Hamilton, J. A. & J. M. Miller (2015): Adaptive introgression as a resource for management and genetic conservation in a changing climate. – Conservation Biology 30(1): 33-41.
Adaptive Introgression (Hybridisierung) als eine Möglichkeit zum Management und der Generhaltung bei sich veränderndem Klima.
DOI: 10.1111/cobi.12574 ➚
Die derzeitige Geschwindigkeit des Klimawandels zwingt Organismen darauf mit Abwanderung, phänotypischer Plastizität oder genetischen Veränderungen zu reagieren und sich anzupassen. Wir fokussierten uns hier auf Fragestellungen die sich auf die Reaktionsmöglichkeiten von einzelnen Arten und ganzen Populationen beziehen und wie diese auf den Klimawandel mittels Adaptation reagieren. Speziell die Rolle die dabei die so genannte Adaptive-Introgression spielt, wobei es zur Bewegung von genetischem Material von einer Spezies in das Genom einer anderen Spezies durch wiederholte Einkreuzung (Hybridisierung) kommt, da sie wichtig dafür sein kann, dass die Arten ihre Fähigkeit angemessen schnell auf die Veränderungen reagieren zu können vergrößern. Solch ein über die Artgrenzen hinweg reichender Genfluss kann das Aussterbensrisiko verändern und kann dazu beitragen das Anpassungspotential, das andernfalls in einer reinerbigen Art sehr begrenzt sein kann oder gar stagniert und welches nicht schnell genug durch natürliche Variation oder Mutation angepasst werden kann zu erhöhen. Letzteres mag sehr wohl dazu beitragen, dass solche „Hybridarten“ eine schnellere Bestandserholung zeigen und sich bei sich verändernden Umweltbedingungen besser etablieren. Obwohl die potentiell positiven Auswirkungen der Hybridisierung von den Arterhaltungspraktikern bislang fast völlig unberücksichtigt blieben untersuchten wir eine Anzahl von Fällen die mehrere verschiedene Taxa einschlossen die vermuten lassen, dass der Genfluss zwischen sympatrischen und parapatrischen Schwesterarten oder zwischen Spezies die eine deutliche ektopische Differenzierung zeigen eine bislang unterschätzte und zu wenig benutze Managementmöglichkeit darstellt um das evolutive Potential unter sich verändernden Umweltbedingungen aufrecht zu erhalten. Das trifft insbesondere für Arten zu bei denen die schon fortgeschritteneren Generationshybriden adaptive Anpassungen zeigen die über das Maß hinausreichen das die reinerbigen „Elternspezies oder Ausgangsarten“ zeigen, ein Phänomen das auch als transgressive Segregation bekannt ist. Die Ideen die wir in dieser Arbeit liefern sollen dazu anregen die Diskussion um die Vorgehensweisen zur Erhaltung des evolutionären Potentials, den Erhaltungswert von natürlichen Hybridisierungszonen und deren wichtige Rolle für die Anpassungen an sich verändernde Klimabedingungen zu fördern.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Diese Arbeit spricht mir wirklich aus dem Herzen und ich will auch gar nicht verhehlen, dass es mich freut, dass jetzt endlich auch in rein wissenschaftlichen Journalen der Erhaltungsbiologie über dieses Thema ernsthafter diskutiert wird. Wie schon in meinem Kommentar zu Hoffmann & Sgro (2011) ausgeführt überlegt man hier echt wie man das Aussterben von bestimmten Arten bzw. Unterarten dadurch verhindern kann, dass man sie mit anderen kreuzt oder dass man Individuen der gleichen Spezies die in Regionen leben wo sie sich an höhere Temperaturen angepasst haben in Populationen einkreuzt die an kältere Klimazonen angepasst sind und die dadurch im Bestand bedroht sind weil sie sich nicht schnell genug der Klimaerwärmung anpassen können. Dazu fassen die Autoren in umfassender Weise die verfügbare wissenschaftliche Literatur zusammen. Diese Zusammenfassung kann ich hier nicht in voller Gänze ansprechen, aber sie ist eigentlich eine Grundvoraussetzung für jeden der sich mit der Arterhaltungsbiologie befasst um sich ein Bild darüber zu machen, dass Hybridisierung und Introgression keine zu verteufelnden unnatürlichen Vorkommnisse sind sondern dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Evolution waren und auch heute noch sind (siehe dazu auch Bidmon, 2015). Ja und die Autoren die durchaus die Vor- und Nachteile in ihre Betrachtung mit einbeziehen räumen auch mit der alten Mähr auf, dass diese Vorkommnisse für Pflanzen und niedere Tiere von größerer Bedeutung sind. Sicher mögen sie dort häufiger vorkommen, weil diese so genannten niederen, ich würde eher sagen an unterschiedliche Lebensbedingungen angepasste, Lebewesen notwendigerweise auf eine höhere Variabilität in ihrer genetischen Ausstattung und Phänotypenverschiedenheit abhängig waren und sind (siehe Kommentar zu Romiguier et al., 2014). Ja die Autoren belegen klar mit den aufgezählten Beispielen, dass Hybridisierung und Introgression in 92,9 % der Fälle langfristige Überlebensvorteile nachweislich erbrachten und reinerbige Arten aus der Sackgasse der genetischen Variabilitätslosigkeit und Anpassungsunfähigkeit befreiten. Letzteres ist ja gerade für kleine fragmentierte Populationen oder Arten die auch aufgrund des Konnektivitätsverlusts nicht abwandern können von hoher Überlebensbedeutung. Ja die Autoren führen sogar führ höhere Tiere an, dass häufig die F1-Hybriden zwar noch unter Fitnesseinbußen leiden können, aber schon in der F2-Generation die genetische Variabiltätserhöhung so gravierend durchschlägt, dass es zur Populationerhöhung kommt und zwar nicht nur auf Populations- bzw. Unterartebene sondern sogar bei den Arthybriden.
