Lee - 2011 - 01

Lee, H. (2011): Climate change, connectivity, and conservation success. – Conservation Biology 25(6): 1139-1142.

Klimawandel, Konnektivität und Erhaltungserfolg.

DOI: 10.1111/j.1523-1739.2011.01788.x ➚

Zusammengefasst und kommentiert von Hans-Jürgen Bidmon

 

Liebe Leser,

dieser Essay hat kein Abstract, veranschaulicht aber sehr schön, in welchem Dilemma sich die Erhaltungsbiologie und der Naturschutz im Allgemeinen weltweit befinden. Schon die Einleitung macht deutlich, worum es geht, denn die Autorin verweist darauf, dass Whitten et al. (2001) vor zehn Jahren die Frage stellte, ob Erhaltungsbiologie (Conservation Biology) ein neues Spielfeld (psychologisch ausgedrückt: Ein Ersatz- oder Verdrängungsverhalten) für Biologen ist? Das etwas zynische Argument für diese Sichtweise basierte darauf, dass in Südostasien die Wälder massiv zerstört wurden, während die Biologen zeitgleich versuchten, Erhaltungsmaßnahmen zu publizieren, wobei doch jeder, der Zwei und Zwei zusammenzählen konnte, sah, dass die darüber publizierenden Biologen die Schlacht um den Erhalt ihrer Schutzziele verloren hatten. Lee wirft in 2011 eine ähnlich zynische Frage auf, nämlich die, ob heute gleiches auf jene Biologen zutrifft, die über den Klimawandel schreiben? Im Speziellen fragt sie: Ob das Schreiben über die Probleme des Klimawandels ein Ersatz- oder Verdrängungsverhalten betroffener Biologen sei, weil sie ihre Impotenz, die weltweiten Habitatverluste nicht stoppen zu können, verdrängen wollen, denn eigentlich ist ja die Fokussierung auf den Habitatverlust (welches das wirkliche Alphamännchen in der Erhaltungsbiologie darstellt) immer noch das Wichtigste? Im Grunde genommen, eine banale Erkenntnis, denn wie will man natürliche Bestände und Populationen erhalten, wenn nicht dadurch, dass man ihren Lebensraum erhält.
Dennoch ist die Frage berechtigt: Denn es geht um die Entwicklung eines Verständnisses dafür, wie man Habitate und Arten unter den Auswirkungen sich klimatisch verändernder Umweltbedingungen erhalten kann. Das Dilemma dabei ist, dass wir über die zukünftig auftretenden Veränderungen durch den Klimawandel nur Spekulationen und keine Fakten, bestenfalls Computermodellvorhersagen haben, aber dennoch Maßnahmen treffen müssen. Denn während wir auf Langzeitbeobachtungen zur aktuellen Klimaveränderung warten, wird immer mehr Habitat immer schneller verbraucht, sodass die Möglichkeiten für zukünftige Schutzmaßnahmen mit jeder Verzögerung schwinden. Vor diesem Hintergrund sollte man auch einmal den gerade stattfindenden Klimagipfel in Durban sehen, denn wie sich die Politik mit ihrer national kleinkarierten Sichtweise dort verhält, lässt einen auch fragen, ob die Steuergelder, die so etwas verbraucht, wirklich gerechtfertigt sind? Wie Lee aber bezeichnenderweise ausführt, gab es wohl im Jahr 2010 ca. 2.600 Publikationen, die das Thema Klimawandel und Erhaltungsbiologie adressierten, während es weniger als 50 Publikationen gab, die darauf abzielten, ob die Strategien oder die Finanzierung globaler Schutzmaßnahmen ausreichend sind, oder ob die Ziele der „Convention on Biological Diversity“ (Konvention zum Biodiversitätserhalt) erreicht wurden. Insofern eine Bestätigung der Sichtweise, dass wir zwar immer gut darin sind, Probleme zu benennen, aber kaum in der Lage sind sie zu lösen (siehe Kommentar zu Hoffmann & Sgro 2011). Ja, wenn man sich in den Medien die Kommentare zum Klimagipfel in Durban anhört, könnte man fast meinen, es hilft nur der „Glauben“, denn ohne dass eine imaginärere Gottheit, egal welcher Religion sie angehört, eine Entscheidung trifft, tun es unsere Politiker nicht. Bedarf es immer erst eines Vorfalls wie in Fukushima, ehe sich Mehrheiten für konsequente Entscheidungen finden?
Wie Lee hier weiter ausführt, müssen wir uns dringend darüber verständigen, was wir mit Konnektivität meinen, denn um diese Probleme, sprich Klimawandel und Habitatverlust und deren Auswirkungen im Sinne des Artenschutzes zu minimieren, geht es nicht so sehr darum, andere Konzepte zu entwickeln, als darum, schnell, aber möglichst intelligent zu handeln. Viele verbinden mit dem Begriff Konnektivität immer noch den Erhalt riesiger Landflächen für migrierende (wandernde) Herden von Säugetieren, wie jene in der Serengeti Afrikas. Das ist zwar für einige Arten auch wichtig, aber längst nicht alles. Konnektivität bedeutet auch Verbindungen zwischen kleinflächigen Lebensräumen von Populationen zu erhalten, ebenso wie es darum geht, Korridore offen zu halten, die es Arten ermöglichen, sich einem sich ändernden Klima dahingehend anzupassen, dass sie aus ihrem ursprünglichen Lebensraum in einen anderen abwandern können (siehe Kommentar zu Hoffmann & Sgro 2011). Ja und zu letzt möchte ich hinzufügen, auch um weiterreichende internationale Bemühungen um Konnektivität, denn es nützt wenig, irgendwo z.B. eine Kranichpopulation oder wandernde Meeresschildkrötenpopulation zu schützen, wenn diese Tiere ihre Winterquartiere, Nistplätze oder Nahrungsgründe nicht mehr sicher erreichen oder gar finden können. Letzteres kann nur in transnationalen Übereinkünften gewährleistet werden.
