Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, ein Albino-Schlüpfling – © Justin R. Perrault

Cardona - 2010 - 01

Cardona, L, P. Campos, Y. Levy, A. Demetropoulos & D. Margaritoulis (2010): Asynchrony between dietary and nutritional shifts during the ontogeny of green turtles (Chelonia mydas) in the Mediterranean. – Journal of Experimental Marine Biology and Ecology 393(1-2): 83-89.

Asynchronität zwischen Ernährungswechsel und Nährstoffgewinn während der Ontogenese von Suppenschildkröten (Chelonia mydas) im Mittelmeer.

DOI: 10.1016/j.jembe.2010.07.004 ➚

Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon
Grüne Meeresschildkröte,
Chelonia mydas,
© Hans-Jürgen Bidmon

Junge Suppenschildkröten (Chelonia mydas) verbringen ihr Leben als ozeanische Omnivore, die hauptsächlich tierische Beute erjagen. Nachdem sie sich in den neritischen (küstennahen) Habitaten ansiedeln, stellt sich ihre Ernährung in tropischen Regionen sehr schnell dahingehend um, dass sie sich mehr herbivor ernähren.
Allerdings sind die ontogenetische Entwicklung dieses Nahrungswechsels und die Bedeutung von tierischen Beutebestandteilen in der Nahrung für die subtropischen und mäßig warmen Regionen noch kaum verstanden.
Bei 22 Suppenschildkröten im östlichen Mittelmeer wurden stabile Isotopen von Kohlenstoff und Stickstoff aus den Hornschilden des Carapax untersucht. Die Größe der Schildkröten reichte von 28 cm bis zu 83 cm gekrümmter Carapaxlänge (CCLmin), wobei wir die Hypothese untersuchten, dass während der neritischen Lebensphase ein schneller Nahrungswechsel stattfinde. Tatsächlich bestand bei allen Suppenschildkröten, die größer als 30 cm CCLmin waren, der Hauptteil des Mageninhalts aus Seegras, jedoch zeigte die Konzentration der stabilen Isotope der Carapaxschilde, dass Schildkröten unter 40 cm CCLmin nur sehr geringe, fast vernachlässigbare Mengen an Nährstoffen aus dem Seegras aufnahmen. Die Konzentration der stabilen Isotope in den Carapaxschilden ließ vermuten, dass die Bedeutung des Nährstoffgewinns aus Seegras bei Suppenschildkröten mit der Größe der Tiere stetig zunimmt und dass sich einige, jedoch nicht alle der Schildkröten über 62 cm CCLmin vollständig herbivor ernährten. Die Gesamtbetrachtung der Daten (Magendarminhalt und stabile Isotopenanalyse) zeigt, dass Suppenschildkröten des Mittelmeerraums, die in die neritische Phase eintreten, einen Nahrungswechsel hin zu einer auf Seegras-basierenden Ernährung durchführen, wobei das Wachstum der Schildkröten dennoch weiterhin für einige Jahre auf der Aufnahme von Nährstoffen aus tierischer Beute basiert. Es wird vermutet, dass diese Asynchronität zwischen Nahrungswechsel und Nährstoffaufnahme durch eine Temperatursensitivität der bakteriellen Fermentierung (im Darm) und der relativ niedrigen Temperatur bedingt ist, bei der sich die Schildkröten im Mittelmeerraum aufhalten. Denn das könnte dazu führen, dass es während der meisten Zeit ihrer juvenilen neritischen Phase zu einer schlechten Assimilation (Inkorporation) von pflanzlichen Nährstoffen kommt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit bestätigt wieder einmal, dass als Herbivore bezeichnete Suppenschildkröten zumindest während ihrer Jugend karnivor leben und auch als Halbwüchsige durchaus auf die Aufnahme tierischer Nährstoffe angewiesen sind. Die Autoren dieser Arbeit interpretieren die Befunde weniger aus physiologischer als mehr aus einer rein verdauungsbiochemischen Sicht, die auf dem Wissen aufbaut, dass zur Verdauung tierischer proteinreicher Nahrung weniger Wärme erforderlich ist, da sie oft rein enzymatisch und ohne bakterielle Fermentation erfolgen kann. Dennoch ist aber auch hier eine gut florierende bakterielle Umsetzung erforderlich, da es sonst zu pathologischen Fäulnisprozessen im Dickdarm kommen würde, sodass das reine Temperaturargument nicht so leicht nachzuvollziehen ist. Aufgrund meiner eigenen Beobachtungen an jungen Landschildkröten kann ich diese Temperaturabhängigkeit nicht unbedingt nachvollziehen, denn ich habe die Aufnahme tierischer Beute meist bei sehr warmem Wetter beobachtet, wenn die Schildkröten sehr aktiv waren (Bidmon 2009). Auch die Aufnahme tierischer Kost bei jungen Schmuckschildkröten erfolgt bei optimalen Haltungstemperaturen (Bouchard & Bjorndal 2005, 2006). Deshalb sollte man hier durchaus bei der Interpretation die Daten anderer Autoren an juvenilen und adulten Suppenschildkröten mit berücksichtigen, die auch die Aufnahme tierischer Nahrung beschreiben (Arthur et al. 2007, Reich et al. 2007). Seegras muss auch nicht immer die für ein optimales Wachstum nötigen Nahrungsbestandteile enthalten, so dass es ergänzt werden muss, wenn dazu keine anderen pflanzlichen Energieträger vorhanden sind, die von den Tieren genutzt werden können (siehe McDermid et al. 2007, Russell & Balazs 2009). Meiner Meinung nach hängt die Notwendigkeit einer ergänzenden Aufnahme tierischer Beute viel eher von der aktuellen Wachstumsgeschwindigkeit der einzelnen Individuen ab, weil rasch wachsende Tiere auf bestimmte Nahrungsbestandteile angewiesen sind, die in tierischer Nahrung häufiger und in größeren Mengen enthalten sind als in Pflanzen (siehe auch Bidmon 2010). Zu guter Letzt wird auch hier wieder klar, dass man zwar bei der Untersuchung des Mageninhalts die schwerer verdaulichen Pflanzenbestandteile leicht identifizieren kann und deshalb zu deren Überbewertung neigt, während man die leicht verdaulichen Überbleibsel einer gefressenen Qualle nur mehr schwer, wenn überhaupt noch ausmachen kann. Wie aber die chemischen Isotopenanalysen zeigen, finden sich in den Proben der Halbwüchsigen dennoch mehr Nahrungsbestandteile aus dieser tierischen Beute als jene aus der in den Mägen eindeutig nachgewiesen Seegräser – worüber man einmal nachdenken sollte (siehe auch Kommentar zu Polo-Cavia et al. 2010).
