhausgase durch deren Verbrennung emittieren. Eigentlich müssten Erd- bzw. Seebestattungen aus ökologischen Gründen eher subventioniert werden und Krematorien eher als Ausnahme genutzt werden.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

El Hassani, M. S., E. M. El Hassan, T. Slimani & X. Bonnet (2019): Morphological and physiological assessments reveal that freshwater turtle (Mauremys leprosa) can flourish under extremely degraded-polluted conditions. – Chemosphere 220: 432-441 oder Abstract-Archiv.

Franch, M., A. Montori, N. Sillero & G. A. Llorente (2015): Temporal analysis of Mauremys leprosa (Testudines, Geoemydidae) distribution in northeastern Iberia: unusual increase in the distribution of a native species. – Hydrobiologia 757: 129-142 oder Abstract-Archiv.

Fretwell, P. T. & P. N. Trathan (2019): Emperors on thin ice: three years of breeding failure at Halley Bay. – Antarctic Science 31(3): 133-138; DOI: 10.1017/S0954102019000099 ➚.

Hoffmann, A. A. & C. M. Sgro (2011): Climate change and evolutionary Adaptation. – Nature 470(7335): 479-485 oder Abstract-Archiv.

Hofstra, J. (2015): Moerasschildpadden op het Griekse eiland Lesbos. – Schildkröten im Fokus Online 2015 3: 1-9 oder Artikel-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2018): Of molecules, memories and migration: M1 acetylcholine receptors facilitate spatial memory formation and recall during migratory navigation. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 285(1891) oder Abstract-Archiv.

Galerien