Dornrand-Weichschildkröte, Apalone spinifera, ein Tier vom Yellowstone und die Crew – © Kayhan Ostovar

Marchetti - 2015 - 01

Marchetti, M. P. & T. Engstrom (2015): The conservation paradox of endangered and invasive species. – Conservation Biology 30(2): 434-437.

Das Erhaltungsparadox für bestandsbedrohte und gleichzeitig invasive Spezies.

DOI: 10.1111/cobi.12642 ➚

Für Ökologen wird es zunehmend wahrscheinlicher, dass sie sich bei ihren Biodiversitätserhaltungsbemühungen mit konkurrierenden Prioritäten auseinandersetzen müssen, die sich auf ein und dieselbe Art beziehen: Also gefährdete Arten, die gleichzeitig als unnatürliche Populationen auftreten. Diese Interessensüberlappung tritt dann ein, wenn eine nicht einheimische Art ein neues fremdes Habitat (invasiv) besiedelt aber gleichzeitig in ihrem natürlichen Bestand als stark bedroht gilt. Diese Situation führt zu einem schwerwiegenden philosophischen Paradox, bei dem die Arterhaltungsbemühungen für diese gefährdete Art im Gegensatz zu den Erhaltungsbemühungen für das natürliche Ökosystem vor Ort stehen. Dies gilt insbesondere, wenn dadurch das Überleben einheimischer Arten bedroht wird.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese etwas allgemein verfasste Arbeit adressiert dieses Problem allerdings an einem aktuellen Beispiel – anhand der Dornnackenweichschildkröte Palea steindachneri – die in ihren natürlichen Beständen in Südostasien als fast ausgerottet gilt und die von der IUCN zu den 48 am stärksten bedrohten Schildkrötenarten der Welt gerechnet wird. Da sie in China schon immer ein begehrtes Nahrungsmittel war, wurde sie im 18. Jahrhundert von chinesischen Fremdarbeitern auch auf Mauritius, Hawaii und im Sacramento-Fluss angesiedelt. Die Autoren fanden eine gut etablierte Population dieser großen Schildkröten auf der Insel Kauai (Hawaii). Weitere Populationen sollen auf den Inseln Oahu und Maui vorkommen. Ihre Untersuchungen zeigten auch, dass sie dort zumindest als bedeutende Nahrungskonkurrenten für einheimische, endemische Spezies auftreten und dass sie in einem Flusssystem vorkommen, indem eine sehr stark bedrohte Schneckenart lebt, die ebenfalls zu ihrem Nahrungsspektrum zählt.
Nun, ich denke zu solchen Situationen kann es zunehmend kommen, insbesondere dann wenn man bedenkt, dass es selbst schon bei den natürlichen Populationen der weltweit wohl invasivsten Schildkrötenart der Rotwangenschmuck zu deutlichen Bestandsrückgängen innerhalb einiger ihrer Ursprungsbiotope gekommen ist (Brown et al. 2011; 2012). Die Autoren der obigen Arbeit haben zwar derzeit auch noch keine allgemein akzeptable Lösung für das angesprochene Phänomen, sie zeigen aber ganz nebenbei, dass das frühere Aussetzen solcher Tiere dafür gesorgt hat, dass es dadurch zumindest für diese Tiere selbst zu einer das Überleben sichernden Gründung von sogenannten Metapopulationen gekommen ist, denn damit waren sie erst einmal dem zunehmenden Druck auf die Artangehörigen in den chinesischen Orginalbiotopen entkommen und stehen heute noch als sich selbst erhaltende Erhaltungspopulationen zur Verfügung. Letzteres gibt uns Zeit über ein entsprechend sinnvolles Erhaltungsmanagement nachzudenken und es auch zu realisieren. Welche Chancen sich dadurch bieten können, dazu denke ich könnte das Buch von Carroll (2016) durchaus einige positive Anregungen aus sowohl historischer wie praktikabler Sicht bieten, auch wenn es keine direkten Beispiele für Schildkröten beinhaltet.

Literatur

Brown, D. J., V. R. Farallo, J. R. Dixon, J. T. Baccus, T. R. Simpson & M. R. J. Forstner (2011): Freshwater Turtle Conservation in Texas: Harvest Effects and Efficacy of the Current Management Regime. – Journal of Wildlife Management 75(3): 486-494 oder Abstract-Archiv.

Brown, D. J., A. D. Schultz, J. R. Dixon, B. E. Dickerson & M. R. J. Forstner (2012): Decline of Red-Eared Sliders (Trachemys scripta elegans) and Texas Spiny Softshells (Apalone spinifera emoryi) in the Lower Rio Grande Valley of Texas. – Chelonian Conservation and Biology 11(1): 138-143 oder Abstract-Archiv.

Carroll, S. B. (2016): The Serengeti Rules: The quest to discover how life works and why it matters. – Princeton University Press, New Jersey, pp. 263.