Kleine Moschusschildkröte, Sternotherus minor minor, ein adultes Weibchen – © Annett Werner

López-Pérez - 2020 - 01

López-Pérez, J. E., P. A. Meylan & J. M. Goessling (2020): Sex-based trade-offs in the innate and acquired immune systems of Sternotherus minor. – Journal of Experimental Zoology Part A: Ecological and Integrative Physiology 333(10): 820–828.

Geschlechtsabhängige Abwägungen in Bezug auf das angeborene und erworbene Immunsystem bei Sternotherus minor.

DOI: 10.1002/jez.2424 ➚

Kleine Moschusschildkröte, Sternotherus minor, – © Hans-Jürgen Bidmon
Kleine Moschusschildkröte,
Sternotherus minor,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Vorkommensmuster für Langlebigkeit legen für die meisten Wirbeltiere nahe, dass die Weibchen sehr von ihrer Investition in die Selbsterhaltung profitieren. Ein umgekehrtes Muster für Langlebigkeit zeigt sich bei der kleinen Schlammschildkröte (Sternotherus minor) die es uns somit ermöglichte die Kosten-Nutzenrelation zwischen Erhaltung und Überlebensfähigkeit zu untersuchen. Wir testen also die Hypothese, dass das Geschlecht mit der längeren Lebenszeit auch die größere Erhaltungslast trägt im Vergleich mit dem Geschlecht mit kürzerer Lebenszeit. Wir verglichen folglich folgende Parameter zwischen den beiden Geschlechtern: Bakterizide Aktivität (BA) und das Verhältnis von Heterophilen zu Lymphozyten (HLR). Dazu wurden Basisblutproben von freilebenden Schildkröten in der Wildnis gesammelt und eine Untergruppe dieser Schildkröten wurde anschließen ins Labor gebracht, um mit ihnen Experimente für eine ausgelöste Immunantwort auf rote Schafsblutzellen (SRBC) durchzuführen. Wir fanden dabei keine Hinweise dafür, dass unsere Ausgangshypothese für eine geschlechtsspezifische Umkehr bei Kosten-Nutzenabwägung durch die Ergebnisse gestützt wurde (Die Unterschiede zwischen geschlechtsspezifischen SRBC-Spiegeln betrugen p = 0,102; Die Interaktionswerte zwischen Behandlung und Geschlecht lagen bei p = 0,177. Die Unterschiedswerte zwischen den Behandlungen bei: p < 0,001; die Auswirkungen des Geschlechts auf die BA bei: p = 0,830 und die Auswirkungen des Geschlechts auf die HLR: p = 0,717). Allerdings fanden wir Daten für geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich der Immunität, die sich in der Beziehung zwischen der HLR und der Körperkondition (BCI) ausdrückten: (Auswirkung der BCI auf HLR: p = 0,015). Unter Freilandbedingungen fanden wir Hinweise dafür, dass Männchen mit höherer Körperkondition mehr gestresste Phänotypen exprimierten als Männchen mit niedriger Körperkondition (p = 0,002). Allerdings exprimierten Weibchen unter allen Körperkonditionsbedingungen das gleiche Stressniveau (p = 0,900). Auch die Testosteronspiegel wurden bei freilebenden Schildkröten bestimmt und es zeigte sich, dass sie keine Beziehung zu irgendeinem der bestimmten Immunparameter aufwiesen. Unsere Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass das Immunsystem eine wichtige Rolle dabei spielt die geschlechtsspezifischen Reaktionsmuster auf verschiedenste selektiv einwirkende Stressfaktoren bei S. minor auszubalancieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun ob diese Ausgangshypothese überhaupt so ohne Einschränkungen zutreffen würde ist von vornherein fraglich. Denn wie beim Lesen der Arbeit gleich auffällt ergab sich eine positive Korrelation zwischen der Körperkondition der Männchen und deren HLR, die so bei den Weibchen nicht auftrat. Letzteres legt nahe, dass man die Weibchen auch hätte Röntgen müssen um deren Gelegeansatz beziehungsweise deren Reproduktionsstatus zu erfassen, denn bei den Weibchen kommt es fast immer zu einer Ressourcen-(Energie)-Aufteilung zwischen Immunsystem und Reproduktion, da beides Gelegeproduktion und Immunität sehr energieaufwendig sind, sodass man bei den reproduktionsfähigen Weibchen sicherlich keine eindeutige und lineare Beziehung zwischen Körperkondition und Immunität finden wird. Es sei denn die Ernährungslage wäre so schlecht, dass sie erst gar keine Gelege ansetzen könnten. Siehe dazu auch folgende Arbeiten Judson et al., (2020); Leivesley & Rollinson, (2021); Stromsland & Zimmerman (2017); Zimmerman, (2020a; 2020b) und die dortigen Kommentare.

Literatur

Judson, J. L. M., D. M. Reding & A. M. Bronikowski (2020): Immunosenescence and its influence on reproduction in a long-lived vertebrate. – Journal of Experimental Biology 223(12): jeb223057 oder Abstract-Archiv.

Leivesley, J. A. & N. Rollinson (2021): Maternal provisioning and fluctuating thermal regimes enhance immune response in a reptile with temperature-dependent sex determination. – Journal of Experimental Biology 224(5): jeb237016 oder Abstract-Archiv.

Stromsland, K. & L. M. Zimmerman (2017): Relationships between parasitic infection and natural antibodies, age, and sex in a long-lived vertebrate. – Journal of Experimental Zoology Part A: Ecological and Integrative Physiology 327(6): 407-412 oder Abstract-Archiv.

Zimmerman, L. M. (2020): Adaptive Immunity in Reptiles: Conventional Components but Unconventional Strategies. – Integrative and Comparative Biology 62(6): 1572-1583; DOI: 10.1093/icb/icac022 ➚.

Zimmerman, L. M. (2020): The reptilian perspective on vertebrate immunity: 10 years of progress. – Journal of Experimental Biology 223(21): jeb214171 oder Abstract-Archiv.

Zimmerman, L. M., A. W. Carter, R. M. Bowden & L. A. Vogel (2017): Immunocompetence in a long-lived ectothermic vertebrate is temperature dependent but shows no decline in older adults. – Functional Ecology 31(7): 1383-1389 oder Abstract-Archiv.

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