Was wir aber aus diesen hier vorgestellten Daten und deren Diskussion in Bezug auf die temperaturabhängige Nährstoffassimilation lernen sollten ist die Feststellung, dass bei wechselwarmen Tieren Verdauung und Nahrungsverwertung sowie das Wachstum sowohl von der Nahrungszusammensetzung als auch von der Temperatur beeinflusst werden. Zudem spielt die Saison eine Rolle, denn wer in einer eigentlichen den Tieren angeborenen Aestivationsphase falsch füttert, kann mit schwereren Schäden rechnen als während der Hauptaktivitätszeit- und mal ehrlich, wie viele Halter/innen tropischer Arten halten sich wirklich an Aestivationszeiten oder zumindest annähernd an eine dem Vorkommensgebiet entsprechende Dauer einer Ruhephase? Viele verzweifeln ja schon, wenn sie ihre Schildkröten sechs Wochen nur ruhen sehen, geschweige denn vier Monate warten!). Letzteres sollte uns daran erinnern, dass Ernährungsprobleme, Durchfälle, Infektionen im Verdauungstrakt und Wachstumsstörungen sowie Verfettung bei der Tierhaltung auch von der Haltungstemperatur mit bestimmt werden. Solange man also über die Haltungstemperatur und die Bedingungen nichts weiß, kann man also kaum verstehen, warum beispielsweise bei manchen Haltern die Verfütterung von Früchten zu keinen Problemen führt, während andere von schwersten Schädigungen berichten (siehe auch BIDMON 2009). Beispielsweise wurde ich erst kürzlich wieder von einer Schildkrötenhalterin um Rat gefragt, die sich junge Spaltenschildkröten zugelegt hatte, und ihren Angaben nach so fütterte, wie sie es beim Züchter gesehen hatte. Sie würde ebenfalls ausschließlich Wiesenkräuter füttern, aber bei ihr würden die Kleinen jetzt zunehmend das Futter verweigern, zu Durchfall neigen und ihre zur Verbesserung der Lage gedachten Bäder in lauwarmen Wasser würden auch nicht wirklich helfen. Auf die Frage, wie es mit der Temperatur aussieht, bekam ich die Antwort, die Schildkröten hätten einen Strahle, unter dem sie sich auf die von ihnen als ideal empfundene Temperatur aufwärmen können. Doch ehrlich gesagt, haben Sie schon einmal gerade neu angeschaffte, noch junge, scheue Spaltenschildkröten lange im Freien unter einem Strahler gesehen? Ich jedenfalls nicht, denn Spaltenschildkröten und erst recht Schlüpflinge leben die meiste Zeit versteckt in Spalten. Für die Tiere wäre es purer Stress sich frei unter einen Strahler zu setzen, und Stress kann auch zu Immunschwäche und Fehlverdauung bzw. Infektion führen (siehe Wright 2005). Hier hilft es also nur, dass man dort, wo sich die Schildkröten wohlfühlen, nämlich in ihrer „Spalte“, eine für die Haltung und Verdauung optimale Temperatur einstellt. Viele, die das in einem Zimmerterrarium realisieren wollen, haben dabei des Probleme, insofern ist es irreführend und katastrophal von vornherein alle auftretenden Probleme nur auf das Futter zu schieben, ohne die anderen Faktoren mit zu berücksichtigen. Es sind meist wir selbst, da wir uns allzu oft nicht selbst von unserem „Schablonendenken“ freimachen können, das da heißt, zu kalt ist gleichzusetzen mit Schnupfen und Lungenentzündung (eben Erkältung), und Durchfall mit Verdauungsproblemen, die man dann noch ausschließlich mit falscher Nahrung oder Bakterien und Parasiten in Verbindung bringt. Dabei kann selbst eine Fettleber kann entweder physiologisch sein bei Arten, die Energie für die Aestivationphase und die daran anschließende Reproduktion speichern, sowie auch auf einer krankhaften Fehlverstoffwechselung bei falscher Haltungstemperatur beruhen.
Bei wechselwarmen Lebewesen ist aber der gesamte Stoffwechsel temperaturabhängig, also auch die Verdauung und ständig zu kühle, suboptimale Temperaturen führen eben eher zu Fehlverdauung und als Folge des resultierenden Energiemangels zu Immunschwäche, als zu Erkältungen, zumindest solange keine Zugluft dazukommt. Bei normaler physiologischer Abkühlung geht der Stoffwechsel der Tiere nach unten und kaum eine Schildkröte, die man zur Vorbereitung auf die Winterruhe abkühlt, zeigt Erkältungssymptome solange sie dabei keiner Zugluft ausgesetzt ist – hier wird deutlich, dass Kälte eben nicht gleich Erkältung bedeutet). Sie sehen, wenn man es von Berufswegen oder aus Interesse nicht gelernt hat, hilft eigentlich nur Lesen, um sich der Problematik anzunähern! Zumindest hilft es, das, was man beobachtet und feststellt, besser einzuordnen und möglichst richtig zu deuten, um im Sinne einer Haltungsoptimierung angemessen auf auftretende Probleme reagieren zu können.

