Leuteritz, T. E. J. & H. R. Ekbia (2008): Not all roads lead to resilience: A complex systems approach to the comparative analysis of tortoises in arid ecosystems. – Ecology and Society 13(1): 1 [online].
Nicht alle Wege führen zur Widerstandsfähigkeit: Eine komplexe Systemuntersuchung bezüglich einer vergleichenden Analyse der ariden Ökosysteme von Landschildkröten.
DOI: 10.5751/es-02132-130101 ➚
Das Konzept der Widerstandsfähigkeit (im biologisch-ökologischen Sinn, Überlebensfähigkeit oder Erhaltungsfähigkeit) wird vielfach zur Studie sozio-ökologischer Systeme eingesetzt. Innerhalb dieses Konzepts gibt es einige Schlüsselkomponenten, die als Widerstandsfähigkeit, Vielfalt (latitude, biologische Artenvielfalt oder Bandbreite der Arten) und Gefährdungsgrad (precariousness, Unsicherheitsfaktor) identifiziert wurden. Wir nutzten dieses Konzept, um die Unterschiede zwischen drei semiariden Regionen bezüglich dieser Schlüsselfaktoren zu untersuchen. Dabei analysierten wir den Status der Landschildkröten, die im Dornbuschwald Madagaskars, der Karoo von Südafrika und der Mojavewüste in den Vereinigten Staaten leben, als einen Indikator für die Gesundheit und Widerstandskraft (Überlebensfähigkeit) dieser Ökosysteme. Unsere Daten zeigen eine starke Kopplung zwischen sozialer Entwicklung und Ökosystemdynamik. Ferner wird die Rolle, die die Artenvielfalt für die Steigerung des Überlebensfähigkeitspotentials (Widerstandfähigkeit) spielt deutlich sowie die Bedeutung des Wissenszuwachses in den lokalen menschlichen Lebensgemeinschaften bezüglich der Notwendigkeit zu ihrer Erhaltung. Unsere Ergebnisse deuten auch an, dass in allen drei Untersuchungsregionen die sozialen Parameter jene sind, die als dominante Kräfte des Wandels (Veränderung) die sozioökologischen Systeme beeinflussen. Wir verwenden die Begriffe und Erkenntnisse über Kontrollparameter und Kollektivvariable aus der dynamischen Systemtheorie, um die Hypothese aufzustellen, dass in heutigen Gesellschaften die sozialen Parameter de facto die Kontrollparameter für die großen sozioökologischen Systeme darstellen und dass die Widerstandsfähigkeit die so genannte Kollektivvariable repräsentiert, und diese dazu geeignet sind, den Status sowie das Gesamtverhalten (Entwicklung) solcher Systeme zu demonstrieren (prognostizieren).
Kommentar von H.-J. Bidmon
Die meisten Schildkrötenliebhaber werden beim Lesen dieser Arbeit vielleicht gelangweilt gähnen, denn außer ein paar Bildern der Schildkröten der jeweiligen Untersuchungsgebiete gibt es da nichts, was ein „schildkrötologisch geprägtes Herz“ höher schlagen lassen könnte, das meiste ist Mathematik. Wer allerdings doch genauer hinschaut, dem wird auch eine Beschreibung der unterschiedlichen Nutzungsweisen von Schildkröten, beziehungsweise die beschriebenen Unterschiede der Lebensraumnutzung durch den Menschen nicht entgehen. Dennoch zeigt diese Arbeit klar, dass nicht nur die Ökosysteme vom Menschen abhängen, sondern auch deren Fortbestand. Die Daten zeigen, dass sich trotz des menschlichen Einflusses die Artenvielfalt in den jeweiligen Ökosystemen, die Chancen für ihr Weiterbestehen oder die Möglichkeiten zu deren Erhaltung deutlich steigert, weil eben Artenvielfalt auch bedeutet, dass der Ausfall einer Spezies leichter vom Gesamtsystem kompensiert werden kann, da die