Hispaniola-Schmuckschildkröte, Trachemys decorata, – © Paul Jeffey-Mackenzy, Caribaea Initiative

Parham - 2013 - 01

Parham, J. F., T. J. Papenfuss, P. P. van Dijk, B. S. Wilson, C. Marte, L. R. Schettino & W. Brian Simison (2013): Genetic introgression and hybridization in Antillean freshwater turtles (Trachemys) revealed by coalescent analyses of mitochondrial and cloned nuclear markers. – Molecular Phylogenetics and Evolution 67(1): 176-187.

Genetische Introgression und Hybridisierung bei Wasserschildkröten der Antillen (Trachemys), aufgezeigt anhand von Coaleszensanalysen der mitochondrialen und geklonten nukleären Marker.

DOI: 10.1016/j.ympev.2013.01.004 ➚

Mittelamerikanische Schmuckschildkröte, Trachemys venusta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Mittelamerikanische Schmuckschildkröte,
Trachemys venusta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Feststellung, ob es Konflikte zwischen den genetischen Stammbäumen und den (Morpho) – Spezies gibt, die zum einen auf eine unvollkommene Abstammungslinien-Sortierung (ILS) oder zum anderen auf Hybridisierungen mit nativen und/oder invasiven Spezies zurückzuführen sind, hat sowohl Auswirkungen auf die Rekonstruktion der Verwandtschaftsbeziehungen wie auch auf die Erhaltungsentscheidungen. Innerhalb der Wirbeltiere stellen Schildkröten eine ganz besondere Gruppe zum Studium dieser Sachverhalte dar, weil sie die Fähigkeit haben, sowohl mit nahe verwandten als auch mit nur entfernt verwandten Linien zu hybridisieren. In dieser Studie untersuchen wir eine Gruppe von Wasserschildkröten (Trachemys) aus einem Teil ihres Verbreitungsgebiets, den Großen Antillen, wo es angeblich zu einer Retikulation (vernetzten Evolution durch Kreuzungen) auf natürliche Art wie auch durch den Menschen verursachte Prozesse gekommen sein soll. Wir sequenzierten die mtDNS von 83 Proben, zudem drei nuDNS-Marker für 45 Proben und klonten 29 polymorphe Sequenzen, um die Artabgrenzungen, die Hybridisierungsereignisse und die Übergangszonen für die Trachemys der Antillen und den benachbarten Festlandpopulationen zu erfassen. Die initiale Coaleszensanalyse der nukleären Allele (mittels ∗BEAST) ergab einen Bayesian-Artenstammbaum, der deutlich dem widersprach, der sich aus der mtDNS ergab sowie jenen aus der traditionellen Taxonomie, wobei sich zeigte, dass eine Beeinträchtigung durch Hybridisierungsereignisse die Ursache dafür sein könnte. Deshalb führten wir eine explorative phylogenetische Analyse für die nicht-übereinstimmenden Allele vom abgeschätzten (vermuteten) Gen-Abstammungsbaum (siehe Heled & Drummond 2010) durch, um die potentielle Herkunft der Hybriden zu identifizieren. Die Geographie, die Morphologie und der Kontext der Probensammlung mit den meisten Proben, die Introgression von Allen zeigten, ließen vermuten, dass es sich weit mehr um Hybridisierung als um ILS handelte. Wir identifizierten die Kontaktzonen zwischen den verschiedenen Spezies auf Jamaica (T. decussata × T. terrapen), auf Hispaniola (T. decorata × T. stejnegeri) und in Mittelamerika (T. emolli × T. venusta). Wir waren aber nicht in der Lage zu eruieren, ob die Verbreitung von T. decussata auf Jamaica natürlichen Ursprungs ist oder das Ergebnis einer prähistorischen Einfuhr durch die frühe einheimische amerikanische Bevölkerung widerspiegelt. Diese Unsicherheit bedeutet für den Erhaltungsstatus der jamaikanischen T. decussata Populationen und deren Kontaktzonen zu T. terrapen, dass sie als ungeklärt betrachtet werden müssen. Die durch den Menschen bedingten Verbreitungsvorgänge ergaben schlüssigere Ergebnisse und sprachen klar für eine prähistorische Translokation von T. stejnegeri zwischen Puerto Rico und Hispaniola, ebenso wie sie für eine erst in jüngerer Vergangenheit erfolgte genetische Verunreinigung einheimischer Spezies durch die invasive in den USA einheimische T. scripta elegans durch den Tierhandel sprachen. Zum Schluss testeten wir den Einfluss eingeführter Allele mit der Multispeziescoaleszensanalyse in einem Bayesian-Gesamtrahmen, um zu zeigen, dass Studien, die nicht die heterozygoten Sequenzen von Hybridindividuen einbeziehen, den korrekten Speziesstammbaum darstellen, allerdings könnte der Wert von Kladen, die die Hybridindividuen mit einschließen, insgesamt reduziert sein.