Literatur

Arthur, K. E., J. M. O'Neil, C. J. Limpus, K. Abernathy & G. Marshall (2007): Using animal-borne imaging to assess green turtle (Chelonia mydas) foraging ecology in Moreton Bay, Australia. – Marine Technology Society Journal 41(4): 9-13 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: Eine Übersicht. – Schildkröten im Fokus 6(1): 3-26 ➚.

Bidmon, H.-J. (2010): Karnivore Schildkröten: Was ist ihr handelsübliches Futter eigentlich wert? Oder: Die Bedeutung des Darminhalts der Futtertiere. – Schildkröten im Fokus 7(1): 3-18 ➚.

Bouchard, S. S. & K. A. Bjorndal (2005): Microbial fermentation in juvenile and adult pond slider turtles, Trachemys scripta. – Journal of Herpetology 39(2): 321-324 oder Abstract-Archiv.

Bouchard, S. S. & K. A. Bjorndal (2006): Ontogenetic Diet Shifts and Digestive Constraints in the Omnivorous Freshwater Turtle Trachemys scripta. – Physiological and Biochemical Zoology 79(1): 150-158 oder Abstract-Archiv.

McDermid, K. J., B. Stuercke & G. H. Balazs (2007): Nutritional composition of marine plants in the diet of the green sea turtle (Chelonia mydas) in the Hawaiian Islands. – Bulletin of Marine Science 81(1): 55-71 oder Abstract-Archiv.

Polo-Cavia N., A. Gonzalo, P. López & J. Martín (2010): Predator recognition of native (European pond) but not invasive turtle predators (red-eared sliders) by naïve anuran tadpoles. – Result sliders out compete native turtles for food. – Animal Behaviour 80(3): 461-468 oder Abstract-Archiv.

Reich, K. J., K. A. Bjorndal & A. B. Bolten (2007): The 'lost years' of green turtles: using stable isotopes to study cryptic lifestages. – Biological Letters 3(6): 712-714 oder Abstract-Archiv.

Russell, D. F. & G. H. Balazs (2009): Dietary Shifts by Green Turtles (Chelonia mydas) in the Kane'ohe Bay Region of the Hawaiian Islands: A 28-Year Study. – Pacific Science 63(2): 181-192 oder Abstract-Archiv.

Wright, K. (2005): Beyond POTZ: Environmental influences on reptile healing. – Exotic DVM Veterinary Magazine 7(4): 11-15 oder Abstract-Archiv.

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