Oliv-Bastardschildkröte, Lepidochelys olivacea, – © Bipro Behera

Vilaça - 2022 - 01

Vilaça, S. T., F. Maroso, P. Lara, B. de Thoisy, D. Chevallier, L. Souza Arantes, F. R. Santos, G. Bertorelle, C. J. Mazzoni (2022): Evidence of backcross inviability and mitochondrial DNA paternal leakage in sea turtle hybrids. – Molecular Ecology 32(3): 628-643.

Nachweise für, eine Rückkreuzungsunverträglichkeit und eine väterliche Leckage mitochondrialer DNS bei Hybriden von Meeresschildkröten.

DOI: 10.1111/mec.16773 ➚

Oliv-Bastardschildkröte, Lepidochelys olivacea, – © Bipro Behera
Oliv-Bastardschildkröte,
Lepidochelys olivacea,
ein weibliches Exemplar
© Bipro Behera

Hybridisierung kommt bekannterweise bei vielen Arten in deren Evolutionsgeschichte vor. Meeresschildkröten zeigen dabei ein faszinierndes Hybridisierungssystem, wobei Spezies die sich vor mehr als 43 Millionenjahren trennten immer noch in der Lage sind zu hybridisieren. Diesbezüglich ist die größte Nistpopulation der brasilianischen Unechten Karettschildkröten (Caretta caretta) und Echten Karettschildkröten (Eretmochelys imbricata) ein gutes Beispiel, denn sie zeigen ein hohes Vorkommen von Hybriden aus beiden Spezies. Eine dritte Spezies die Olive Bastardschildkröte (Lepidochelys olivacea) ist ebenfalls dafür bekannt, dass sie hybridisiert aber in einem geringeren Ausmaß. Hier nutzen wir eine Restriktionsseiten-assoziierte DNS-Sequenzierung (RAD-Seq) Marker, Mitogenome und Satellitentelemetrie um diese Hybridisierungsmuster und die Introgression bei den brasilianischen Meeresschildkrötenpopulationen zu untersuchen und dabei auch ihre Beziehungen zu Wanderwegen zwischen den Nahrungsgründen und den Niststrandaggregationen zu analysieren. Insbesondere untersuchten wir dabei auch ob die Vermischung der unterschiedlichen Genome der Meeresschildkrötengenome von einer väterlichen mitochondrialren Leckage betroffen werden. Wir entwickelten dazu einen neuen speziesspezifischen PCR-Assay der in der Lage ist die Vererbung mitochondrialer DNS aus beiden Elternspezies nachzuweisen und wir führten eine ultraexakte Sequenzierung durch um damit die Häufigkeit eines jeden mitochondrialen DNS-Typanteils abschätzen zu können. Unsere Ergebnisse zeigen, dass alle adulten Hybriden, Hybriden der ersten Generation (F1) angehören und die meisten zeigen ein für die Unechten Karettschildkröten typisches Wanderverhalten. Wir fanden eine väterliche Leckage bei den F1-Hybriden mit unterschiedlichen Anteilen an Mitochondrien aus den mütterlichen und väterlichen Ausgangsarten. Obwohl vorherige Studien keine signifikanten Unterschiede oder Beeinträchtigungen in Bezug auf die Fitness der Schlüpflinge zeigten, deuten unsere Ergebnisse an, dass es zu einem genetisch bedingten Niedergang bei den Hybriden kommen kann der möglicherweise auf eine zytonukleäre Inkompatibilität zurückzuführen wäre. Weitere Forschungsarbeiten an diesen Hybriden aus anderen Populationen außerhalb von Brasilien und zwischen unterschiedlichen Arten könnten zeigen, ob es zu einer Rückkreuzungsunverträglichkeit und einer väterlichen mitochondrialen Leckage zwischen allen Arten von Meeresschildkröten kommt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun warum sollte eine solche Leckage an Mitochondrien Nachteile mit sich bringen, da sie ja die zellulären Energieproduzenten sind von denen man meinen könnte zwei Typen zu haben sei vielleicht besser als nur einen. Die Nachteile könnten daraus resultieren, dass die nach Endosymbiontenhypothese externen Organellen ihre eigene DNS besitzen und exprimieren aber eben nur noch einen sehr begrenzten Anteil. Viele Genprodukte die die Mitochondrien benötigen stammen aus dem Zellkern der wahrscheinlich nur die entsprechenden Produkte für einen Mitochondrientyp liefert. Ebenso könnte dabei auch die natürlicherweise in Zellen stattfindende Fusion von Mitochondrien negativ betroffen sein. Allerdings denke ich, dass auch die obige Arbeit dafür nur Anhaltspunkte liefert aber noch keine genauen Antworten bereithält. Wie einige der beteiligten Autoren in ihren früheren Arbeiten zeigten gibt es bei den Meeresschildkröten Belege dafür, dass es schon in ihrer Evolution weit zurückreichende Beeinflussungen durch Hybridisierungsereignisse gab die sich noch nachweisen lassen. Letzteres belegt ja klar, dass die Individuen aus diesen früheren Hybridisierungsereignissen ihr Genom weitervererbt hatten, denn sonst hätten das die Wissenschaftler gar nicht feststellen können. Also sehen wir ja fast etwas Ähnliches wie wir es aus unserem Evolutionsverlauf ersehen können wo auch noch Reste des Genoms der Neandertaler oder Denisova-Menschen nachzuweisen sind. Es muss also überlebensfähige und reproduktionsfähige Individuen gegeben haben die zumindest in der Lage waren auch sich erfolgreich reproduzierende Nachkommen aufzuziehen die diese genetische Information bis in unsere Zeit weitervererben konnten. Nun will ich hier nicht jegliche Art von Hybridisierung für gutheißen und wir wissen auch nicht unter welchen Beeinträchtigungen frühere Hybridindividuen ausgesetzt waren, sondern lediglich, dass einige überlebt haben müssen. Ja und an dieser Stelle kommt dann vielleicht wieder die Umwelt ins Spiel, die uns ja alle prägt. Erst jüngst haben McQuillan et al. (2018) für Vogelarten gezeigt, dass deren Hybridindividuen kognitive Defizite aufweisen, da sie ihre selbst angelegten Futterverstecke signifikant schlechter wiederfinden als die reinerbigen Individuen. Letzteres lässt auf Defizite bei der räumlichen Orientierung oder auf Defizite in Bezug auf das Erinnerungsvermögen schließen. Insofern dürften diese Hybridindividuen ziemliche Nachteile haben, wenn sie unter bestimmten harschen Umweltbedingungen auf diese Futterdepots angewiesen sind, aber wenn sie Glück haben oder der Klimawandel dazu beiträgt, dass diese harschen Umweltbedingungen kaum mehr eine Rolle spielen, könnten sie sogar langfristige Vorteile haben, denn auch die Leistungsfähigkeit von Hirnarealen ist oft größenabhängig und verbraucht Energie die sie vielleicht einsparen können (siehe dazu auch den Kommentar zu Krochmal et al., 2021). Von einem Verlust an Navigationsfähigkeit scheinen die Meeresschildkrötenhybriden nicht zu leiden, denn sie kehren erfolgreich zum Niststrand zurück. Aber auch bei Meeresschildkröten mag es bei der Hybridisierung zu Beeinträchtigungen kommen, aber auch da bleibt die Frage welche sich davon von einer sich verändernden Umwelt entlang der Hybridisierungszone als vorteilhaft oder nachteilig für die davon betroffenen Individuen erweisen werden. Zumindest was die Darwinfinken der Galapagosinseln anbetrifft ist bekannt, dass dieses Zusammenspiel von Hybridisierung und Umweltfaktoren sogar langfristig nicht nur das Überleben, sondern sogar den Speziationsprozess beflügelt hat (z. B. Edelman & Mallet, 2021; Hedrick, 2019). Ja, und dabei sollte man auch nicht vergessen, dass väterliche mitochondriale Leckage auch schon für Vögel nachgewiesen wurde. Als Fazit aus solchen Berichten und Erkenntnissen sollte man die Schlussfolgerung ziehen, dass es dabei immer auf eine Langzeitbetrachtung ankommt, denn dass was aktuell gerade einen Nachteil mit sich bringen mag kann sich vielleicht erst in etlichen Jahren rückblickend als vorteilhaft erwiesen haben.
Siehe dazu auch Karl et al. (1995) und Vilaça et al. (2021) und den dortigen Kommentar.

