Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, sitzt sonnend am Ufer – © Hans-Jürgen Bidmon
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Tezak - 2023 - 02

Tezak, B., B. Straková, D. J. Fullard, S. Dupont, J. McKey, C. Weber & B. Capel (2023): Higher temperatures directly increase germ cell number, promoting feminization of red-eared slider turtles. – Current Biology 33(14): 3017-3023.

Höhere Temperaturen wirken sich direkt auf die Zunahme bei der Keimzellanzahl aus und fördern die weibliche Entwicklung bei Schmuckschildkröten.

DOI: 10.1016/j.cub.2023.06.008 ➚

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

Bei vielen Reptilien wird das Geschlecht durch die Umwelttemperatur während einer kritischen Phase der Embryoentwicklung festgelegt – Ein Prozess, der als Temperatur-abhängige-Geschlechtsausprägung (TSD) bezeichnet wird. Die ovipare Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans hat ein warm-weiblich/kühl-männlich TSD-System und gehört zu den am besten untersuchten Mitglied dieser Gruppe. Wenn die Eier bei niedrigeren Temperaturen inkubieren, entwickeln sich die somatischen Zellen der potenziell zweigeschlechtlichen Gonaden zu Sertolizellen, also jenen Zellen die die Spermatogenese im Hoden unterstützen, während bei höheren Temperaturen sich aus diesen somatischen Zellen sogenannte Granulosazellen bilden die die Eizellentwicklung im Ovar unterstützen. Hier berichten wir über einen unerwarteten Befund der belegt, dass die Temperatur sich unabhängig davon auf die Anzahl der primordialen (Vorläufer) Keimzellen (GC) in der embryonalen Geschlechtsanlage auswirkt, und zwar zu einer sehr frühen Zeit zu der die Differenzierung zu somatischen Zellen noch gar nicht initiiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt zeigt sich bei höheren Weibchen-induzierenden Temperaturen, dass mehr Keimzellen gebildet werden als in jenen Embryonen, die bei tieferer Männchen-induzierenden Temperaturen inkubieren. Zudem führt die Eliminierung von GCs bei den Embryonen, die bei intermediären (mittleren) Temperaturen inkubieren dazu, dass es zu einer starken Verschiebung hin zu mehr Männchen kommt. Hier bei diesen Befunden handelt es sich um die beiden ersten Beweise dafür, dass die Temperatur sich sowohl direkt auf die Anzahl der Keimzellen auswirkt, als auch auf die Geschlechtsfestlegung bei Amnioten. Diese Beobachtung hat zwei wichtige Erkenntnisse zur Folge: Erstens sie unterstützt ein neues Modell in welchem die Temperatur einen stufenweisen Einfluss auf das Geschlecht durch die Modulation der Entwicklung von unterschiedlichen Zelltypen hat, sowie zum Zweiten haben die Befunde wesentliche Auswirkungen in Bezug auf bislang ungelöste Fragen in der Ökologie und Evolutionsbiologie, bei denen es um die adaptive Bedeutung von TSD geht. Wir vermuten, dass die Verbindung zwischen einer hohen Keimzellanzahl und der weiblichen Entwicklung darin besteht, das weibliche Vermehrungspotential zu fördern, was dadurch einen Anpassungsvorteil durch TSD bieten würde.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Sicherlich eine gute Arbeit, die die geschlechtssensitive embryonale Entwicklungsphase noch etwas weiter nach vorne verschiebt und zeigt, dass die Keimzellmenge einen Einfluss auf das Geschlecht hat. Dieser geschlechtsausprägende frühe Einfluss ist aber anscheinend nur bei Beibehaltung eines etwa der Pivotaltemperatur entsprechenden Temperaturprofils weiterhin wirkungsvoll, da er später auch durch hohe oder niedrigere Temperaturen moduliert wird. Allerdings, ob die zweite Erkenntnis in Bezug auf einen adaptiven Vorteil von Spezies mit TSD sich daraus so einfach ableiten lässt, halte ich für gewagt, denn bei den meisten Weibchen werden ja immer mehr frühe Eizellstadien in den Ovarien anlegt als die, die sich letztendlich auch zu reifen Oozyten entwickeln. Hier wäre es dann wirklich einmal interessant zu sehen, wie viele primordiale weibliche Keimzellen sich im Laufe des adulten weiblichen Lebenszyklus sich davon zu reifen Oozyten entwickeln können oder würden. Bei den Männchen ist die Frage eher weniger gut zu beantworten, weil hier die Keimzellen sprich die Spermatogonien I. Ordnung eher eine Stammzellfunktion haben und sich während des Adultstadiums noch weiter teilen, um überhaupt die meist vergleichsweise hohe Anzahl an reifen Spermien bilden zu können. Ihre neue, den anderen zwei Hypothesen, die sich bislang nicht beweisen ließen, entgegengesetzte Hypothese, leiten die Autoren zum Teil auch davon ab, dass sich bei Fischen ähnliches beobachten lässt und insbesondere davon, dass bei Pogona vitticeps (Streifenköpfige Bartagame) zu warm gehaltene Männchen sich in Weibchen umdifferenzieren, die dann mehr Nachkommen produzieren können als jene Weibchen, die sich normal bei kühleren Temperaturen entwickelt hatten. Aber auch hier bleibt die Frage, wie so etwas in freier Wildbahn evolutive Vorteile bietet die die Evolution von TSD herausselektioniert. Ist da nicht eher der eigentliche Selektionsvorteil darin zu sehen, dass TSD im Gegensatz zur genetisch vererbten Geschlechtsausprägung einen insoweit neutralen zellulären Differenzierungsgrad aufrechterhält, der lebenslang gewährleistet, dass sich unter bestimmten „extremen“ Umweltszenarien eine natürliche Geschlechtsumwandlung realisieren lässt, da es eben keine absolute genetische Determinierung gibt, wobei wir auch da solche Geschlechtsumwandlungen relativ häufig bei Fischen beobachten können. Insofern könnte TSD im Gegensatz zur Jungfernzeugung eine weiterhin zweigeschlechtliche Reproduktion und Evolution einer Spezies mit all ihren damit verbundenen biologischen und immunologisch-adaptiven Vorteilen gewährleisten!

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