Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, – © Hans-Jürgen Bidmon

Arantes - 2020 - 01

Arantes, L. S., S. T. Vilaça, C. J. Mazzoni & F. R. Santos (2020): New genetic insights about hybridization and population structure of hawksbill and loggerhead turtles from Brazil. – Journal of Heredity esaa024.

Neue genetische Erkenntnisse zur Hybridisierung und Populationsstruktur von Echten und Unechten Karettschildkröten in Brasilien.

DOI: 10.1093/jhered/esaa024 ➚

Echte Karettschildkröte, Eretmochelys imbricata, – © Enrico Marcovaldi
Echte Karettschildkröte,
Eretmochelys imbricata,
© Enrico Marcovaldi

Entlang der brasilianischen Küste beobachtet man ein extrem hohes Vorkommen an Meeresschildkrötenhybriden. Um dieses untypische Phänomen und dessen Einfluss in Bezug auf die Erhaltung von Meeresschildkröten besser zu verstehen ist ein Forschungsfokus unerlässlich, nämlich die Aufklärung der Evolutionsgeschichte dieser Meeresschildkröten. Wir erfassten qualitativ hochwertige multilocus Haplotypen aus 143 Proben von 5 Schildkrötenspezies, die entlang der brasilianischen Küste vorkommen, um diese Hybridisierungsprozesse sowie die Populationsstruktur von Echten- (Eretmochelys imbricata) und Unechten (Caretta caretta) Karettschildkröten zu untersuchen. Die Multilocusdaten waren ursprünglich zur Charakterisierung von Interspezieshybriden eingesetzt worden. Die Introgression (also F2-Hybriden) konnten nur für Schlüpflinge von F1-Hybridweibchen die aus einer Kreuzung von Echten- mit Unechten Karettschildkröten hervorgegangen waren bestätigt werden, was nahelegt, dass die Introgression in früheren Studien überschätzt wurde und F2-Hybriden nicht bis zur Geschlechtsreife überleben oder der Befund erklärt sich dadurch, dass diese aus der ersten Generation stammenden F1-Hybridweibchen die ihre Nester entlang der brasilianischen Küste ablegen selbst erst wenige Jahrzehnte zuvor geboren worden waren. Die phylogenetischen Analysen anhand von nukleären Markern zeigten, dass Vorkommen von mtDNS tragenden Individuen sowohl aus der Indopazifischen – Evolutionsline wie auch aus der Atlantischen – Evolutionsline für die Echten Karettschildkröten was eine weitzurückreichende genetische Aufspaltung aus der Zeit des frühen Pliozäns andeutet. Zusätzlich zeigen Unechte Karettschildkröten die gemeinsame Nahrungsgründe nutzen und die zu distinkten Indopazifischen – bzw. Atlantischen- Kladen gehören derzeit noch keine klare genetische Differenzierung auf dem Niveau ihrer nukleären Marker aufweisen. Abschließend zeigen unsere Ergebnisse, dass bei Echten Karettschildkröten und Unechten Karettschildkröten die Nistplätze entlang der brasilianischen Küste durch einen von den Männchen getragenen Genfluss miteinander verbunden sind.

Unechte Karettschildkröte, Caretta caretta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Unechte Karettschildkröte,
Caretta caretta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit ist eine Fortsetzung zu den Untersuchungen der vergangenen Jahre (siehe Brito et al., 2020 und den dortigen Kommentar) die einige Korrekturen zum in Brasilien vorgefunden Hybridisierungsmuster liefern, die sich insbesondere auf die Erkenntnisse zu den F2-Hybriden beziehen und die zumindest diskutieren, dass die F2-Hybriden entweder nicht so fruchtbar sind oder aber, dass diese Individuen zum größten Teil noch nicht alt genug sind um sich zu reproduzieren was durchaus sein könnte, da Echte Karettschildkröten zur Geschlechtsreife bis zu 40 Jahre benötigen können während die Unechten Karettschildkröten dazu bis zu 29 Jahre benötigen können. Da die Befunde aus früheren und dieser Arbeit andeuten, dass die ersten Häufungen an Hybridisierungsereignissen sich in etwa auf 1980 zurückdatieren lassen könnte diese zweite Möglichkeit durchaus zutreffen, da Soares et al. (2018 ) zwar Schlupfratenbeeinträchtigungen bei Hybridgelegen beobachtet haben, aber diese nur unwesentlich von jenen der reinerbigen abwichen und ältere Hybridjungtiere durchaus in den Nahrungsgründen aufzufinden sind. Letzteres verdeutlicht uns auch wie wichtig in diesem Zusammenhang die immer seltener werdenden Langzeitstudien sind, denn nur sie könnten uns diese noch ausstehenden und durchaus wesentlichen Fragen beantworten. Denn zum anderen stellt sich auch die Frage was führt zu solchen gesteigerten Hybridisierungsraten nicht nur bei Echten- und Unechten Karettschildkröten, sondern auch zwischen den anderen Spezies? Sind es Umweltveränderungen? Ja, und welchen Beitrag leisten die vielleicht sogar von Jahr zu Jahr wechselnden Umweltbedingen dabei (siehe Chen & Pfennig, 2020) oder auch lokale Umwelteinflüsse bzw. noch nicht weiter erkannte Umweltunterschiede (siehe Fitzpatrick & Shaffer et al., 2004)? Alle diese Fragen sind noch offen und weitgehend ungeklärt und somit ist es zumindest erfreulich, dass zumindest eines sich bei dieser Studie abzeichnet nämlich, dass bei Meeresschildkröten die Männchen nicht nur zum Genfluss zwischen den Nistpopulationen beitragen, sondern sie dadurch auch verwandtschaftlich (genetisch) verbinden (siehe Stiebens et al., 2013 und den dortigen Kommentar) und sollte uns das nicht auch darüber nachdenken lassen welche Bedeutung solche oder ähnliche Verbindung auch zwischen Arten haben können (siehe dazu Renner, 2016 und den dortigen Kommentar).

Literatur

Chen, C. & K. S. Pfennig (2020): Female toads engaging in adaptive hybridization prefer high-quality heterospecifics as mates. – Science 367(6484): 1377-1379 oder Abstract-Archiv.

Fitzpatrick, B. M. & H. B. Shaffer (2004): Environment-dependent admixture dynamics in a tiger salamander hybrid zone. – Evolution 58(6): 1282-1293; DOI: 10.1111/j.0014-3820.2004.tb01707.x ➚.

Renner, S. S. (2016): A Return to Linnaeus's Focus on Diagnosis, Not Description: The Use of DNA Characters in the Formal Naming of Species. – Systematic Biology 65(6): 1085-1095 oder Abstract-Archiv.

Soares, L. S., K. A. Bjorndal, A. B. Bolten, M. A. G. dei Marcovaldi, P. B. Luz, R. Machado, R. Lo, S. F. McDaniel, A. C. Payton, T. B. Waltzek & M. L. Wayne (2018): Effects of hybridization on sea turtle fitness. – Conservation Genetics 19: 1311-1322 oder Abstract-Archiv.

Stiebens, V. A., S. E. Merino, C. Roder, F. J. Chain, P. L. Lee & C. Eizaguirre (2013): Living on the edge: how philopatry maintains adaptive potential. – Proceedings of the Royal Society, Series B Biological Sciences 280(1763): 20130305 oder Abstract-Archiv.

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