Hispaniola-Schmuckschildkröte, Trachemys decorata, – © Paul Jeffey-Mackenzy
Hispaniola-Schmuckschildkröte,
Trachemys decorata,
© Paul Jeffey-Mackenzy

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine aufschlussreiche Arbeit, die zudem gut bebildert ist und die wieder einmal hervorhebt, wie leicht es für Schildkröten ist, fertile Hybriden zu zeugen, sich so zu vermehren und auch neue Lebensräume zu erschließen. Die Ursachen für die Hybridisierung sind unterschiedlich und man führt hier schon einen Unterschied ein, indem man zum einen von natürlichen Hybriden, prähistorischen vom Menschen verursachten Hybriden und – wenn man so will – neuen vom Menschen verursachten „invasiven“ Hybriden spricht. Wenn man einmal davon ausgeht, dass es zwar sinnvoll ist, die Art als eine biologische Klassifizierungseinheit anzusehen (siehe Kunz 2002), so wie es für die Chemiker die Elemente sind, dann haben wir aber immer noch ein Problem, nämlich das der Definition. Hier wird klar ein phylogenetisches, sprich genetisches Artkonzept verfolgt, aber wie man heute schon selbst bei Wikipedia unter dem Stichwort Introgression nachlesen kann, hat man schon viele Artkonzepte entworfen, von denen bislang keines den wirklichen Kern des Phänomens der „Belebten Materie“ so wirklich gerecht wurde. Eine Grundeigenschaft von Lebensformen ist deren Anpassungsfähigkeit, die zwangsläufig mit Veränderung einhergeht. Letzteres legt nahe, dass Arten nichts Statisches, Feststehendes sein können. Damit betrachten wir sie zwar per se immer noch als biologische Grundeinheiten in unserer taxonomischen Klassifizierung, wir sollten aber nicht den Denkfehler begehen, dass sie deshalb mit den abiotischen Grundeinheiten der Chemie und der Physik gleichzustellen seien. Belebte Materie verhält sich grundsätzlich anders! Dieses „Anders“ ist selbst den Biologen bislang noch nicht wirklich zugänglich und deshalb werden in der Biologie auch die Metapher der Philosophie und manchmal sogar der Theologie wie Geist und Seele oder Bewusstsein immer noch akzeptiert, obwohl diese Metapher ja nichts anderes als dieses bislang nicht Verstande zum Ausdruck bringen. Wir sollten uns also, ehe wir über Erhaltungsmaßnahmen in den Lauf der Evolution eingreifen, über die Definitionen klar werden, denn ohne dieses Verständnis wissen wir ja streng genommen noch nicht einmal, was wir tun und welche Folgen sich daraus für zukünftige Lebensabläufe ergeben. Gehen wir mal streng nach der etwas älteren Definition des Artbegriffs vor, der da besagte, dass das eine Art repräsentiert, was sich nicht fruchtbar mit einer anderen Art fortpflanzen kann, dann müssten wir alle Arten, die das noch können bestenfalls als Unterarten beschreiben. Wäre das so schlimm? Ja selbst die Berücksichtigung einer geographischen Trennung im Sinne einer natürlichen Barriere würde es eigentlich nicht rechtfertigen, dann von getrennten Arten zu sprechen, wenn fertile Hybriden bei Vereinigung entstehen würden, denn so wie Gondwanaland als zusammenhängender Urkontinent mal zerbrochen ist, könnte er sich oder Teile davon auch wieder vereinigen, da die Kontinentaldrift fortschreitet und es abzusehen ist, wann sich auf einer Kugeloberfläche die Bruchstücke wieder treffen würden. Wir wissen so gut wie nichts über diese Langzeitdynamiken, die dabei eine Rolle spielen, denn letztendlich wissen wir mit Gewissheit nur Eines, dass sich belebte Materie im Sinne von Überleben anpassen können muss, und dazu benutzt sie die verschiedensten Möglichkeiten. Pilze – die wahrscheinlich größten Lebewesen dieses Planeten – bilden Quadratkilometer große, verzweigte Netzwerke aus unterirdischen Hyphen, die wir als solche gar nicht wahrnehmen, aber sie überleben auf diese Weise genauso wie durch die Verbreitung ihrer Sporen, selbst dann wenn wir irgendwo mal ein paar Hektar davon abbaggern. Schildkröten und andere Spezies einschließlich unserer eigenen machten auch von Hybridisierung und Introgression Gebrauch (siehe aktuell Pennisi, 2013), und es ist fraglich, ob wir als Homo sapiens sapiens heute schon da wären, wo wir sind, wenn es das nicht gegeben hätte. Wir verändern unsere Umwelt heute sehr schnell und dieser schnelle Wandel, der ja unbeschritten schneller sein soll, als jener in vormenschlicher oder prähistorischer Zeit, erfordert auch ein schneller werdendes Anpassungspotential, um überleben zu können. Wäre es da nicht nur logisch, dass auch nichtmenschliche Spezies alle sich nur bietenden Möglichkeiten der Überlebenssicherung im Sinne von Anpassung nutzen? Ist dort, wo es möglich ist, nicht Hybridisierung eine dieser Möglichkeiten? Warum schließen wir das im Sinne der Arterhaltung kategorisch aus? Wie war es früher als es uns und unser abstraktes Nachdenken darüber noch nicht gab? Haben die Gene sprich die DNS des Wolfes Vorteile oder Nachteile dadurch gehabt, dass sie sich so schnell und in so kurzer wenige Jahrtausende umfassende Zeit den Menschen anpassen und verändern und Rassen mit Rassenhybriden bilden konnten? Dieses Erbgut lebt noch und zwar sehr individuenreich, während der Wolf, der Wolf geblieben ist, fast kaum noch adäquaten Lebensraum hat. Sehen wir in unserer heutigen Natur nicht Ähnliches, indem bei zunehmender Überbevölkerung und Landschaftsveränderung manch reine Art schneller verschwindet aber die als invasiv verschrienen Arten zunehmen oder gar invasive, besser angepasste Hybridspezies erfolgreich gedeihen? Geht es hier nicht doch in erster Linie um DNS-Erhalt und erst sekundär um die Art im Sinne von Phänotyperhaltung, wobei davon auszugehen ist, dass der Artbegriff ja ein abstraktes vom Menschen ersonnenes, primär der Kategorisierung dienendes Definitionskriterium ist (siehe Kommentare zu Freedberg & Myers 2012, Lenzen et al. 2012). Klar, das hört sich sehr theoretisch an, aber andererseits sollten wir uns fragen, was wir tun und uns über unser Tun im Klaren werden! Ich denke, wir sind noch weit davon entfernt zu verstehen, was da – sicher durch uns mit verursacht – geschieht, aber da wir uns aus moralischen und ethischen Gründen nicht selbst reduzieren können, müssen wir und unsere Mitlebewesen sich diesen zum Teil von uns verursachten Veränderungen zwangsläufig anpassen. Dazu nutzen sie das ihnen zur Verfügung stehende in ihrer Natur vorliegende Potential! Wie wollen wir wissen, ob es richtig ist oder sein wird, sie durch etwas, das wir heute als Erhaltungsmanagement bezeichnen, daran zu hindern? Wenn wir etwas erhalten wollen, müssten wir die Lebensräume erhalten, aber letzteres ist trotz guter Vorsätze und Bemühungen nie wirklich gelungen, weil eine stetig wachsende menschliche Bevölkerung dazu zunehmend weniger Raum lässt (siehe Lee 2011), und der in der Vergangenheit erfolgte Ressourcenverbrauch schon längst die Energieflüsse zum Teil unwiederbringlich verändert hat (siehe Kommentare zu Bertolero et al. 2007, Saenz-Arroyo et al. 2006).

