Kim - 2016 - 01

Kim, C.-H., B. Chot, D.-G. Kim, S. Lee, S. JO & P.S. Lee (2016): Remote Navigation of Turtle by Controlling Instinct Behavior via Human Brain-computer Interface. – Journal of Bionic Engineering 13(3): 491-503.

Fernsteuerung von Schildkröten mittels der Kontrolle über deren Instinktverhalten durch eine Computer-Verbindungsverschaltung mit dem menschlichen Gehirn.

DOI: 10.1016/S1672-6529(16)60322-0 ➚

Gehirn-Computer Interface (BCI, Verbindungsverschaltungstechniken) sind heute so hochentwickelt, dass es keine Notwendigkeit für handgesteuerte Systeme gibt. Die hier vorliegende Arbeit beschreibt einen neuartigen Versuch zur Fernsteuerung von tierischem Verhalten durch eine Verschaltungstechnik mit dem menschlichen Gehirn mittels eines Protokolls zur Vorfalls-bezogenen-Desynchronisation (ERD) und einen Steady-State Visuell- erzeugten Potential (SSVEP). Die Schildkröte wurde für diesen Versuch ausgewählt. Wir entwickelten dazu einen am menschlichen Kopf getragenen Bildschirm und eine drahtlose Übertragungsweise zur Kommunikation sowie ein speziell auf die Schildkröte abgestimmtes Stimulationsgerät. Diese Gerätschaften wurden dazu benutzt um über menschliche Augenbewegungen ein bei der Schildkröte instinktiv vorhandenes gerichtetes Fluchtverhalten zu induzieren und dabei den Fluchtweg gerichtet zu steuern wobei wir die Schildkröten sowohl im Innenraum wie auch draußen in ihrer in Natürlicher Freilandumgebung fernsteuern konnten. Das System, seine Architektur und Zusammenstellung werden hier vorgestellt. Um die Anwendungszuverlässigkeit des Systems zu demonstrieren führten wir verschiedenste experimentelle Tests unter unterschiedlichsten Bedingungen durch. Unser System kann als Modell dazu dienen zukünftige Mensch-Tierinteraktionssysteme zu entwickeln.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hier wurde eine innovative Technik genutzt die man heute schon klinisch nutzt so dass zum Beispiel immobilisierte oder gelähmte Patienten über Gehirnaktivität Schreib- oder Sprachprothesen sprich Computer steuern um sich mitteilen zu können und um zu kommunizieren. Diese Technik wurde so abgewandelt, dass damit eine bestimmte, instinktiv stereotyp auslösbare Fluchtreaktion gesteuert werden kann und zwar ohne, dass dazu invasive Elektrodenimplantationen notwendig waren. D. h. hier wurde, wenn man so will, menschliche Gedankenübertragung ermöglicht um beim Tier die Bewegungsrichtung zu steuern. Das ist mal wieder ein Novum das Anlass zum Nachdenken gibt, denn solch eine Technik kann man nicht nur zu friedlichen Zwecken nutzen. Was mich aber ungeachtet dieser neuen technischen Möglichkeiten fasziniert ist der Weg menschlicher Erkenntnis der dabei von Schildkröten begleitet wird. Blicken wir mal zurück auf die großen wissenschaftlichen Meilensteine von wissenschaftlicher Erkenntnis letzten und vorletzen Jahrhundert und Schildkröten: Da wäre die Evolutionstheorie Darwins die wohl heute niemand mehr ohne dabei auch an Galapagosriesenschildkröten und Darwinfinken zu denken sich vorstellen kann. Die Erkenntnis wie Genexpressionsmuster und Zytokine den morphologischen Umbau einer gesamten Anatomie des Bewegungsapparats gewährleisten, dass das System funktionell und Energieeffizient bleibt (MacCord et al. 2015). Dann war es erst im letzten Jahr wieder eine australische Sumpfschildkrötenart die als erstes Lebewesen bewusst umgesiedelt wurde um trotz der Veränderungen durch den Klimawandel zu überleben. Auch hier nutzt der Mensch wieder eine Schildkröte um damit nicht nur eine Spezies zu erhalten sondern auch um essentielle Grundlagen des Biodiversitätsmanagement und damit für die Co-Existenz von Mensch und Tier in unter sich rasch veränderten Umweltbedingungen zu erarbeiten (Anonymus 2016, siehe auch Kommentar). Ja und dann mit dieser Arbeit ein weiterer technischer Meilenstein zur Fernsteuerung von Tieren durch menschliche Gedanken. Beeindruckend wie menschlicher, wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn immer wieder auf Schildkröten zurückgreift und zwar nicht wie bei Maus und Ratte nur im Labor. Ja und ich denke auch, dass diese Beziehung zwischen Schildkröten und wissenschaftlicher Grundlagenerkenntnis aufgrund ihres außergewöhnlich langen „Fossilrecords“ weitergehen wird und Schildkröten werden uns auch bezüglich der genetischen Überlebensmechanismen und der Artenbildung noch einige bahnbrechende Erkenntnisse zukünftig liefern können. Etwas das von Bowen & Karl (2008) schon angedacht wurde siehe auch Bidmon (2017).

Literatur

Anonymus (2016): Moving an endangered tortoise (Perth, Australia). – Science 353(6300): 628-629 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

MacCord, K., G. Caniglia, J. E. Moustakas‐Verho & A. C. Burke (2015): The dawn of chelonian research: Turtles between comparative anatomy and embryology in the 19th century. – Journal of Experimental Zoology Part B Molecular and Development Evolution 324(3): 169-180 oder Abstract-Archiv.