Breitrandschildkröte, Testudo marginata, frisst Klee-Blüte – © Hans-Jürgen Bidmon

Escoriza - 2022 - 01

Escoriza, D. & J. B. Hassine (2022): Niche diversification of Mediterranean and southwestern Asian tortoises. – PeerJ 10: e13702.

Nischenaufspaltung bei mediterranen und südwestasiatischen Landschildkröten.

DOI: 10.7717/peerj.13702 ➚

Maurische Landschildkröte, Testudo graeca, – © Hans-Jürgen Bidmon
Maurische Landschildkröte,
Testudo graeca,
© Hans-Jürgen Bidmon

Hintergrund: Landschildkröten aus der Gattung Testudo sind in der mediterranen Region sowie im südwestlichen Asien weitverbreitet. Allerdings sind die evolutionären Mechanismen dieser Nischenverteilung innerhalb dieser Gattung immer noch unzureichend verstanden.
Methoden: In dieser Studie erfassten wir die evolutionären Muster in Bezug auf die klimatischen Nischen von 5 Arten und 11 Unterarten aus der Gattung Testudo anhand von ökologischen Nischenmodellen und führten eine Evaluation durch die Überlappungszonen dieser Nischen daraufhin untersuchte wie sie sich auf die phylogenetischen Distanzen der dort lebenden Arten auswirken.
Ergebnisse: Die ökologischen Modelle zeigten, dass die meisten Spezies sich in Bezug zu ihren klimatischen Nischen unterscheiden, aber dennoch auch eine Überlappung zeigen mit graduellen Übergängen hin zu den Abgrenzungen der Nischen. Wie erwartet war die vorgefundene ökologische Aufspaltung zwischen den Unterarten geringer als für die Arten. Die Evaluation der phylogenetischen Signale deuteten darauf hin, dass die klimatischen Nischen dabei nur schwach erhalten wurden aber Schwesterspezies zeigten trotzdem auch ein hohes Maß an evolutionärer Aufspaltung.

Griechische Landschildkröte, Testudo hermanni boettgeri, – © Hans-Jürgen Bidmon
Griechische Landschildkröte,
Testudo hermanni boettgeri,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hier wird eigentlich nur das bestätigt was sich aus den Arbeiten von Javanbakht et al. (2017); Nekrasova et al. (2019); Reid et al. (2019) und Hofmeyr et al., (2020) auch schon ableiten lässt. Diesbezüglich würde sich aber auch wieder die Frage stellen wie diese Befunde zu deuten sind, denn letztendlich müsste man ja irgendwann einmal klar definieren was in diesem Aufspaltungsszenario wirklich als Art zu definieren ist, denn letztendlich mögen sich ja nicht nur Arten und Unterarten aus ökologischer Sicht unterscheiden, sondern auch lokale, an spezifische Habitate oder gar „Mikrohabitate“ angepasste Lokalpopulationen. Auch hier wird klar hervorgehoben, dass es die Umwelt ist die die nicht nur die „Ökologischen Nischen“ sondern auch deren Bewohner prägt. Häufig, wenn man zumindest mit genetischen Laien darüber diskutiert sollen ja schon geringe Prozente an genetischer Abweichung ausreichen um eine taxonomische Abtrennung (Art/Unterart) zu definieren, da wir Menschen uns ja angeblich auch nur um weniger als 1 % genetisch vom Schimpansen unterscheiden. Diesbezüglich muss man sich aber fragen auf was sich solche lapidar geäußerten Prozentangaben beziehen? Denn wenn man die 100 % jedem Lebewesen zugesteht dessen DNS aus den 4 Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin besteht dürfte es zwischen fast allen Organismen gar keine Unterschiede, sprich 100 % Übereinstimmung geben. Oder welche Unterschiedsmerkmale mag es noch geben die eine taxonomische Abgrenzung klarer oder zumindest unterstützend definieren könnten? Darüber herrscht eigentlich bei den Meisten große Unsicherheit, denn letztendlich lassen sich ja mit den molekulargenetischen Merkmalen die die genetische Forensik nutzt noch geringere Verwandtschaftsunterschiede oder Zugehörigkeiten nachweisen. Auch die molekulargenetischen Charakterisierungsansätze die zu einer individuenbasierten Medizin und Therapie genutzt werden lassen selbst Unterschiede zwischen Individuen ein und derselben Spezies oder gar zwischen Zwillingen erkennbar werden. Nun ist mir schon klar welche Möglichkeiten sich aus der mitochondrialen Haplotypanalyse und der Untersuchung einiger speziell ausgewählter nukleärer Gene ergeben, aber nichtsdestotrotz bezieht man sich dabei dann auch nur auf einen Bruchteil des Gesamtgenoms eines Phänotyps dem man einen Artstatus zuweisen will (siehe dazu auch Dufresnes & Jablonski, 2022; Garnett & Christidis, 2017; 2018). Diesbezüglich würde sich dann auch die Frage stellen welchen ökologischen und/oder evolutionären Wert solche Erkenntnisse haben? Aus neuester Zeit gibt es dazu zumindest aus ökologischer Sicht durchaus einige interessante Ansätze die in der englischsprachigen Literatur meist unter den Begriff „Animal culture“ hervorgehoben werden und die insbesondere die adaptiven Verhaltensanpassungen von Spezies, Subspezies oder einer Population an einen bestimmten Lebensraum in den Vordergrund stellen (siehe dazu Bidmon, 2022 und die dortige Literatur). Ja und solche speziellen Lebensraumanpassungen beobachten wir ja eigentlich bei allen Lebewesen und auch bei Schildkröten siehe Xiao et al., (2021); Roth II & Krochmal, (2016); Glubovic et al., (2014) wobei Bock et al. (2022) sogar auf adaptive epigenetische Faktoren verweisen. Würden uns solche Beobachtungen bzw. Befunde in Bezug auf die Erhaltungsbiologie dann eher fast noch mehr weiterhelfen als die reine Unterschutzstellungspriorität anhand der meistens als Begründung hervorgehoben reinen taxonomischen Zuordnung?

