Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Juergen-Bidmon

Landler - 2015 - 01

Landler, L., M. S. Painter, P. W. Youmans, W. A. Hopkins & J. B. Phillips (2015): Spontaneous magnetic alignment by yearling snapping turtles: rapid association of radio frequency dependent pattern of magnetic input with novel surroundings. – PLoS One 10(5): e0124728.

Die spontane Ausrichtung entlang des Magnetfelds bei einjährigen Schnappschildkröten: Eine schnelle Assoziation eines frequenzabhängigen Musters für die magnetische Beeinflussung in einer neuen Umgebung.

DOI: 10.1371/journal.pone.0124728 ➚

Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Schnappschildkröte,
Chelydra serpentina,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Wir untersuchten die spontane Ausrichtung entlang der Magnetfeldlinien (SMA) bei juvenilen Schnappschildkröten bei Anwendung eines niedrigen Radiofrequenz-(RF)-Felds im Bereich der Larmor-Frequenz, um mit deren Hilfe die sensorischen Mechanismen der Magnetfeldwahrnehmung zu analysieren. Schildkröten, die zum ersten Mal in die Testarena gesetzt wurden, ohne dass dabei das künstliche Magnetfeld RF eingeschaltet war, richteten sich entlang des natürlichen Magnetfelds nach Norden aus, auch dann noch, wenn die magnetischen Testbedingungen frei von RF waren (‚RF aus -> RF aus‘), aber sie verloren diese Orientierungsfähigkeit wenn die bestimmte RF zugeschaltet wurde (‚RF off -> RF on‘). Im Gegensatz dazu verhielten sich Schildkröten, die erstmals unter Anwesenheit von RF in die Testarena gesetzt worden waren, nach dem Ausschalten der RF orientierungslos (‚RF on -> RF off‘), sie orientierten sich aber bei zugeschalteter RF nach dem magnetischen Süden aus (‚RF on → RF on‘). Die Sensitivität der Reaktion auf das SMA (Magnetfeld) von einjährigen Schildkröten unter RF stimmt mit dem so bezeichneten „Radikalen Paarungsmechanismus“ überein. Zudem scheint der Effekt, den die RF auslöst, eher durch eine Veränderung im Muster der magnetischen Einwirkung (Frequenzmuster) bestimmt zu werden, als durch das reine Abschalten der RF, wie das auch für vergleichbare Auswirkungen bei anderen Systemen/Organismen erklärt wurde. Die Ergebnisse belegen klar, dass Schildkröten, die erstmals in eine neue Umgebung gesetzt werden, sofort eine langanhaltende Assoziation zwischen dem vorherrschenden Muster des Magnetfelds und ihrer neuen Umgebung herstellen. Allerdings würden Schildkröten unter natürlichen Bedingungen niemals eine Veränderung des Magnetfeldmusters erfahren. Deshalb würden Schildkröten, die immer eine Assoziation von Magnetfeldmuster und ihrer Umgebung machen, diese auch beibehalten, und wenn sie in eine neue Umwelt kommen auch die Assoziation mit dem gleichgebliebenen Magnetfeld machen, sodass die gleiche magnetische Einwirkung (input) mit vielfältigen Lokalitäten (innerhalb ihres Lebensraums) in Beziehung gesetzt würde. Ein solches Vorgehen würde man auch von einer sensorischen Wahrnehmung (Eingang) erwarten, die als globaler Referenzrahmen (Orientierungsrahmen) genutzt werden kann, da sie hilft unterschiedliche Lokalitäten (Orte, vielfältige Orientierungspunkte in der Landschaft) innerhalb einer global abgespeicherten Landkarte so zu registrieren und zu platzieren, dass sie innerhalb eines als bekannt angesehenen Raums liegen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit ist sicherlich für viele, die sich mit der Physik der Magnetfeldorientierung nicht auskennen, schwer zu verstehen, aber sie verdeutlicht uns einige wesentliche Punkte auf die es ankommt. (Schauen Sie sich aber vorher die Grundlagen zur Larmor-Frequenz an). Zum einen scheinen die Schildkröten (hier Schnappschildkröten) besonders auf die Magnetfelder bestimmter niedriger Radiofrequenzen und deren Muster zu reagieren, aber längst nicht auf alle. Inwieweit das auf andere Arten übertragbar ist bleibt zu klären. Denkbar wäre auch, dass andere Arten auf andere Frequenzbereiche und/oder Muster ansprechen und sich somit bezüglich der Magnetfeldorientierung auch artspezifische Unterschiede herausstellen könnten. (Auch Hochspannungsleitungen erzeugen Magnetfeldfrequenzen). Zum zweiten zeigen die Daten, dass sich Schildkröten in ihrer Umgebung bezüglich ihrer Körperachse nach dem Magnetfeld ausrichten und dann die anderen sensorisch wahrnehmbaren Dinge in ihrer Umwelt dazu in Beziehung setzen. Das ist so, wie bei uns, wenn wir einen Kompass verwenden, um uns die Richtung zum magnetischen Nordpol anzeigen zu lassen und anschließend uns umschauen in welcher Himmelsrichtung dazu gesehen die sichtbaren Orientierungspunkte liegen, die wir brauchen, um ein bestimmtes Ziel anzusteuern. Damit können sich junge Schildkröten ihr Habitat oder ihre Homerange erschließen und einprägen, und da es für Schildkröten im natürlichen Lebensraum höchst selten (Ausnahmen wären vielleicht starke