Tropfenschildkröte, Clemmys guttata, – © Hans-Jürgen Bidmon

Roberts - 2023 - 01

Roberts, H. P., L. L. Willey, M. T. Jones, T. S. B. Akre, D. I. King, J. Kleopfer, D. J. Brown, S. W. Buchanan, H. C. Chandler, P. deMaynadier, M. Winters, L. Erb, K. D. Gipe, G. Johnson, K. Lauer, E. B. Liebgold, J. D. Mays, J. R. Meck, J. Megyesy, J. L. Mota, N. H. Nazdrowicz, K. J. Oxenrider, M. Parren, T. S. Ransom, L. Rohrbaugh, S. Smith, D. Yorks & B. Zarate (2023): Is the future female for turtles? Climate change and wetland configuration predict sex ratios of a freshwater species. – Global Change Biology 29(10): 2643-2654.

Ist die Zukunft für Schildkröten weiblich? Klimawandel und die Konfiguration von Feuchtgebieten liefern Vorhersagen für das Geschlechterverhältnis für eine Spezies der Süßwasserschildkröten.

DOI: 10.1111/gcb.16625 ➚

Tropfenschildkröte, Clemmys guttata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Tropfenschildkröte,
Clemmys guttata,
© Hans-Jürgen Bidmon

Einleitung
Klimawandel sowie Veränderungen bei der Landflächennutzung sind die treibenden Kräfte für Biodiversitätsverlust, da sie die demographischen Parameter die für die Erhaltung von Populationen wesentlich sind beeinflussen. Ein Beispiel: Wissenschaftler spekulieren seit Jahrzehnten darüber, dass der Klimawandel die Geschlechterverhältnisse bei den Taxa mit einer temperaturabhängigen Geschlechtsausprägung (TSD) verschieben, aber es gibt dafür wenig Beweise, dass dieses Phänomen tatsächlich unter natürlichen Freilandbedingungen zum Tragen kommt. Bei Arten die gegenüber vom Menschen verursachten Landnutzungspraktiken empfindlich reagieren, könnten die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Mortalitätsraten auch die Geschlechterverhältnisse verschieben. Wir beprobten hier die Tropfenschildkröte (Clemmys guttata), da sie zu den Süßwasserschildkröten mit TSD gehört, über weite Teile ihres geographischen Verbreitungsgebiets (Florida bis Maine), um die Umweltfaktoren zu erfassen die einen Einfluss auf die Geschlechterverhältnisse bei den adulten Individuen haben. Wir präsentieren hier Beweise die nahelegen, dass der derzeitige Klimawandel die Geschlechterverhältnisse bei den adulten Tropfenschildkröten verschoben hat, wobei die gesammelten Daten im Zusammenhang mit einem Erwärmungstrend ein Muster hin zu mehr Weibchen bei den adulten Individuen erkennen lassen. Allerdings ließ sich Letzteres nur auf den Landschaftsarealen auf denen wir die höchsten Temperaturanstiege nachweisen konnten feststellen. In den Lokalitäten wo wir nur mittlere oder schwankende Temperaturanstiege vorfanden gab es keine Beziehung zwischen Geschlechterverhältnis und Klima und wir fanden sogar für Flächen mit den kühlsten Temperaturen ein gegenläufiges Muster, wobei hier eine Zunahme der Temperatur das Geschlechterverhältnis hin zu mehr Männchen verschoben hatte. Diese verschiedenen Muster könnten sich zum Teil dadurch erklären, dass die Tiere Unterschiede bei ihrer relativen Kapazität sich via phänotypischer Plastizität (Verhalten) in Bezug auf die Nistplatzauswahl unterscheiden. Unsere Befunde lassen auch vermuten, dass die Tropfenschildkröten eine kontextabhängige, unter Einbezug vielfältiger Einflussfaktoren, Beziehung mit der Landnutzung eingehen und sich entsprechend anpassen. Wir beobachteten nämlich eine negative Beziehung zwischen dem Populationsanteil an Männchen und dem Ausmaß der Flächenanteile die mit Nutzpflanzen bedeckt waren (innerhalb von 300 m), wenn die Feuchtgebiete weniger dicht zusammenlagen. Allerdings dort wo es zusammenhängende bzw. dicht beieinanderliegende Feuchtgebiete gab blieben auch die Geschlechterverhältnisse ausgeglichen. Diese Muster lassen sich vielleicht darauf zurückführen, dass es zu Unterschieden bei den geschlechtsspezifischen Wanderverhalten kommt welches dazu beitragen kann, dass die Männchen dabei ein höheres Mortalitätsrisiko tragen und Landmaschinen sowie anderen Agrarflächen abhängigen Gefahren zum Opfer zu fallen. Unsere Befunde verweisen deutlich auf die Komplexität wie Arten sowohl auf den Klimawandel wie auch auf die Veränderungen bei der Landnutzung reagieren und verweisen ebenso auf die Rolle die dabei die Struktur einer Landschaft spielen kann, indem sie Einfluss auf die demographische Entwicklung wildlebender Populationen nehmen kann.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Auch hier wieder ein schönes Beispiel dafür wie vielfältig (komplex) die biotischen und abiotischen Faktoren sein können die sich langfristig auf das Geschlechterverhältnis auswirken können und die zusätzlich auch darauf verweist, dass die betroffen adulten Individuen (Weibchen) sich durch Adaptation wie der Nistplatzauswahl oder der Nesttiefe bzw. der Nistsubstratauswahl (Feltz & Tamplin, 2007; Refsnider et al., 2022) selbst einen Einfluss darauf nehmen können. Sind sie sich dessen bewusst? (Siehe dazu den Kommentar zu Leivesley et al., 2022). Allerdings zeigt auch die hier vorgestellte Arbeit, dass auch wissenschaftliche Arbeiten, selbst dann, wenn sie darauf abzielen vielfältige Faktoren einzubeziehen immer nur relativ wenige berücksichtigen können und auch der Gefahr unterliegen noch unbekannte Einflussfaktoren zu übersehen oder deren Einbezug gar nicht erst mit in die Erfassung mit einbeziehen können. Insofern beschreiben diese Arbeiten die Befunde nur beispiel- oder modelhaft die eben nur unter den dort vorgefundenen bzw. analysierten Bedingungen so zutreffen. Modelle sind aber oft nur Erklärungshilfen, die wenig bis im Extremfall kaum etwas mit den im Freiland stattfindenden Prozessen zu tun haben müssen wie dies schön in dem Buch „Escape from Model Land (Flucht aus dem Land der Modelle)“ erläutert wird. Ja, und dass die Einflussfaktoren vielfältiger sein können, zeigen auch andere Arbeiten (Tornabene et al. 2018). Ebenso bleibt bislang völlig unklar inwieweit sich auch unterschiedliche Substartfeuchten, unter denen die Gelege platziert wurden, bei steigenden Temperaturen auswirken, denn wenn es dabei zu einer stärkeren Abkühlung durch eine gesteigerte Verdunstung (Verdunstungskälte) kommen würde ließe sich auch damit lokal eine Zunahme bei den Männchen trotz steigender Umwelttemperatur vielleicht erklären (siehe z.B. Staines et al., 2020). Ich möchte diesbezüglich eigentlich nur darauf hinweisen, dass wir diese kaum erfassbare Komplexität nicht als frustrierend empfinden sollten, denn Komplexität, Vielfalt oder Diversität sind in den meisten Fällen die einzige Garantie für Evolutionslinienerhalt, da sie die Chancen hochhalten sich dem ständigen Wandel in der einen oder anderen Form anpassen zu können. Siehe auch den Kommentar zur Arbeit von Bowne (2023).