Literatur

Bertolero, A., D. Oro, & A. Besnard (2007): Assessing the efficacy of reintroduction programmes by modelling adult survival: the example of Hermann's tortoise. – Animal Conservation 10(3): 360-368 oder Abstract-Archiv.

Freedberg, S. & E. M. Myers (2012): Cytonuclear equilibrium following interspecific introgression in a turtle lacking sex chromosomes. – Biological Journal of the Linnean Society 106(2): 405-417 oder Abstract-Archiv.

Heled, J. & A. J. Drummond (2010): Bayesian inference of species trees from multilocus data. – Molecular Biology and Evolution 27(3): 570-580.

Kunz, W. (2002): Was ist eine Art? In der Praxis bewährt, aber unscharf definiert. – Biologie in unserer Zeit 32(1): 10-19.

Lee, H. (2011): Climate change, connectivity, and conservation success. – Conservation Biology 25(6): 1139-1142 oder Abstract-Archiv.

Lenzen, M., D. Moran, K. Kanemoto, B. Foran, L. Lobefaro & A. Geschke (2012): International trade drives biodiversity threats in developing nations. – Nature 486(7401): 109-112 oder Abstract-Archiv.

Pennisi, E. (2013): More Genomes From Denisova Cave Show Mixing of Early Human Groups. – Science 340: 799.

Saenz-Arroyo, A., C. M. Roberts, J. Torre, M. Carino-Olvera & J. P. Hawkins (2006): The value of evidence about past abundance: marine fauna of the Gulf of California through the eyes of 16th to 19th century travellers. – Fish and Fisheries 7(2): 128-146 oder Abstract-Archiv.

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