Zierschildkröte, Chrysemys picta, im Gartenteich – © Hans-Jürgen Bidmon

Judson - 2024 - 01

Judson, J. M., L. A. Hoekstra & F. J. Janzen (2024): Demographic history and genomic signatures of selection in a widespread vertebrate ectotherm. – Molecular Ecology 33(5): e17269.

Demographische Geschichte und genomische Signaturen der Selektion bei einem weit verbreiteten ektothermen Wirbeltier.

DOI: 10.1111/mec.17269 ➚

Zierschildkröte, Chrysemys picta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Zierschildkröte, Chrysemys picta,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Die Umweltbedingungen variieren stark über große geografische Verbreitungsgebiete, und dennoch bewohnen bestimmte Arten ganze Kontinente. Bei solchen Arten kann die Genomsequenzierung Aufschluss über die Besiedlungsgeschichte und die Auswirkungen der Selektion auf das Genom geben, wenn Populationen unterschiedliche lokale Umgebungen erleben. Da ektotherme Wirbeltiere zu den am stärksten durch Umweltveränderungen gefährdeten Tieren gehören, ist es von entscheidender Bedeutung, den Beitrag lokaler Anpassungen zum Überleben der Populationen zu verstehen. Weit verbreitete ektotherme Wirbeltiere bieten die Möglichkeit zu erforschen, wie Arten erfolgreich in so unterschiedlichen Umgebungen leben können und wie sich künftige Klimaveränderungen auf das Überleben der Arten auswirken werden. In dieser Studie untersuchten wir die weit verbreitete Sumpfschildkröte (Chrysemys picta), um die genomische Struktur der Population, die demografische Geschichte und genomischen Signaturen der Selektion im westlichen Teil des Verbreitungsgebiets zu bewerten. Wir fanden heraus, dass serielle Gründereffekte eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der genomischen Struktur der Populationen spielen: Demografische Analysen und Homozygotie-Verläufe ergaben, dass es während und nach dem letzten glazialen Maximum zu immer stärkeren Flaschenhälsen zwischen östlichen und westlichen Populationen kam, und dass die Randpopulationen stärker divergierten und eine geringere genetische Vielfalt aufwiesen als die Populationen im Zentrum des Verbreitungsgebiets. Wir entdeckten auch Ausreißerloci, aber allelische Muster in vielen Loci konnten entweder durch genetisches Surfen oder durch Selektion erklärt werden. Obwohl die Ausdehnung des Verbreitungsgebiets die Identifizierung von Loci, die einer Selektion unterliegen, erschwert, bieten wir Kandidaten für künftige Studien zur lokalen Anpassung bei einer langlebigen, weit verbreiteten ektothermen Art, deren Zukunft angesichts des sich rasch verändernden globalen Klimas ungewiss ist.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Auch diese Studie zeigt sehr deutlich wie eine Art oder gar Unterartenkomplex sich nach dem Maximum der letzten Eiszeit nach Westen ausgebreitet hat und neue Lebensräume eroberte. Dabei spielte das sogenannte Surfen auch eine Rolle (siehe dazu auch Gracia et al., 2013 und den dortigen Kommentar) was dazu beiträgt, dass sich neue Lokalpopulationen mit neuen Eigenschaften (biochemisch, physiologisch etc.) und vielleicht sogar Phänotypen herausbilden. Dafür ist ja gerade in Bezug auf Chrysemys picta ein sehr gutes Beispiel und viele dieser Phänotypen haben im Laufe der Zeit von uns spezielle Unterartnamen, ob gerechtfertigt oder auch nicht, zugewiesen bekommen. Allerdings frage ich mich dabei auch welche Rolle der Mensch dabei während der letzten 400.000 Jahre wo auf der Welt gespielt hat und zunehmend spielen wird, denn es wäre wohl zu kurzgedacht, wenn man nicht auch dort wo es eine nachgewiesene durch Fossilien belegte Koevolution von Mensch und Schildkröten gab eine Schildkrötenverbreitung durch die Gattung Homo ausschließen würde. Ja, und da sind wir in unserer aktuellen Neuzeit angekommen, in der wir die Möglichkeit haben solche Vorgänge fast weltweit, wenn sie so wollen direkt mitzuerleben. In Bezug auf Schildkröten sind es ja gerade die sich vielerorts auf der Welt verbreitenden invasiven Arten, die genau das praktizieren, was hier durch retrospektive molekulargenetische Untersuchungen herausgefunden werden soll (Bidmon, 2024 und die dortige Literatur). Auch beobachten wir heute schon wie sich diese Arten in ihren neuen durch die Hilfe des Menschen besiedelten Lebensräumen vermehren und sich in Bezug auf die Reproduktion auch wieder neue populationsspezifische Anpassungen beobachten lassen werden (siehe Cordero et al. 2024).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2024): Commercially assisted migration – Invasive species and their future in a globalized world: A perspective – Artikel-Archiv.

Cordero, G. A., M. L. Balk, C. E. Pérez-González, L. M. Solberg, J. S. Doody, M. V. Plummer & F. J. Janzen (2024): Geographic variation in incubation temperatures promoting viable offspring production in broadly co-distributed turtles. – Journal of Experimental Zoology Part A: Ecological and Integrative Physiology 341(5): 509-524 oder Abstract-Archiv.

Graciá, E., F. Botella, J. D. Anadón, P. Edelaar, D. J. Harris & A. Giménez (2013): Surfing in tortoises? Empirical signs of genetic structuring owing to range expansion. – Biological Letters 9(3): 20121091 oder Abstract-Archiv.

Galerien