Literatur

Bowne, D. R. (2023): Climate and sex in turtles. – Global Change Biology 29(10): 2643-2654; DOI: 10.1111/gcb.16625 ➚.

Feltz, J. & J. Tamplin (2007): Effect of substrate on selected temperature in juvenile spiny softshell turtles (Apalone spinifera). – Chelonian Conservation and Biology 6(2): 177-184 oder Abstract-Archiv.

Janzen, F. J., D. M. Delaney, T. S. Mitchell & D. A. Warner (2019): Do covariances between maternal behavior and embryonic physiology drive sex-ratio evolution under environmental sex determination?. – Journal of Heredity 110(4): 411-421; DOI: 10.1093/jhered/esz021 ➚.

Leivesley, J. A., E. G. Nancekivell, R. J. Brooks, J.D. Litzgus & N. Rollinson (2022): Long-Term Resilience of Primary Sex Ratios in a Species with Temperature-Dependent Sex Determination after Decades of Climate Warming. – The American Naturalist 200(4): 532-543 oder Abstract-Archiv.

Refsnider, J. M., S. E. Carter, A. Diaz, A. C. Hulbert, G. R. Kramer, P. Madden & H. M. Streby (2022): Macro- and Microhabitat Predictors of Nest Success and Hatchling Survival in Eastern Box Turtles (Terrapene carolina carolina) and Spotted Turtles (Clemmys guttata) in Oak Savanna Landscapes. – Frontiers in Ecology and Evolution 9: 788025 oder Abstract-Archiv.

Staines, M. N., D. T. Booth, C. A. M. Hof & G. C. Hays (2020): Impact of heavy rainfall events and shading on the temperature of sea turtle nests. – Marine Biology 167(12): 190 oder Abstract-Archiv.

Tornabene, B. J., R. G. Bramblett, A. V. Zale & S. A. Leathe (2018): Factors Affecting Nesting Ecology of Apalone spinifera in a Northwestern Great Plains River of the United States. – Chelonian Conservation and Biology 17(1): 63-77 oder Abstract-Archiv.

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