Literatur

Edelman, N. B. & J. Mallet (2021): Prevalence and Adaptive Impact of Introgression. – Annual Review of Genetics 55(1): 265–283; DOI: 10.1146/annurev-genet-021821-020805 ➚.

Hedrick, P. W. (2019): Galapagos Islands Endemic Vertebrates: A Population Genetics Perspective. – Journal of Heredity 110(2): 137-157 oder Abstract-Archiv.

Karl, S. A., B. W. Bowen & J. C. Avise (1995): Hybridization among the ancient mariners: identification and characterization of marine turtle hybrids with molecular genetic assays. – Journal of Heredity 86: 262-268; DOI: 10.1093/oxfordjournals.jhered.a111579 ➚.

Krochmal, A. R., T. C. Roth & N. T. Simmons (2021): My way is the highway: the role of plasticity in learning complex migration routes. – Animal Behaviour 174(2): 161-167 oder Abstract-Archiv.

McQuillan, M. A., T. C. Roth II, A. V. Huynh & A. M. Rice (2018): Hybrid chickadees are deficient in learning and memory. – Evolution 72(5): 1155–1164; DOI: 10.1111/evo.13470 ➚.

Vilaca, S. T., R. Piccinno, O. Rota-Stabelli, M. Gabrielli, A. Benazzo, M. Matschiner, L. S. Soares, A. B. Bolten, K. A. Bjorndal & G. Bertorelle (2020): Divergence and hybridization in sea turtles: Inferences from genome data show evidence of ancient gene flow between species. – Molecular Ecology 30(23): 6178-6192 oder Abstract-Archiv.

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