Lambert - 2019 - 01

Lambert, H., G. Carder & N. D'Cruze (2019): Given the Cold Shoulder: A Review of the Scientific Literature for Evidence of Reptile Sentience. – Animals 9(10): 821.

Die kalte Schulter gezeigt: Eine Übersicht über die Literatur die Beweise für Gefühle bei Reptilien liefert.

DOI: 10.3390/ani9100821 ➚

Wir führten eine Literaturrecherche durch um die Arbeiten zu dokumentieren in denen Beweise für und Untersuchungen zu Gefühlen/Emotionen bei Reptilien beschrieben werden. Das Ziel dieser Übersichtsarbeit war es Folgendes hervorzuheben: (1) In welchem Ausmaß in der wissenschaftlichen Literatur die Fähigkeit von Reptilien Emotionen zu zeigen beschrieben wird; (2) zu diskutieren welche Auswirkungen solche Beweise für den Handel mit Reptilien hätten; und (3) aufzuzeigen welche zukünftigen Forschungsarbeiten notwendig wären um deren Wohlbefinden in Gefangenschaft zu optimieren. Wir verwendeten dazu 168 Schlüsselwörter die eine Assoziation zu Gefühl oder Emotion aufweisen um damit vier wissenschaftliche Literaturdatenbanken und ein sogenanntes Open Access-Journal (öffentlich einsehbares Journal) zu durchsuchen. Wir sammelten dabei die Studien die Emotionen bei Reptilien untersuchten sowie solche die während der Durchführung anderer Experimente Gefühle bei Reptilien beobachtet hatten. Wir fanden dabei das Reptilien laut 37 Artikeln anscheinend zu folgenden Emotionen befähigt sein sollen: Besorgnis, Not, Freude, Furcht, Enttäuschung, Schmerz, und Leiden. Wir fanden zudem vier Artikel die untersuchten ob und das Reptilien Freude oder Angst empfinden können. Diese Arbeiten zeigen, dass Reptilien in der Lage sind eine ganze Palette von emotionalen Zuständen zu empfinden. Diese Ergebnisse sollten Auswirkungen auf unseren Umgang mit Reptilien in Gefangenschaftshaltung haben und ein besseres Verständnis darüber könnte dabei helfen Haltungsverbesserungen einzuführen die darauf abzielen die negativen Auswirkungen auf die Tiere zu reduzieren. Zu Letzteren gehören Haltungsoptimierung und ein verändertes Verbraucherverhalten.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine Arbeit die zum einen darauf abzielt („kalte Schulter“) aufzuzeigen wie vernachlässigt diese Forschungsrichtung im Vergleich zu jener bei den warmblütigen Säugetieren voranschreitet. Allerdings und hier muss man ganz klar anmerken auch den Säugetieren hilft diese Art der Forschung nicht wirklich. Sicher quälen wir heute zumindest hierzulande keine Hunde und Katzen, aber unseren Masttieren die wir zur billigen Fleischversorgung benötigen ist damit noch längst nicht geholfen. Dennoch denke ich auch für Reptilien und Schildkröten von denen einige Arten diesbezüglich auch schon untersucht oder beschrieben wurden wie Roth et al., (2019); Leighty et al., (2013), Wilkinson & Huber, (2012), wird diese Forschung zukünftig helfen. Wir erkennen ja gerade jüngst (Gutnik et al., 2019, Shimada et al., 2019) zu welchen kognitiven Leistungen z. B. Schildkröten befähigt sind und dass deren Lernverhalten in keiner Weise dem der Säuger und Vögel hinterherhinkt. Diese Fähigkeit zur Kognition geht eng einher mit Merkfähigkeit und Erinnerungsvermögen und diese grundlegenden Fähigkeiten sind eng an Gefühlsempfindungen und Emotionen gekoppelt. Letztendlich jegliches Erlernen eines Angst- oder Gefahrvermeidungsverhalten (Ibanez et al.,2018; Golubović, 2015) hängt von solchen Gefühlen ab. Sicher mögen die Autoren dieser Studie Recht haben, wenn sie hervorheben wie wenige explizit zu diesem Thema durchgeführte Studien es für Reptilien gibt, aber ganz so schlecht ist die Datenlange wie sie anhand dieser Literaturrecherche dargestellt wird nicht, denn wir müssen uns dabei selbst an die Stirn tippen und darauf aufmerksam machen wie wir Befunde zu interpretieren haben. Wir haben viel zulange – wie schon öfters diskutiert – jegliches Verhalten der sogenannten „niederen Tiere“ mit dem Begriff Instinkt zu erklären und abzutun versucht. Ob aber der Begriff Instinkt wirklich aufrecht zu erhalten ist bleibt fraglich (siehe dazu Bidmon, 2016) denn es zeigt sich immer deutlicher wie Lernverhalten und Umweltanpassung diesen Begriff ersetzen und Letzteres bedeutet, dass wir gar nicht anders können als Tieren auch Gefühle und Emotionen zu zugestehen. Ob letztere so empfunden werden wie wir eine ähnliche oder vergleichbare Situation empfinden würden bleibt dabei komplett unbeantwortet und kann vielleicht auch in der Komplexität verneint werden, aber grundsätzlich müssen wir davon ausgehen, dass solche Empfindungen auch bei anderen Lebewesen vorhanden sind. Ja, und jenen Spezies bei denen wir sogar schon ein Sozialverhalten und eine Sozialstruktur beobachtet haben (siehe Gutnick et al., 2019), denen müssen wir zwangsläufig auch komplexere Gefühlszustände zu billigen. Es sollte uns also nicht wundern, wenn dieses Thema zukünftig viel stärker in den Vordergrund rückt. Was vielleicht sogar zu Zeiten in denen eine „Gemanagte – Natur“ und Erhaltung unter menschlicher Obhut immer mehr an Bedeutung gewinnt eine wesentliche und notwendige Voraussetzung sein sollte, denn auch die ethischen Fragen die sich daraus ergeben müssen eine entsprechende Berücksichtigung erfahren. Zumindest sollte die Zielsetzung und damit dann auch die entsprechende Vorgehensweise für solche Erhaltungsmaßnahmen klar sein, denn alles andere wäre nur kostspieliges Hobby unter zu hohem vielleicht die Umwelt noch stärker belastenden Energieverbrauch!

