Schwarze Suppenschildkröte, Chelonia agassizii, – © Carlos Delgado-Trejo

Stokes - 2024 - 01

Stokes, H. J., J.-O. Laloë, N. Esteban & G. C. Hays (2024): Empirical evidence for the extent of spatial and temporal thermal variation on sea turtle nesting beaches. – Journal of Thermal Biology 125(6): 103965.

Empirische Nachweise für das Ausmaß der räumlichen und zeitlichen thermischen Schwankungen an den Niststränden von Meeresschildkröten.

DOI: 10.1016/j.jtherbio.2024.103965 ➚

Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon
Grüne Meeresschildkröte,
Chelonia mydas,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die Aufzeichnung der Sandtemperaturen ist an vielen Nistplätzen von Meeresschildkröten auf der ganzen Welt zur Routine geworden, da die Bruttemperaturen Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis der Jungtiere haben. Das Ausmaß der thermischen Variabilität, die an einem Nistplatz festgestellt wurde, hat jedoch bisher wenig Beachtung gefunden. Hier untersuchen wir empirische Aufzeichnungen der Sandtemperaturen in fünf Atollen, die sich über 250 km im Chagos-Archipel im Indischen Ozean erstrecken, zwischen Oktober 2012 und Juli 2023 und quantifizieren das Ausmaß der räumlichen und zeitlichen thermischen Variabilität. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Sandtemperaturen an unserem Untersuchungsort saisonal und zwischen den Jahren variieren, zwischen den Stränden des Archipels und innerhalb der Strände in verschiedenen Nistlebensräumen. Die größten Einflussfaktoren für die thermische Variabilität waren saisonale und zwischenjährliche Unterschiede, die die Sandtemperaturen um bis zu 3,00 °C bzw. 1,03 °C modulierten. Die Variabilität innerhalb und zwischen den Stränden modulierte die Temperaturen um bis zu 0,56 °C bzw. 0,85 °C. Darüber hinaus waren die monatlichen Sandtemperaturen relativ niedrig, was darauf hindeutet, dass das Geschlechterverhältnis der Jungtiere ziemlich ausgeglichen ist. Die große Bandbreite der an diesem Nistplatz aufgezeichneten Sandtemperaturen lässt darauf schließen, dass während der Nistsaison wahrscheinlich sowohl männlich als auch weiblich geprägte Gelege produziert werden. Die Quantifizierung der thermischen Variabilität anhand einer langfristigen Sandtemperatur-Zeitreihe bietet wertvolle Einblicke in eine Population mit temperaturabhängiger Geschlechtsbestimmung und sollte, wenn möglich, bei der Modellierung der Auswirkungen der Temperatur auf das Geschlechterverhältnis der Schlüpflinge berücksichtigt werden.

Schwarze Suppenschildkröte, Chelonia agassizii, – © Carlos Delgado-Trejo
Schwarze Suppenschildkröte,
Chelonia agassizii,
© Carlos Delgado-Trejo