Insofern will uns Lee dazu aufrufen, uns dieser Probleme bewusst zu werden und möglichst schnell zu handeln, denn sie geht davon aus, dass, wenn eine bestimmte Grenze (Threshold) überschritten ist, uns kaum noch Möglichkeiten bleiben. Ganz einfach, wenn eines der Habitate, die man über Korridore verbinden könnte weg ist, hat man auch keine Möglichkeiten mehr etwas zu verbinden! Ich weiß, das fällt uns schwer und mancher mag sich fragen, warum lese ich überhaupt so einen Quatsch über den selbst Fachleute keine Einigung erzielen? Aber vielleicht sollten wir auch einmal die besinnliche Zeit zwischen den Jahren dazu nutzen, zu überlegen, welche Möglichkeiten wir haben, uns diesen Problemen zu stellen. Damit meine ich nicht nur Druck auf die Politik auszuüben, sondern auch die Dinge, die wir in unserem Umfeld, Garten, Gemeinde, Land selbst mitgestalten können. Vor allem aber sollten wir uns daran erinnern, dass Umwelt-, Natur- und Artenschutz langfristige, ja lebenslange und Generationen-übergreifende Zielsetzungen und Aufgabenstellungen sind. Ja auch das sollte uns bewusst sein, und wenn Sie jetzt fragen, warum ich hier darauf verweise, denn das ist doch sowieso banales Allgemeinwissen, dann möchte ich hier auch mit einem Abschnitt aus Frau Lee’s Essay antworten. Sie schreibt nämlich sehr anschaulich, dass z. B. derzeit (seit 2009) in Madagaskar die illegale Abholzung der Wälder und der illegale Wildtierhandel die Einnahmen aus dem Tourismus bei weitem übersteigen, ja sogar lebensbedrohliche Angriffe auf dort arbeitende Naturschützer „geduldet“ werden, obwohl für eine gewilderte Schildkröte oder einen gewilderten Lemur meist nicht mehr als 1 US$ im Land verbleiben (siehe auch Bennet 2011, Lyons & Natusch 2011, denn ähnliches findet auch immer noch in Südostasien und Indonesien statt). Ja und Langfristigkeit ist auch eine nur schwer zu realisierende Option, denn die U.S.A. meinen erkannt zu haben, dass sie in den letzten 20 Jahren 150 Millionen US$ für den Naturschutz in Madagaskar versenkt haben und haben ihre Investitionsmittel für Madagaskar gestrichen. Derzeit fördern dort nur noch die deutsche KfW über den Deutschen Infrastrukturfond und die Weltbank als größere internationale Geldgeber die Erhaltung und Einrichtung von Schutzgebieten. Aber auch hier steht die Frage im Raum: Wie lange noch? Denn auch hier in Europa kriselt es unter dem Diktat der Rating Agenturen. Ein intakter Wald schützt auch das Klima und senkt vielleicht die damit verbundenen Folgekosten, bräuchten wir da nicht Rating Agenturen, die den Wert von Naturreservaten genauso „raten“ wie jene des Geldflusses? Wir sollten uns im Klaren darüber sein, dass auch unser Leben eher von den natürlichen Energieflüssen dieses Planeten abhängt als von denen des Geldes (siehe auch Kommentar zu Bertolero et al. 2007). Wie wird es aussehen, wenn man Artenvielfalt nur noch in Form gelagerter DNS-Sequenzen in gesicherten Depots kennt, so wie wir es heute schon von einigen Samenbanken kennen, die die Samen bedrohter Pflanzen lagern?
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass der Essay mit einer gezeichneten großen Schildkröte endet, die, wenn Sie so wollen, die Textsäulen auf ihrem Carapax trägt. Wenn diesem Sinnbild nach diese gehaltvollen, komplexen Zukunftsfragen von einem Reptil zu tragen sind, sollten wir dann nicht auch unserem Gehirn etwas mehr zumuten, als das, was uns unsere Politiker gerade aktuell nach Durban als „Erfolg“ verkaufen wollen?

In diesem Sinne ein besinnliches Weihnachtsfest und einen Guten Rutsch ins Neue Jahr!

Literatur

Bennet, E. L. (2011): Another inconvenient truth: the failure of enforcement systems to save charismatic species. – Fauna & Flora International. – Oryx 45(4): 476-479 oder Abstract-Archiv.

Bertolero, A., D. Oro, & A. Besnard (2007): Assessing the efficacy of reintroduction programmes by modelling adult survival: the example of Hermann's tortoise. – Animal Conservation 10(3): 360-368 oder Abstract-Archiv.

Hoffmann, A. A. & C. M. Sgro (2011): Climate change and evolutionary Adaptation. – Nature 470(7335): 479-485 oder Abstract-Archiv.

Lyons, J. A. & D. J. D. Natusch (2011): Wildlife laundering through breeding farms: Illegal harvest, population declines and a means of regulating the trade of green pythons (Morelia viridis) from Indonesia. – Biological Conservation 144(12): 3073-3081 oder Abstract-Archiv.

Whitten, T., D. Holmes & K. MacKinnon (2001): Conservation biology: a displacement behavior for academia? – Conservation Biology 15: 1-3.