Griechische Landschildkröte, Testudo hermanni boettgeri, Jungtiere – © Hans-Jürgen Bidmon

Rozylowicz - 2013 - 01

Rozylowicz, L. & V. D. Popescu (2013): Habitat selection and movement ecology of eastern Hermann’s tortoises in a rural Romanian landscape. – European Journal of Wildlife Research 59(1): 47-55.

Lebensraumauswahl und die Wanderungsökologie der östlichen Griechischen Landschildkröten in der ruralen (außerdörflichen) Landschaft Rumäniens.

DOI: 10.1007/s10344-012-0646-y ➚

Griechische Landschildkröte, Testudo hermanni boettgeri, – © Hans-Jürgen Bidmon
Griechische Landschildkröte,
Testudo hermanni boettgeri,
© Hans-Jürgen Bidmon

Für die Planung von Managementmaßnahmen ist das Wissen über die Bewegungsmuster von Wildtieren und deren Ansprüche an die Habitatauswahl eine der wichtigsten Voraussetzungen. Wir untersuchten eine Population der östlichen Griechischen Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri) in einer traditionell genutzten ländlichen Landschaft in Rumänien nahe der nördlichsten Vorkommensgrenze dieser Art. Wir benutzten die Radiotelemetrie, um zwischen 2005 und 2008 24 Individuen zu überwachen und wir führten eine auf euklidischen Abständen basierende Analyse zur Lebensraumauswahl durch, um die von den Schildkröten bevorzugt genutzten Landschaftstypen zu bestimmen (Selektionskriterium zweiter Ordnung), ebenso wie individuelle Auswahlkriterien (Selektionskriterien dritter Ordnung) sowie die Lebensraumgröße (Home Range). Die Home Range Größe für die untersuchten Schildkröten betrug in unserem Untersuchungsgebiet 3,79 ± 0,62 Hektar und es gab keine deutlichen geschlechtsabhängigen oder saisonabhängigen (vor der Nistperiode bzw. nach der Nistperiode) Unterschiede. Das Bewegungsmuster der Schildkröten zeigten charakteristische tägliche Kurzstreckenwanderungen (pro Tag durchschnittlich 31,18 ± 1,59 m), die auch unabhängig vom Habitattyp waren. Im Gegensatz zu anderen Studien waren die Wanderungen der Männchen und Weibchen ziemlich ähnlich in Bezug zur Größenordnung. Auf die Landschaft bezogen (Home range der Gesamtpopulation) zeigte sich, dass Graslandschaften und Gebüschformationen bevorzugt wurden, obwohl die Schildkröten auch eine Vorliebe für Waldränder erkennen ließen. Auf der Ebene der individuellen Home Range (Lebensraums) zeigte sich aber klar, dass die Schildkröten Grasland und Gebüsche auswählten und Wälder mieden, wobei sie nur nebenbei Waldränder mit benutzten. Bachläufe wurden sowohl auf der Populations- als auch auf der individuellen Ebene der Habitatselektion gemieden. Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass Landschildkrötenlebensräume sehr gut definierte Habitatassoziationen erkennen lassen, wobei sich eine ausgesprochene Bevorzugung der Graslandschaft zeigt. Die Erkenntnis daraus deutet an, dass es gilt Landschaftsumwandlungen im Sinne einer veränderten Nutzung zu vermeiden, wobei man auch die Heterogenität (Verschiedenheit) der Landschaftsformen durch traditionelle Nutzungspraktiken aufrecht erhalten sollte (z. B. durch manuelles Mähen der Weiden oder durch offene Weidewirtschaft). Diese zuletzt genannten Maßnahmen scheinen äußerst wichtig für die Erhaltung der Schildkrötenpopulationen zu sein.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine Arbeit, die eigentlich zwei Dinge sehr schön zeigt, zum einen, dass Schildkröten in einer intakten Landschaft, die ihnen noch alles bietet, relativ kleine Habitate beanspruchen und auch nur geringe Wanderungen durchführen. Ein Befund wie ihn auch Köhler (2009) für T. graeca beschrieb. Letzteres habe ich erst kürzlich in einem anderen Zusammenhang diskutiert (siehe Loehr 2012, Iosif et al. 2013). Zum zweiten wird hier klar, wie wichtig für die Schildkröten die Aufrechterhaltung der traditionellen Nutzungs- oder Bewirtschaftungsform in einer seit Jahrtausenden vom Menschen genutzten Sekundärlandschaft ist, wenn es um deren Erhaltung geht (siehe auch Kommentar zu: Bondarenko & Dujsebayeva 2012, Iftime & Iftime 2012). Ja und letzteres gilt ja nicht nur für mediterrane Landschaften oder in Bezug auf Schildkröten, wir selbst hier in Deutschland kennen solche Praktiken zur Genüge, ich möchte hier nur den Badberg im Kaiserstuhl erwähnen, wo so manche Smaragdeidechsenpopulation oder Bestandteile der Spinnenfauna wie Eresus niger oder Atypus affinis ohne diese Landschaftspflegemaßnahmen nicht zu erhalten wären. Ebenso wie es die Lüneburger Heide mit ihrer angepassten Artenvielfalt ohne die Beweidung durch Schafe nicht mehr gäbe. Der Fehler, der heute oft gemacht wird, ist, dass wir selbst Naturschutz