Überschwemmungen mit Verdriftung oder Erdrutsche) vorkommt, dass sie in so ferne Regionen kommen, dass sich auch das Magnetfeldmuster sehr kurzfristig verändern würde, scheint es sehr unnatürlich, dass sie sich später noch einmal neu orientieren müssten. Die Folgen solcher künstlicher durch den Menschen verursachter Veränderungen liegen nahe und werden zum Beispiel in der Arbeit von Roth & Krochmal (2015) deutlich. Die Arbeit ist für alle, die sich dafür interessieren und die die Arbeiten zur Magnetfeldorientierung bei anderen Tiergruppen wie Amphibien, Vögeln und Säugern nicht kennen, sowohl in ihrer Einleitung als auch in der Diskussion lesenswert. Denn es gibt zwei nachgewiesene Arten der Magnetfeldnutzung, nämlich zum einen das Erstellen einer Magnet(land)karte und zum anderen die kombinierte Nutzung des Magnetfelds in Übereinstimmung mit der Sonneneinstrahlung. Bei letzterer dient das reine Magnetfeld eigentlich nicht zur Orientierung, sondern kann nur im Zusammenhang mit der Lichteinstrahlungsrichtung (z. B. UV) richtungsführend genutzt werden. Es ist also nicht so einfach herauszufinden, welche Art der Orientierung von welcher Spezies oder in welchem Habitat genutzt wird. Letzteres mag mit ein Grund dafür sein, dass man für manche Spezies, bei denen eine Magnetfeldorientierung vermutet wird, diese noch nicht klar nachweisen konnte, weil man eben die Magnetfeldorientierung unter bestimmten Bedingungen bzw. Arten nicht allein erfolgversprechend testen kann. Sie erkennen auch hier wieder die Unangebrachtheit von monokausalen Denk- und Interprätationsansätzen und das Vorherrschen von nicht linearen Umweltbeziehungen (Richardson 2010 oder Kommentar zu Golubović et al. 2014) und Kontext abhängigen Prozessabläufen (Jaeger & Monk 2015).
Diesbezüglich interessiert mich vielmehr die Frage, wie sich die Magnetfelder von an den Tieren angebrachten Radiotransmittern (Stichwort: Radiotelemetrie, Radiotracking) auf junge Schildkröten auswirken. Warum? Solche Transmitter erzeugen ein von der Radiofrequenz abhängiges Magnetfeld und für junge Schildkröten, die mit Radiosendern versehen sind, wird seit Jahren nachgewiesen, dass ihre Überlebenschancen gegen Null tendieren (siehe Kommentar zu Pike 2006, Buhlmann & Osborn 2011, Paterson et al. 2012). Sicher mag es dafür viele Gründe geben, wie das zusätzliche Gewicht etc. oder das Erbeuten durch Beutegreifer. Allerdings wundert es einen schon, dass dies selbst auf Populationen zutrifft, die gar nicht mal so schlecht dastehen und wo man einen gewissen Zuwachs erwarten würde. Nun handelt es sich hier um eigentlich die erste ernstzunehmende Studie, die zeigt, wie junge Schildkröten die Magnetfeldorientierung nutzen, und sie legt nahe, dass das sogar für eine Schildkrötenart zutrifft, die bislang wenig im Fokus der Magnetfeldorientierungsforschung lag. Nun haben Schlüpflinge etlicher Sumpfschildkröten ja ein Problem, denn sie müssen vom oft kilometerweit entfernten Nistplatz (Walde et al. 2007) in für sie noch unbekannter Umgebung zurück zum Wohngewässer finden. Man kann dabei davon ausgehen, dass sie eine instinktive Orientierungsfähigkeit geerbt haben müssen, die durchaus auch das Magnetfeld oder das Magnetfeld in Kombination mit der Sonnenstrahlung einbezieht. Denn es ist unwahrscheinlich, dass im relativ hohen Gras Schlüpflinge von Waldbachschildkröten oder Europäischen Sumpfschildkröten ihr Wohngewässer sehen können, es sei denn der Nistplatz läge wirklich nahe einer relativ großen Wasserfläche, deren Spiegelung sich am nächtlichen Horizont abzeichnen würde. Es liegt also nahe, dass die naiven Schlüpflinge sich instinktiv nach ihrem Magnetkompass bzw. Magnet-Licht-Kompass in Abhängigkeit zu den Umweltbedingungen (Feuchte/Trockenheit) ausrichten und wandern, und dabei frage ich mich dann schon, wie sich das Magnetfeld mit einem nach bestimmten Frequenzmuster sendenden am Tier angebrachten Transmitter auf dessen Orientierungsvermögen auswirkt? Diese Studie liefert Daten, die vermuten lassen, dass es dabei zu Fehlorientierung kommen kann. Denn im Gegensatz zu den adulten Tieren bzw. Weibchen die ihr Habitat genau kennen und die auch gelernt haben, sich anhand ihrer anderen Sinneswahrnehmungen zu orientieren, gibt es für die naiven Jungtiere diese Möglichkeit noch nicht. Denn ihre Augen und Nase haben das was vor ihnen liegt weder je zuvor gesehen, noch gerochen oder gar ertastet. Letztendlich zeigt uns auch das wieder, wie schnell sich Umweltbedingungen ändern und gemeistert werden müssen, denn für die mutterlosen Kleinen verändern sich die Umweltbedingungen, unter denen sie sich entwickelt haben, spätestens nach Verlassen des Nests nicht nur sehr schnell, sondern dramatisch und stochastisch, sprich in unvorhersagbarer Weise, z. B. klimatisch, substratmäßig etc. (siehe dazu den Kommentar zu Golubović et al. 2014).