Wahrscheinlichkeit höher liegt, dass die Rolle, die eine im System ausgestorbene Spezies spielte, von einer anderen Spezies mit übernommen werden kann. Insofern bestätigt sich wohl auch mein Spruch „In biologischen Systemen ist es auf allen Systemebenen immer so wie im richtigen Leben“, denn auch in unserem Körper haben wir viele Gene, Proteine und Reaktionsabläufe, so dass der Ausfall eines einzigen meist fast unbemerkt bleibt, wie die vielen so genannten Knockout-Tiere und Pflanzen zeigen, bei denen man zwar nachweislich ein Gen ausgeschaltet hat, aber man merkt es der jeweiligen Knockout-Kreatur nicht an, d. h. ihr Phänotyp bleibt trotzdem unverändert und stabil. Dieser Vergleich zeigt aber auch, dass es anders kommen kann, denn es gibt auch Gene, Proteine und Reaktionsabläufe, die essentiell sind und deren Ausfall mit dem Überleben nicht vereinbar ist, auch wenn man sie oft übersehen mag, weil wenig darüber berichtet wird. Denn viele dieser Kreaturen, denen solch ein essentielles Gen ausgeschaltet wurde, werden erst gar nicht lebensfähig geboren, so dass man fast schon postulieren kann, dass auch Ökosysteme zusammenbrechen, wenn bestimmte Schlüsselspezies erlöschen, deren Funktion nicht oder nicht schnell genug ersetzt werden. Gerade langlebige Spezies oder Spezies mit einer ganz bestimmten Lebensraumanpassung sind gute Kandidaten für solche Schlüsselrollen. Insofern bringt diese Arbeit eine ganze Reihe guter Ansätze für die exakte Analyse solcher komplexen Systeme, die es erlaubt, die einzelnen Komponenten mathematisch und damit nachvollziehbar zu quantifizieren. Insbesondere das Fehlen nachvollziehbarer quantifizierbarer Befunde wird ja oft von bestimmten Interessensgruppierungen dazu benutzt, zum Beispiel einen Schutzstatus auszuhebeln und politische Entscheidungsträger dahingehend zu beeinflussen, bestimmte Schutzbestimmungen doch noch nicht in Kraft zu setzen. Insofern halte ich diesen Ansatz für durchaus gerechtfertigt und wichtig, was auch für viele andere Artikel aus diesem für ernst zunehmende Natur- und Artenschützer sehr interessanten Online-Journal zutrifft. So banal es auch sein mag, dass die Gesellschaftsentwicklung entscheidende Auswirkungen für die Erhaltung von Ökosystemen und Lebensräumen hat, wird auch in Deutschland und Europa klar und man kann es auf einen sehr simplen Satz bringen: „Dort, wo es dem Menschen schlechter geht, geht's dem Artenschutz besser“, denn die meisten Seeadler Deutschlands überlebten in der ehemaligen DDR, nicht wenige Bruthorste lagen im unzugänglichen Niemandsland der Grenze und die ehemaligen guten Laubfroschpopulationen der DDR fingen nach der Wende drastisch an zu schrumpfen. Eines der treffendsten Beispiele in diesem Zusammenhang ist der Neusiedlersee in Österreich, denn dort wo heute Surfmeisterschaften ausgetragen werden und Campingplätze liegen, sucht man vergebens nach Laubfrosch, Wechselkröte, Ringelnatter, Großtrappe, Brachvogel und Co., und je besser es der Gesellschaft geht, desto größer werden bei wachsender Tourismusindustrie jene Uferbereiche, die dieser Art der Freizeitgestaltung dienen, wobei es ja auch oft bei einem nicht zu kleinen Teil der Sporttouristen zu einer Einstellungsänderung (aus Unwissenheit) kommt und ein nachts quakender Frosch eher als Nachtruhestörer denn als erhaltenswert angesehen wird.
