Saenz-Arroyo, A., C. M. Roberts, J. Torre, M. Carino-Olvera & J. P. Hawkins (2006): The value of evidence about past abundance: marine fauna of the Gulf of California through the eyes of 16th to 19th century travellers. – Fish and Fisheries 7(2): 128-146.
Der Wert und die Nachweise über die in der Vergangenheit erfassten Abundanzen: Die marine Fauna des Golfs von Kalifornien gesehen durch die Augen der Reisenden des 16. und 19. Jahrhunderts.
DOI: 10.1111/j.1467-2979.2006.00214.x ➚
Augenzeugenberichte, die von den frühen Reisenden „in die neue Welt“ stammen, liefern wertvolle Erkenntnisse dafür, wie die Meeresoberfläche und die Küsten einst ausschauten. Obwohl diese Informationen häufig genutzt wurden, um den Einfluss des Menschen auf die terrestrischen Ökosysteme zu beschreiben, wurden derartige Berichte bisher meist übersehen, wenn es um die Charakterisierung mariner Ökosysteme ging. Hier präsentieren wir eine Zusammenfassung der von den Reisenden des 16. – 19. Jahrhunderts gemachten Aufzeichnungen bzgl. der im Golf von Kalifornien beobachteten Lebewesen. Die Tagebücher von Eroberern, Piraten, Missionaren und Naturkundlern beschreiben einen Ort, an dem die Anzahl der Wale immens und unzählbar war. Schildkröten übersäten die Küsten und bedeckten die Wasseroberfläche und große Fische waren so zahlreich, dass sie leicht mit den Händen zu greifen waren. Bänke von Perlenaustern, die beschrieben worden waren, verschwanden 1940, und nur die alten historischen Dokumente erwähnen noch die einstmals vorhandenen tief gelegenen, riesigen Austernriffe, deren Ökologie und Funktionen für die Ökosysteme dieser Zeit kaum bekannt sind. Die Abwertung solcher von den frühen Zeitzeugen verfassten Berichten als Anekdoten ist gefährlich und könnte dazu führen, dass völlig falsche Ziele für das Management solcher Biotope und Regionen erstellt werden, was letztendlich dazu führen könnte, dass selbst heute als selten zu bezeichnende Arten (Reliktarten), die früher häufig waren, noch schneller verschwinden. Vielmehr würde es sich auch um eine unfaire historische Einschätzung der Arbeit früher Naturbeobachter, deren Schüler und späterer Wissenschaftler handeln. Wir empfehlen, dass das Überblicken und analytische Auswerten der Berichte der frühen Naturbeobachter ein essentieller Bestandteil und eine Voraussetzung darstellen sollte, bevor über zukünftige Managementstrategien für bestimmte marine Ökosysteme entschieden wird.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Hierbei handelt es sich um eine sehr interessante Arbeit, die gerade deutlich hervorhebt, was wir eigentlich heutzutage oft als natürliche Biotope bezeichnen. In den meisten Fällen handelt es sich ja schon um gravierend veränderte so genannte „Sekundärhabitate“, wenn man sie einmal mit den historischen Berichten vergleicht. Insofern ist die Empfehlung, diese alten Aufzeichnungen in die Beurteilung der Gegenwart mit einzubeziehen, durchaus berechtigt. Denn was bezeichnen wir heute als ursprünglich oder besser gefragt als Ursprungshabitat, an welches ein rezentes Lebewesen wirklich optimal angepasst ist? Allerdings zeigen solche historischen Berichte auch, dass wir die ursprüngliche Situation nie wieder unter den heute gegebenen Bedingungen herstellen können, weil wir einfach nicht mehr über diese Biomasse und den damit verbundenen Energiefluss verfügen. Wenn Wale und Schildkröten die Meeresoberfläche bedecken, dann setzen sie auch Unmengen an Energie um und geben sie z. B. in Form von Kot ins Wasser, davon leben Einzeller und Algen, die wiederum entsprechend große Muschelbänke ernähren können. Letztendlich hängt alles vom Energiefluss im System ab. Dezimieren wir also Arten oder löschen wir sie sogar aus, so verändern wir Energieflüsse in einem globalen System. Wale sind ein gutes Beispiel, da sie ihr Futter sprich ihre Energie im nördlichen Eismeer in Form von Krill aufnehmen, speichern und in Form von Muttermilch an ihre Neugeborenen in den warmen südlichen Gewässern abgeben, die dann in Form von Verdauungsendprodukten ausgeschieden wird. Nahrungsketten sind Energieflüsse deren Veränderung unweigerlich Konsequenzen haben wird, zumindest solange der Energieerhaltungssatz aus der Physik auch für Teilaspekte belebter Materie Gültigkeit hat. Da kann man noch so viele Schutzbestimmungen und Arterhaltungsprogramme auflegen, so lange der dazugehörige Energiefluss nicht erhalten werden kann, wird man auf lange Sicht scheitern. Jeder Bauer weiß das, denn er wird durch das Unterschutzstellen von Zuckerrüben den Ertrag nicht steigern oder gar aufrecht erhalten können, wenn er dem Boden (Acker) nicht die notwendige Energie in Form von Nährstoffen zufügen kann – wobei er noch den Vorteil hat, dass ein gut Teil der Energie für Pflanzenwachstum von der Sonne stammt und ins System eingebracht wird. Man mag ja als Biologe, Tier- oder Naturschützer mehr auf einzelne Lebewesen fixiert sein, aber wir sollten uns klar darüber werden, dass man einzelne Arten nicht erhalten kann, wenn man nicht das ganze System mit seinen verzweigten Nahrungsketten und Energieflüssen aufrechterhalten kann. Da muss man dann schon notgedrungen auch einmal über den Tellerrand hinausschauen, etwas, das ich bei unserer so oft praktizierten so genannten Autökolgie sehr häufig vermisse, denn eigentlich gibt es doch nur Synökologie, die man dann aber auch im wahrsten Sinne des Wortes und nicht im Sinne abstrakter, akademischer Definitionen praktizieren sollte.