Literatur

Buhlmann, K. A. & C. P. Osborn (2011): Use of an Artificial Nesting Mound by Wood Turtles (Glyptemys insculpta): A Tool for Turtle Conservation. – Northeastern Naturalist 18(3): 315-334 oder Abstract-Archiv.

Golubović, A., M. Andjelkovic, D. Arsovski, A. Vujovic, V. Ikovic, S. Djordjevic & L. Tomovic (2014): Skills or strength-how tortoises cope with dense vegetation? – Acta Ethologica 17(3): 141-147 oder Abstract-Archiv.

Jaeger, J. & N. Monk (2015): Everything flows: A process perspective of life. – EMBO reports 16: 1064-1067.

Paterson, J. E., B. D. Steinberg & J. D. Litzgus (2012): Revealing a cryptic life-history stage: differences in habitat selection and survivorship between hatchlings of two turtle species at risk (Glyptemys insculpta and Emydoidea blandingii). – Wildlife Research 39(5): 408-418 oder Abstract-Archiv.

Pike, D. A. (2006): Movement patterns, habitat use, and growth of hatchling tortoises, Gopherus polyphemus. – Copeia 2006(1): 68-76 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2015): The Role of Age-Specific Learning and Experience for Turtles Navigating a Changing Landscape. – Current Biology 25(3): 333-337 oder Abstract-Archiv.

Walde, A. D., J. R. Bider, D. Masse, R. A. Saumure & R. D. Titman (2007): Nesting ecology and hatchling success of the wood turtle, Glyptemys insculpta, in Quebec. – Herpetological Conservation and Biology 2(1): 49-60 oder Abstract-Archiv.

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