Lee, P. L. M. & G. C. Hays (2004): Polyandry in a marine turtle: Females make the best of a bad job. – Proceedings of the National Academy of Science of the U.S.A. 101(17): 6530-6535.
Polyandry bei einer Meeresschildkröte: Die Weibchen machen das Beste aus einem schweren Job.
DOI: 10.1073/pnas.0307982101 ➚
Den Nutzen, den weibliche Tiere aus ihren Reproduktionsstrategien ziehen, ist eine der meist diskutierten Fragen in der Reproduktionsbiologie. Bei den meistens Arten reicht ja eine Kopulation aus, um eine komplette Befruchtung zu gewährleisten, so dass jede weitere Partnersuche und Kopulation nur den Energieaufwand erhöhen würde. Trotzdem findet man in der Natur häufig multiple Vaterschaften in einer Brut oder in ein und demselben Gelege. Eine der favorisierten Erklärungen geht davon aus, dass die Weibchen dadurch direkte oder indirekte Vorteile haben. Allerdings wird die Allgemeingültigkeit dieser Erklärung dadurch eingeschränkt, dass sich die Fälle häufen, für die sich solche Vorteile nicht erkennen lassen. In dieser Studie testen wir erstmals die Parameter für eine mögliche Fitnesssteigerung der Nachkommen, die sich durch multiple Vaterschaften ergeben könnten bei einer Meeresschildkröte (Bastardschildkröte), einem Tier das in diesem Forschungsgebiet schon seit langem bearbeitet wird. Für die Weibchen dieser Meeresschildkröte waren im Gegensatz zu der allgemeinen Annahme keinerlei Vorteile nachweisbar. In dieser Arbeit zeigte sich vielmehr, dass die Umwelteinflüsse eine viel größere Rolle für die Schlupfrate spielten als die Anzahl der an der Gelegebefruchtung beteiligten Väter (eine einzige erfolgreiche Paarung reichte aus). Bei dieser Art sieht es so aus, als sei die Erklärung für die multiplen Vaterschaften eher darin zu sehen, dass sie das Ergebnis erfolgreich ausgeführter „Vergewaltigungen“ durch Männchen darstellen, so dass sich die Weibchen in einer Art Kompromiss an die überschüssigen Paarungen angepasst haben. Deshalb lässt sich vermuten, dass die multiplen Paarungen bei Meeresschildkröten eher als eine Art Schadensbegrenzung ansehen lassen, wobei die Weibchen das Beste aus den Gegebenheiten machen, und den Bedrängungen durch die Männchen nachgeben.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Dennoch bin ich der Meinung, dass die Arbeit für die Beurteilung einer solchen Frage zu kurz greift. Immerhin haben die langfristigen Überlebensvorteile, die sich aus der Vervielfachung der genetischen Variabilität für die Nachkommen ergeben, dazu geführt, dass Zweigeschlechtlichkeit sich in der Evolution durchsetzen konnte, obwohl damit ursprünglich eine dramatische Reduktion der Gesamtnachkommenzahl verbunden war. Dies macht deutlich, dass innerartliche, genetische Vielfalt vorteilhaft ist, etwas, das in zahlreichen anderen Studien auch experimentell belegt wurde (siehe dazu Übersichtsartikel in Zoology, vol. 106 (2003). Manche Überlebensvorteile zeigen sich nicht gleich in der Schlupf- bzw. Geburtenrate, sondern werden erst erkennbar in der Anzahl der Nachkommen, die adult werden und fit genug sind sich fortzupflanzen. Wie heißt es doch in Richard Dawkins The river out of Eden (Und es entsprang ein Fluss in Eden) „... wenn wir eines mit Gewissheit über einen unserer direkten Vorfahren aus der ,Urzeit' sagen können, dann das: Sie oder er ist nicht als Säugling verstorben, sondern wurde adult und fit genug, um einen heterosexuellen Partner zu finden und wenigstens einen Nachkommen groß zu ziehen, sonst würde es sich nicht um einen direkten Vorfahren handeln“. Daraus geht, wie ich meine, klar hervor, woran man biologische Fitness letztendlich beurteilen sollte. Im Übrigen spielten in der biologischen Evolution moralisch angehauchte Interpretationen keine Rolle. Natur ist natürlich, nicht abstrakt und deshalb wohl weder moralisch noch kompromissfähig, allerdings, meist über längere Zeiträume hinweg anpassungsfähig, wobei gerade diese Adaptationsfähigkeit von der genetischen Vielfalt profitiert, das sollte man bei grundsätzlichen, menschlichen Überlegungen und Entscheidungen nie aus den Augen verlieren.