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine interessante Arbeit, die bei all den Diskussionen, die um die Verweiblichung von Meeresschildkröten und auch terrestrisch heimischen Schildkrötenpopulationen geführt werden, doch daran erinnert wie die Schildkröten und deren Vorfahren schon andere Warmzeiten der letzten vielleicht sogar 500 Millionenjahre überlebt haben (siehe Judd et al., 2024). Die Frage inwieweit sich darauf aber die unter der Meeresoberfläche ablaufenden Hitzewellen und Kälteeinbrüche auswirken werden bleibt offen? Ebenso können wir heute noch nicht einschätzen, wie sich die mit steigender Erwärmung zunehmenden Niederschlagsmengen auswirken werden, außer dass zu heftige Niederschlagsmengen wohl ganze Niststrände lokal von Zeit zu Zeit abspülen könnten. Ja, und Meeresschildkröten haben zudem noch den Vorteil nördlichere bzw. südlichere klimatisch günstigere Niststrände zu nutzen (Fujisaki et al., 2018; Pike, 2013; Reece et al., 2013; siehe auch Cassil & Watkins, 2022; Margaritoulis et al., 2022; Staines et al., 2020 sowie die dortigen Kommentare). Ja, und wir sollten froh sein, dass es diese Anzeichen für langfristige Überlebensmöglichkeiten gibt, denn wir selbst scheinen unfähig zu sein etwas zeitgerecht zu verbessern (siehe z. B. Zhao et al., 2024; Michel et al., 2024; Brainard, 2024 und dazu auch COP 16; 2024 on Biodiversity), wobei Letztere schon wie in den Jahren zuvor fast ohne Zugeständnisse zu Ende ging. Ja selbst, wenn wir es schaffen wie beim Methanausstoß die Mengen zu reduzieren, scheinen die schon erreichten Kipppunkte dem auf natürliche Weise entgegenzuwirken (Michel et al., 2024). Nun werden wieder einige Kritiker und Wirtschtschaftskommentatoren darauf verweisen, dass diese Schildkrötenschützerargumente eher zu vernachlässigen sind, wie ich es neulich in einem Kommentar einer Wochenzeitschrift las! Dabei lehrt uns nicht nur der fossil Rekord der Testudinata welche Veränderungen während der letzten Millionenjahre stattgefunden haben, sondern ebenso erklärt uns die Archäologie heute schon über die jüngere Geschichte darüber auf wie Klima und Umweltveränderungen auch menschliche Dynastien betreffen (z. B. Shen et al., 2024; siehe dazu auch die Kommentare zu Wilkinson & Huber, 2012; Bertolero et al., 2007). Ja, selbst die diesjährige Wahl in den USA und die politischen Entwicklungen in Europa lassen wenig Hoffnung für Verbesserung, genauso wie die neuen technologischen Entwicklungen schon jetzt erkennen lassen wie viel zusätzliche Energie dafür produziert werden muss (siehe auch Castelvecchi,2024; Crawford, 2024). Aber einmal zynisch ausgedrückt: Vielleicht brauchen wir ja wirklich wieder mehr Diktatur als führungslose Demokratie, um schwierige, aber vielleicht überlebensnotwendige Entscheidungen zu treffen, denn auch die im Jahr 2023/2024 hier in Europa erfolgten Überflutungsereignisse sowie die massiven Brände hier und gerade wieder in Kalifornien (Zhao et al., 2024) dürften uns daran erinnern, wie wichtig tragfähige Entscheidungen wären. Vielleicht brauchen wir ja zukünftig, ganzjährig mehr Leute zum Aufräumen von Katastrophenschutt und zur Brandbekämpfung als mehr Personal für eine fluorierende, aber umweltschädigende Wirtschaftsweise, denn die von Glaubrecht (2019) in seinem wohl zu ausführlichen Werk ab Seite 881 fiktiv, vorausschauenden Optimismus bis zum Jahr 2062 könnten wir wohl noch länger warten müssen. Da denke ich doch, dass es wohl wieder Katastrophen sein werden die uns, dann aber meist nur, zu lokalem Handeln zwingen werden, wie es uns gerade in Valencia, Spanien vorgeführt wird.

Literatur

Bertolero, A., D. Oro & A. Besnard (2007): Assessing the efficacy of reintroduction programmes by modelling adult survival: the example of Hermann's tortoise. – Animal Conservation 10(3): 360-368 oder Abstract-Archiv.

Brainard, J. (2024): Biodiversity meeting fumbles funding. – Science 386(6722): 602; DOI: 10.1126/science.ztyxv6g ➚.

Cassill, D.L. & A. Watkins (2022): Nest-site choice by loggerhead sea turtles as a risk-management adaptation to offset hatching failure by unpredictable storms and predators. – Frontiers in Ecology and Evolution 10: 850091 oder Abstract-Archiv.

Castelvecchi, D. (2024): Will AI’s huge energy demands spur a nuclear renaissance? – Nature 635(8037): 19-20; DOI: 10.1038/d41586-024-03490-3 ➚.

Crawford, K. (2024): Generative AI is guzzling water and energy. – Nature 626: 693; DOI: 10.1038/d41586-024-00478-x ➚.