Eines besten und für uns auch gleich wirtschaftlich herausfordernsten Introgessionsereignisse war die Kreuzung der europäischen Hausmaus (Mus musculus domesticus) mit der algerischen Maus (Mus spretus) die eigentlich nur einmal stattfand und die sogar bei einem Teil der Nachkommen in der F1-Generation zur Sterilität führen kann. Allerdings haben sich die Hybriden rasant in Europa verbreitet weil die algerische Maus ein Gen mitbrachte, das die Hybriden und die Individuen die aus Introgressionen (Rückkreuzungen) hervorgingen resistent gegen das weltweit häufig eingesetzte Mäusegift Wafarin machte. Hier hat also der Mensch durch die Benutzung von Wafarin eine für die europäische Hausmaus sehr negative und bedrohliche Umweltveränderung eingeführt, der sie selbst nicht schnell genug ausweichen konnte, aber die bei einem einzigen Einkreuzungsereignis das ein Resistenzgen in die Populationen einbrachte ihre Überlebenschancen wesentlich und nachhaltig verbesserte. Bei den verschiedensten Schildkrötenarten sehen wir heute in der Natur solche Hybridisierungen und Introgressionen ständig, ja sogar für die als so einzigartig beschriebenen Meerechsen (Drusenköpfe) der Galapagosinseln beobachten wir, dass diese Ereignisse zu deren Evolution genauso beitrugen wie zu der der Schildkröten (MacLeod et al., 2015; Garrick et al., 2015, Edwards et al., 2015). In diesem Zusammenhang diskutieren die Autoren auch, dass man eigentlich lernt, dass es in der Evolution um den Generhalt (gene conservation) und nicht so sehr um die sich ständig den verändernden Umweltbedingungen anpassenden und damit zwangsläufig sich mitverändernden Phänotypen geht (siehe auch Hennessy et al., 2015). Etwas das ja auch für unsere eigene Art Homo sapiens so wie wir sie heute definieren zutrifft, da auch einige unserer Gene die unser Immunsystem und unsere Behaarung und Pigmentierung steuern vom Neandertaler stammen sie Kommentar zu Loire et al., (2013). Ja und auf der vierten Seite ihres neunseitigen Artikels gehen sie auch auf das Problem ein, dass die Arterhalter/innen und Gesetzgeber mit diesen Hybriden haben, indem sie klar aufzeigen, dass es für diese keine eindeutigen Bestimmungen gibt. Diese Hybriden fallen wiedermal durchs Raster, weil man sich unsicher ist wie man mit ihnen verfahren soll. Ich würde sagen, dass dies doch ganz einfach sein sollte, denn da diese Individuen nachweislich auch schon in vormenschlicher Zeit zur Artenbildung und Evolution beigetragen haben, sollte man ihnen das auch weiterhin zugestehen. Aber genau das zeigt doch die abstrakte Unnatürlichkeit der Situation, weil eben nicht die Natur Arten und Artgrenzen definiert sondern nur wir als abstrakt denkende und abstrakt handelnde Menschen. Insofern sind Hybridisierung und Introgression kein Problem für die Natur, deren Erhalt und Weiterentwicklung, nein wir meinen, dass wir sie zu einem rein abstrakten Problem für uns machen müssten. Eigentlich fordern uns diese Naturbeobachtungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse doch nur dazu auf genau hinzuschauen, zu lernen und entsprechend unser Bewusstsein dahingehend den natürlichen Gegebenheiten anzupassen, dass wir uns darüber bewusst werden was wir da eigentlich tun.