Ägyptische Landschildkröte, Testudo kleinmanni, – © Basim Rabia
Ägyptische Landschildkröte,
Testudo kleinmanni,
© Basim Rabia

Mir ist durchaus bewusst, dass solche taxonomisch, biochemisch, physiologisch sowie ökologisch definierten Abgrenzungen gern von jenen Mitgliedern der Spezies Homo sapiens zu rassistischen Äußerungen missbrauch werden, aber dies lässt sich weder durch Verbote oder Verschweigen verhindern, sondern eigentlich nur mit dem Versuch einer guten Aufklärung über die biologischen Abläufe innerhalb einer umweltgeprägten Natur! Letzteres sollten uns auch die wissenschaftlichen Ergebnisse bezüglich unserer eigenen Spezies lehren für die ja gerade dieses Jahr der Nobelpreis für Medizin an einen in Leipzig tätigen Forscher vergeben wurde.
Aber ich denke solange wir innerhalb unserer eigenen Spezies nicht davon Abstand nehmen solch abstrakt definierten Vorgaben wie Religionszugehörigkeiten und Nationalitäten als trennende Barrieren rassistisch auszulegen und zu missbrauchen sind wir davon noch ein gutes Stück entfernt und stehen uns auch weiterhin innerhalb einer globalen Gesellschaftszugehörigkeit selbst im Weg, um in einer im Sinne von Nachhaltigkeit und Resilienz geprägten globalen Nutzung unseres Planeten langfristig zu profitieren und zu überleben.

Literatur

Bock, S. L., C. R. Smaga, J. A. McCoy & B. B. Parrott (2022): Genome-wide DNA methylation patterns harbour signatures of hatchling sex and past incubation temperature in a species with environmental sex determination. – Molecular Ecology 31(21): 5487-5505 oder Abstract-Archiv.

Dufresnes, C. & D. Jablonski (2022): A genomic revolution in amphibian taxonomy. – Science 377 (6612): 1272; DOI: 10.1126/science.ade5002 ➚.

Garnett, S. T. & L. Christidis (2018): Science-based taxonomy still needs better governance: Response to Thomson et al. – PLoS Biology 16(3): e2005249; DOI: 10.1371/journal.pbio.2005249 ➚.

Garnett, S. T. & L. Christidis (2017): Taxonomy anarchy hampers conservation. – Nature 546(7656): 25-27; DOI: 10.1038/546025a ➚.

Golubović, A., M. Andjelkovic, D. Arsovski, A. Vujovic, V. Ikovic, S. Djordjevic & L. Tomovic (2014): Skills or strength-how tortoises cope with dense vegetation? – Acta Ethologica 17(3): 141-147 oder Abstract-Archiv.

Hofmeyr, M. D., F. Ihlow, P. Fouche & S. R. Daniels (2020): Niche divergence corresponds to genetic differentiation within the parrot-beaked tortoise Homopus areolatus (Reptilia: Testudinidae), endemic to South Africa. – Zoological Journal of the Linnean Society 190(4): 1256-1273 oder Abstract-Archiv.

Javanbakht, H., F. Ihlow, D. Jablonski, P. Široký, U. Fritz, D. Roedder, M. Sharifi & P. Mikulicek (2017): Genetic diversity and Quaternary range dynamics in Iranian and Transcaucasian tortoises. – Biological Journal of the Linnean Society 121(3): 627-640 oder Abstract-Archiv.

Nekrasova, O., Y. Yanish, V.Tytar & M. Pupins (2019): GIS-modeling of the Range Shifts of the Sub-fossil and Extant European Pond Turtle (Emys orbicularis) in Eastern Europe in Holocene. – Diversity 11(8): 121 oder Abstract-Archiv.

Reid, B. N., J. M. Kass, S. Wollney, E. L. Jensen, M. A. Russello, E. M. Viola, J. Pantophlet, J. Iverson, M. Z. Peery, C. J. Raxworthy & E. Naro-Maciel (2019): Disentangling the genetic effects of refugial isolation and range expansion in a trans-continentally distributed species. – Heredity 122(4): 441-457 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2016): Cognition-centered conservation as a means of advancing integrative animal behavior. – Current Opinion in Behavioral Sciences 6: 1-6 oder Abstract-Archiv.

Xiao, F., R. Bu, L. Lin, J. Wang & H. Shi (2021): Home-site fidelity and homing behavior of the big-headed turtle Platysternon megacephalum. – Ecology and Evolution 11(11): 5803-5808 oder Abstract-Archiv.

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