Fujisaki, I., M. Lamont & R. Cathy (2018): Temporal shift of sea turtle nest sites in an eroding barrier island beach. – Ocean & Coastal Management 155: 24-29; DOI: 10.1016/j.ocecoaman.2017.12.032 ➚.

Glaubrecht, M. (2019): Das Ende der Evolution. – Bertelsmann Verlag, München S. 1071.

He, Q., W. Zhan, M. Feng, Y. Gong, S. Cail & H. Zhan (2024): Common occurrences of subsurface heatwaves and cold spells in ocean eddies. – Nature 634(8036): 1111-1117; DOI: 10.1038/s41586-024-08051-2 ➚.

Judd, E. J. U., J. E. Thierney, D. J. Lunt, I. P. Montanez, B. T. Huber, S. L. Wing & P. J. Valdes (2024): A 485-million-year history of Earth’s surface temperature. – Science 385(6715): eadk3705; DOI: 10.1126/science.adk3705 ➚.

Margaritoulis, D., G. Lourenco, T. E. Riggall & A. F. Rees (2022): Thirty-Eight Years of Loggerhead Turtle Nesting in Laganas Bay, Zakynthos, Greece: A Review. – Chelonian Conservation and Biology 21(2): 143-157 oder Abstract-Archiv.

Michel, S. E., X. Lan, J. Miller, P. Tans, J. R. Clark, H. Schaefer, P. Sperlich, G. Brailsford, S. Morimoto, H. Moosseng & J. Li (2024): Rapid shift in methane carbon isotopes suggests microbial emissions drove record high atmospheric methane growth in 2020–2022. – Proceedings of the National Academy of Sciences 121(44): e2411212121; DOI: 10.1073/pnas.2411212121 ➚.

Pike, D. A. (2013): Forecasting range expansion into ecological traps: climate-mediated shifts in sea turtle nesting beaches and human development. – Global Change Biology 19(10): 3082- 3092; DOI: 10.1111/gcb.12282 ➚.

Shen, C.-C., F. Beardsley, S.-Y. Gong, O. Kataoka, M. Yoneda, Y. Yokoyama, H.-M. Hu, C.-Y. Huang, S.-C. Liu, H.-W. Chiang, H.-L. Wei, Y.-C. Chung, L. Jiang, A. Y.-M. Lin, J. Fox, M. David, J. Lebehn, J. Barnabas, G. Kohler, Z. T. Richards, J.-P. A. Hobbs & M. D. McCoy (2024): Links between climatic histories and the rise and fall of a Pacific chiefdom. – PNAS Nexus 3(10): pgae399; DOI: 10.1093/pnasnexus/pgae399 ➚.

Reece, J. S., D. Passeri, L. Ehrhart, S. C. Hagen, A. Hays, C. Long, R. F. Noss, M. Bilskie, C. Sanchez, M. V. Schwoerer, B. Von Holle, J. Weishampel & S. Wolf (2013): Sea level rise, land use, and climate change influence the distribution of loggerhead turtle nests at the largest USA rookery (Melbourne Beach, Florida). – Marine Ecology Progress Series 493: 259-274; DOI: 10.3354/meps10531 ➚.

Staines, M. N., D. T. Booth, C. A. M. Hof & G. C. Hays (2020): Impact of heavy rainfall events and shading on the temperature of sea turtle nests. – Marine Biology 167(12): 190 oder Abstract-Archiv.

Wilkinson, A. & L. Huber (2012): Cold-Blooded Cognition: Reptilian Cognitive Abilities. – S. 129-143 in: Vonk, J. & T. K. Shackelford (Hrsg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology. – Oxford University Press 129-143 oder Abstract-Archiv.

Zhao, J., C. Yue, J. Wang, S. Hantson, X. Wang, B. He, G. Li, L. Wang, H. Zhao & S. Luyssaert (2024): Forest fire size amplifies postfire land surface warming. – Nature 633(8031): 828-834; DOI: 10.1038/s41586-024-07918-8 ➚.

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