Ist es nicht, dass was uns die Religionen insbesondere hier im Abendland zu dieser Zeit auch vermitteln wollen. Es geht ums „Bewusstwerden“. Selbst wenn sie auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: Warum bin Ich, sind kann es nur um Bewusstseinsbildung gehen. Zu verstehen woher belebte Materie kommt und wohin sie geht innerhalb eines kosmischen Kreislaufs.
In diesem Sinne wünsche ich ihnen liebe Leser ein frohes besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Ach ja und lassen sie sich von der von so manchem so heraufbeschworenen Flüchtlingskrise nicht entmutigen. Lesen sie ein gutes Geschichtsbuch oder auch die Nibelungensage und sie werden feststellen Völkerwanderungen und Verschiebungen haben die ganze Menschheit zu jeder Zeit geprägt (siehe aktuell dazu auch: Gallego Llorente et al., 2015) und verändert und auch das hatte letztendlich etwas mit gesellschaftlicher Hybridisierung und Introgression zu tun. Genauso wie Religionen in einer globalen sozialen Weltgemeinschaft rein wissenschaftlich gesehen dem Phänomen der so genannten Pseudospeziation zu zuschreiben sind. Wir wollen uns halt auch abgrenzen und geistig in eine bestimmte Richtung entwickeln um es mal einfach und ohne in die Tiefe zugehen auszudrücken. Wir sind nun mal Kinder der belebten Welt und spielen nach ihren Regeln. Es ist zwar schön über den Freien Willen zu philosophieren aber die Freiheit ist auf keiner der Ebenen und Entwicklungsstufen belebter Materie als grenzenlos erfahrbar.
Siehe dazu auch meine Kommentare der letzten Jahre zum Thema Hybridisierung im Abstract-Archiv.
Literatur
Bidmon, H.-J. (2015): Kommentar zu: Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.
Edwards, D. L., R. C. Garrick, W. Tapia & A. Caccone (2014): Cryptic structure and niche divergence within threatened Galapagos giant tortoises from southern Isabela Island. – Conservation Genetics: 15(6): 1357-1369 oder Abstract-Archiv.
Gallego Llorente, M., E.R. Jones, A. Eriksson, V. Siska, K. W. Arthur, J.W. Arthur, M.C. Curtis, J.T. Stock, M. Coltorti, P. Pieruccini, S. Stretton, F. Brock, T. Higham, Y. Park, M. Hofreiter, D.G. Bradley, J. Bhak, R. Pinhasi, & A. Manica (2015): Ancient Ethiopian genome reveals extensive Eurasian admixture throughout the African continent. – Science 350(6262): 820-822; DOI: 10.1126/science.aad2879 ➚.
Garrick R. C., Kajdacsi B., Russello M. A., Benavides E., Hyseni C., Gibbs J. P., Tapia W. & A. Caccone (2015): Naturally rare versus newly rare: demographic inferences on two timescales inform conservation of Galápagos giant tortoises. – Ecology and Evolution 5(3): 676-694 oder Abstract-Archiv.
Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.
Hoffmann, A. A. & C. M. Sgro (2011): Climate change and evolutionary Adaptation. – Nature 470(7335): 479-485 oder Abstract-Archiv.
Loire, E., Y. Chiari, A. Bernard, V. Cahais, J. Romiguier, B. Nabholz, J. M. Lourenço & N. Galtier (2013): Population genomics of the endangered giant Galapagos tortoise. – Genome Biology 14(12): R136 oder Abstract-Archiv.
MacLeod A., A. Rodríguez, M. Vences, P. Orozco-terWengel, C. García, F. Trillmich, G. Gabriele Gentile, A. Caccone, G. Quezada & S. Steinfartz (2015): Hybridization masks speciation in the evolutionary history of the Galápagos marine iguana. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 282(1809); DOI: 10.1098/rspb.2015.0425 ➚.
Romiguier, J., P. Gayral, M. Ballenghien, A. Bernard, V. Cahais, A. Chenuil, Y. Chiari, R. Dernat, L. Duret, N. Faivre, E. Loire, J. M. Lourenco, B. Nabholz, C. Roux, G. Tsagkogeorga, A. A.-T. Weber, L. A. Weinert, K. Belkhir, N. Bierne, S. Glémin & N. Galtier (2014): Comparative population genomics in animals uncovers the determinants of genetic diversity. – Nature 515(7526): 261-263 oder Abstract-Archiv.