Rick, T. C. & R. Lockwood (2012): Integrating Paleobiology, Archeology, and History to Inform Biological Conservation. – Conservation Biology 27(1): 45-54.
Die Integration von Paläobiologie, Archäologie und Geschichte als Information für die Erhaltungsbiologie.
DOI: 10.1111/j.1523-1739.2012.01920.x ➚
Die Suche nach neuen Ansätzen zur Etablierung ökologischer Basisdaten (Grundlagen oder Referenzbedingungen) ist dadurch beschränkt, dass die meisten ökologischen Studien bestenfalls ein paar der letzten Dekaden (Jahrzehnte) abdecken und dabei schon Ökosysteme untersuchen, die davor schon durch den Menschen über Jahrzehnte oder gar Jahrtausende gravierende Veränderungen erfahren haben. Paläobiologie, Archäologie und Geschichte liefern einen historischen ökologischen Kontext für die Erhaltungsbiologie, Sanierung und Wiederherstellung. Wir argumentieren dafür, dass eine Verbindung der Historischen Ökologie mit der Erhaltungsbiologie dazu beiträgt, die Fachdisziplinen der Erhaltungspaläobiologie, Archäologie und der Geschichte (Umweltgeschichte) zu vereinen. Unterschiede in der räumlichen und zeitlichen Auflösung (Betrachtungsweise) für prähistorische, historische Daten im Vergleich zu modernen ökologischen Daten bleiben als Probleme der geschichtlichen Ökologie bestehen, aber die erweiterte, weit zurückreichende Betrachtung geschichtlich ökologischer Daten kann dazu genutzt werden, bessere, möglichst komplette, ökologische Grundlagen für die Restauration zu liefern. Zudem geben sie Auskunft über die frühere Variabilität und unterstützen die Wiederherstellung zukünftiger Bedingungen. Wir konzentrierten uns hier erst einmal auf die östliche Auster- (Crassostrea virginica) – Fischerei in der Chesapeake Bay (U.S.A.), um zu demonstrieren, wie der Gebrauch historisch-ökologischer Daten zur Erhaltung der Austern eingesetzt werden kann, und somit verdeutlicht, dass die Erhaltungsmaßnahmen von einem Erhaltungsansatz abhängen, der die Grenzen der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen überspannt. Die historisch-ökologischen Studien von der Chesapeake Bay zeigten den dramatischen Rückgang der Austern um mehr als 99 % seit dem frühen 18. Jahrhundert. Ebenso zeigen sie vom 16. zum 19. Jahrhundert einen Größenrückgang in Reaktion auf veränderte Ernährungsbedingungen und die substantielle Abnahme der jährlichen Zuwachsraten von 10 mm/Jahr auf effektiv 0 mm/Jahr vom späten Holozän bis in unsere moderne Zeit. Eine verbesserte Integration unterschiedlicher historischer Datensätze und eine wesentliche Verbesserung bei der Zusammenarbeit von Paläobiologen, Geologen, Archäologen, Umwelthistorikern und Ökologen war nötig, um standardisierte Untersuchungsansätze und Methoden zu schaffen, die es erlauben, prähistorische, historische und modere Zeitperspektiven für die Erhaltungsbiologie zu integrieren.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Warum dieses Beispiel über Austern (siehe Kommentare zu: Saenz-Arroyo et al. 2006)? Nun, weil es trotz der weit zurückreichenden Fossilfunde für Schildkrötenökosysteme solche Daten noch nicht gibt und diese nur ansatzweise in der Betrachtung von Sulloway (2009) und Gerlach (2008) Erwähnung finden. Nichtsdestotrotz sind solche Überlegungen wichtig, denn wenn wir uns die ökologische Geschichte Sri Lankas während der letzten 1000 Jahre anschauen und die Sekundärhabitatbeschreibungen von Platt et al. (2003) für burmesische Sternschildkröten durchlesen, dann dürfte jedem klar sein, dass auch die Sri Lanka Form von Geochelone elegans oder Geochelone platynota als langlebige, generationenübergreifende Spezies weitestgehend nicht mehr die Habitate besiedeln, in denen weite Strecken ihrer Evolution erfolgte, und an die sie sich wohl ursprünglich optimal angepasst hatten. Allein das spricht schon dafür, dass sich auch diese Tiere in jüngster Zeit Umweltveränderungen erfolgreich anpassen mussten, sonst würden sie nicht mehr zu den rezenten Arten zählen. Ob diese Veränderungen vorteilhaft waren oder auch negative Auswirkungen hatten und haben, muss untersucht werden, und solange uns keine gegenteiligen Daten vorliegen, bleibt auch die Frage erlaubt, ob die Sri-Lanka Form der Sternschildkröte schon immer zur Pyramidenbildung neigte – oder würden uns entsprechend alte Fossilfunde eventuell das Gegenteil nahe legen? Siehe auch Kommentar zu: Djordjevic et al. (2011).
Literatur
Djordjevic, S., M. Djurakic, A. Golubović, R. Ajtic, L. Tomovic & X. Bonnet (2011): Sexual body size and body shape dimorphism of Testudo hermanni in central and eastern Serbia. – Amphibia-Reptilia 32(4): 445-458 oder Abstract-Archiv.
Gerlach, J. (2008): Fragmentation and demography as causes of population decline in Seychelles freshwater turtles (Genus Pelusios). – Chelonian Conservation and Biology 7(1): 78-87 oder Abstract-Archiv.
Platt, S. G., W. K. Ko, L. L. Khiang, K. M. Myo, T. Swe, T. Lwin & T. R. Rainwater (2003): Population status and conservation of the critically endangered Burmese star tortoise Geochelone platynota in central Myanmar. – Oryx 37(4): 464-471 oder Abstract-Archiv.
Saenz-Arroyo, A., C. M. Roberts, J. Torre, M. Carino-Olvera & J. P. Hawkins (2006): The value of evidence about past abundance: marine fauna of the Gulf of California through the eyes of 16th to 19th century travellers. – Fish and Fisheries 7(2): 128-146 oder Abstract-Archiv.
Sulloway, F. J. (2009): Tantalizing tortoises and the Darwin-Galapagos Legend. – Journal of the History of Biology 42(1): 3-31 oder Abstract-Archiv.
Galerien
Geochelone elegans – Indische Sternschildkröte