Insofern ist das eine Arbeit, deren Anwendungspotential sich eben nicht nur auf Schildkröten bezieht, sondern auf und für vieles andere auch noch einsetzbar wäre. Das wäre dann fast schon eine Vision, so etwas auch einmal in Bezug auf den Klimawandel einzusetzen, um der Politik klar zumachen, was auch in Krisenzeiten Vorrang haben sollte, zu mal man allen Autobauern ja langfristig auch nicht wirklich helfen kann. Wenn wir über Energieersparnis und Autos reden, diskutieren wir oft nur über den Treibstoffverbrauch, ohne mit einzubeziehen, dass die Herstellung eines jeden Autos auch Energie und Ressourcen kostet (das fängt beim Eisenerzgraben und Stahlschmelzen an und setzt sich beim Rohölverbrauch für die Kunststoffausstattung und Glasherstellung fort und daran ändert auch ein Elektromotor nichts selbst wenn der Strom von Solarzellen kommen würde), deshalb wird man langfristig nicht umhin kommen, nicht nur sehr energieeffiziente (was physikalisch jetzt schon berechenbar ist) Autos zu bauen, sondern auch langlebigere. Wenn Sie sich einmal durchdenken, was uns noch aus den vorweihnachtlichen Nachrichtensendungen in den Ohren klingt, wie beispielsweise: Toyota schreibt erstmals Rote Zahlen – und dass bei 9,8 Millionen verkaufter Fahrzeuge pro Jahr (14 % weniger als davor) und dann einmal mit bedenken, wie viele große Hersteller es gibt, dann wird klar, um welche Mengen an Ressourcen es dabei wirklich geht. Dabei lohnt es sich kaum, einen z.B. um zwei Liter pro 100 km niedrigeren Verbrauch zu diskutieren. Nimmt man sich die Vorgaben eines Leasingvertrags zur Grundlage mit 36.000 km Fahrleistung in 3 Jahren würde man exakt mit einem Neuwagen der 2 Liter weniger verbraucht als das Vorgängermodell in 3 Jahren 720 Liter einspare. Ich bin kein Wirtschaftsmathematiker, aber wenn man den Gesamtenergieverbrauch zur Herstellung dieses Neuwagens zusammenrechnet von der Stahlschmelze; Maschinenherstellung für die Produktion, Entwicklung usw. bis zur umweltgerechten Entsorgung dürfte diese Energiemenge allein schon für die Herstellung verbraucht worden sein, so dass der Endverbraucher mit seiner Kraftstoffersparnis kaum mehr etwas zur Verbesserung einer Gesamtenergiebilanz im Sinne des Klimaschutzes beitragen kann. (Vielleicht wäre es sogar umweltschonender gewesen, das alte Fahrzeug etwas länger zu nutzen). Somit kann eigentlich nur eine Verlängerung der Lebensdauer wirkliche Energieeffizienz und Umweltschutz bringen. Allerdings führt dies langfristig auch zu niedrigeren Jahresproduktions-, Verkaufszahlen und Arbeitsplätzen, die dann auch nicht durch ein paar mehr Arbeitsplätze im Bereich Service und Reparaturwerkstätten kompensiert würden. Nein, man sollte die Krise jetzt nutzen und den Betroffenen klar sagen, dass der Klimawandel und die Folgeerscheinungen und Kosten die Politik zwingen werden, den Autobauern das gleiche Schicksal wie den Bergleuten zukommen zu lassen, auch ohne dass die Politiker es wollen. Die Umwelt wird sie einfach dazu zwingen, und der stellen sich nur Dumme in den Weg, oder haben Sie beim Weißerritzhochwasser in Dresden jemanden gesehen, der die Überflutung des neuen Hauptbahnhofs hätte stoppen können? Nein es war einfach Dummheit, den Fluss umzuleiten, damit man den Bahnhof in das alte Weißeritzbett bauen konnte. Glauben sie aber bloß nicht, dass die Weißeritz beim nächsten Hochwasser dies besser berücksichtigen würde als beim letzten. Sowie das Hochwasser etwas stärker ausfällt, als es die Planer der Schutzvorkehrungen vorher geplant haben, wird es wieder seinen alten Weg nehmen. Mal spitz formuliert: Wenn global der Meeresspiegel steigt, könnten selbst die Kölner Fordwerke – sofern es sie noch gibt – merken, dass man in geologischen Zeitmaßen gerechnet, auch durchaus heute noch von der Kölnerbucht spricht. Außerdem sollte man auch heute schon die Konzernleitungen darauf aufmerksam machen, dass, wenn die Zahl der Naturkatastrophen mit zunehmender Erderwärmung wie Überflutungen, Tornados etc. zunimmt, immer mehr Menschen wohl ihr Geld für die Behebung dieser Schäden aufbringen müssen, um ein Dach überm Kopf zu haben, und dieses Geld wird notgedrungen für den Kauf von kurzlebigen Luxuskarossen fehlen. Im Grunde genommen wäre es vielleicht sogar ein zukunftsweisender politischer Schachzug allen derzeitigen Auszubildenden in der Automobilherstellung schon einmal einen staatlich geförderten Ausbildungsplatz im Bereich der regenerativen Energietechnologie anzubieten. Denn selbst wenn die derzeitigen Firmen nicht so viele allein ausbilden können, kann sich das lohnen, denn diese Leute werden auch morgen zu jenen gehören, die noch Steuern zahlen oder sich zumindest im Ausland aus eigener Kraft ihren Unterhalt erwirtschaften können. In diesem Sinne einen guten Rutsch ins Neue Jahr, passen Sie auf, dass daraus kein „Tanz auf dem Vulkan“ wird und Wahlversprechen aus der Politik nicht zu Versprechern im engeren Sinne des zuletzt genannten werden.