oft rein theoretisch vom Reißbrett aus per Flächennutzungsplan – ich möchte fast sagen „pseudo-“ – managen, denn wir weisen zwar geschützte Regionen aus (siehe das Natura 2000 Projekt der EU), aber wir nutzen die Landschaft dennoch anders, indem wir zum Beispiel dort aufforsten, wo die Weidewirtschaft nichts bringt. Sicher, Wald beherbergt auch schützenswerte Arten und suggeriert uns auch rein optisch schon, dass es sich um ein geschütztes Gebiet handelt, weil wir „unberührten“ Wald fast automatisch damit assoziieren. Aber Wald ist eben nicht für alle Lebewesen ein angemessener Lebensraum. Deshalb gilt es immer zwei Fragen zu klären, wenn wir eine Art erhalten wollen, die heute irgendwo existiert: 1. Wie sah diese Landschaft früher aus und gab es diese Art früher dort überhaupt? Zweitens wenn es diese Art früher dort nicht gab, warum gibt es die Art heute hier und wie abhängig ist das Vorkommen der Art von der derzeitigen Landnutzung? Im Anschluss daran müssen wir uns entscheiden, was wir wollen, denn wenn wir zurück zu einer vielleicht ursprünglich bewaldeten Landschaft wollen, dann sollten wir uns davon verabschieden die Schildkröten dort erhalten zu können (siehe auch Kommentar zu Vilardell et al. 2012), denn in einem Wald wird sich sowohl das Lebensraummuster als auch das Artenspektrum und Beutegreiferspektrum so verändern, dass z.B. Landschildkröten auf lange Sicht nicht überleben können. Oder wollen wir die derzeit vorhandenen Arten dieser Sekundärlandschaft erhalten? Dann müssen wir von Aufforstungsmaßnahmen Abstand nehmen und müssen im Rahmen der Landschaftspflege sogar alte eigentlich unwirtschaftliche Landnutzungspraktiken wie die Beweidung durch Schafe und Ziegen in Form von Landschaftspflegemaßnahmen subventionieren. So wie ich es derzeit in Spanien oder auch Südosteuropa erlebe, tun wir genau das noch nicht, denn dort wird aufgeforstet oder traditionelle landwirtschaftliche Nutzung durch moderne intensive Landbearbeitung ersetzt und dass durchaus gewollt, denn man geht davon aus, dass es dort agrarwirtschaftliche Nutzung schon immer gab, allerdings ohne dass man sich dabei in Brüssel die Frage stellt, wie diese Nutzung aussah, deshalb widerspricht ja auch kaum jemand, wenn heute in solchen Gebieten Rumäniens oder Bulgariens selbst innerhalb der durch das Projekt Natura 2000 erfassten Gebiete moderne Kreiselmäher und tiefpflügende Großmaschinen dort zum Einsatz gebracht werden, wo bis vor wenigen Jahren Weidevieh und Ochsengespanne die Landschaft bearbeiteten. (Siehe auch Kommentar zu: Bondarenko & Dujsebayeva 2012, Iftime & Iftime 2012). Aus historischer Sicht kann man sicher auch vielerorts im Mediterranraum davon ausgehen, dass es früher vielleicht dort gar keine oder nur wenige an den Waldrändern vorhandene Schildkrötenpopulationen gab, denn vielerorts hat die zum Ende des Fünfzehntenjahrhunderts beginnende Waldabholzung für den Schiffbau durch die drastische Zunahme der Segelschifffahrt in die neue Welt dazu geführt, dass sich genau diese Landschaftsformen ausbreiten konnten, die die Landschildkröten bevorzugen. Auch dort, wo wir heute Macchie vorfinden, war vor etwa 600 bis 500 Jahren oft noch Eichenwald. Wir sehen also, manche dieser Biotope, die heute als Landschildkrötenbiotope bekannt geworden sind, waren es, wenn die Habitatansprüche der Schildkröten so sind wie oben beschrieben, ganz früher sicherlich nicht. Hier muss man also die Situation schon genau analysieren, um die entsprechenden Erhaltungsmaßnahmen zu realisieren. Ja und wir müssen durchaus Prioritäten setzen, denn das tut die unbelassene Natur auch, d. h., wenn wir Waldtiere wie Braunbären, Luchse oder Wildkatzen erhalten wollen, müssen wir wohl die Flächen verstärkt aufforsten, wollen wir jedoch bestimmte an die offene Landschaft angepasste Vogel- oder Schildkrötenarten erhalten, müssen wir meist die Landschaft so erhalten, wie sie zur Hochzeit dieser Arten war, selbst dann wenn es sich dabei um eine traditionell vom Menschen genutzte Sekundärlandschaftsformation handelt.

Literatur

Bondarenko, D. A. & Т. N. Dujsebayeva (2012): Central Asian Turtle, Agrionemys horsfieldii (Gray, 1844), in Kazakhstan (Its Distribution, Habitat Division, and Population Density). – Современная Герпетология 12(1/2): С3-26 oder Abstract-Archiv.

Iftime, A. & O. Iftime (2012): Long term observations on the alimentation of wild Eastern Greek Tortoises Testudo graeca ibera (Reptilia: Testudines: Testudinidae) in Dobrogea, Romania. – Acta Herpetologica 7(1): 105-110 oder Abstract-Archiv.

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