Literatur

Bidmon, H.-J. (2016): Kommentar zu: Renner, S. S. (2016): A Return to Linnaeus's Focus on Diagnosis, Not Description: The Use of DNA Characters in the Formal Naming of Species. – Systematic Biology 65(6): 1085-1095 oder Abstract-Archiv.

Golubović, A. (2015): Ontogenetic shift of antipredator behaviour in Hermann’s tortoises. – Behavioral Ecology and Sociobiology 69(7): 1201-1208 oder Abstract-Archiv.

Gutnick, T., A. Weissenbacher & M. J. Kuba (2019): The underestimated giants: operant conditioning, visual discrimination and long-term memory in giant tortoises. – Animal Cognition 23: 159-167 oder Abstract-Archiv.

Ibáñez, A., J. Martín, A. Gazzola & D. Pellitteri-Rosa (2018): Freshwater turtles reveal personality traits in their antipredatory behaviour. – Behavioural Processes 157: 142-147 oder Abstract-Archiv.

Leighty, K. A., A. P. Grand, V. L. Pittman Courte, M. A. Maloney & T. L. Bettinger (2013): Relational Responding by Eastern Box Turtles (Terrapene carolina) in a Series of Color Discrimination Tasks. – Journal of Comparative Psychology 127(3): 256-264 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II, A. R. Krochmal & L. D. LaDage (2019): Reptilian Cognition: A More Complex Picture via Integration of Neurological Mechanisms, Behavioral Constraints, and Evolutionary Context. – Bioessays 41(8): e1900033 oder Abstract-Archiv.

Wilkinson, A. & L. Huber (2012): Cold-Blooded Cognition: Reptilian Cognitive Abilities. – S. 129-143 in: Vonk, J. & T. K. Shackelford (Hrsg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology. – Oxford University Press 129-143 oder Abstract-Archiv.