Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen Bidmon

Nekrasova - 2024 - 01

Nekrasova, O., M. Pupins, O. Marushchak, V. Tytar, A. Martinez-Silvestre, A. Škute, A. Čeirāns, K. Theissinger & J.-Y. Georges (2024): Present and future distribution of the European pond turtle versus seven exotic freshwater turtles, with a focus on Eastern Europe. – Scientific Reports 14(1): 21149.

Gegenwärtige und zukünftige Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte im Vergleich zu sieben exotischen Süßwasserschildkröten, mit Schwerpunkt auf Osteuropa.

DOI: 10.1038/s41598-024-71911-4 ➚

Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen-Bidmon
Europäische Sumpfschildkröte,
Emys orbicularis,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Süßwasserschildkröten werden oft als Terrarientiere gehalten, insbesondere Jungtiere exotischer Arten. Im Erwachsenenalter werden sie trotz ihres hohen Invasionspotenzials oft von ihren Besitzern in die Wildnis entlassen. In Europa besetzen diese wärmeliebenden, potenziell invasiven gebietsfremden Arten die Lebensräume der einheimischen Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis (Linnaeus, 1758), wobei in den letzten Jahrzehnten insbesondere in Osteuropa (Lettland und Ukraine) neue Nachweise aus der Wildnis erbracht wurden. Die Bewertung des Potenzials gebietsfremder Süßwasserschildkröten, sich in neuen Gebieten anzusiedeln, ist von großer Bedeutung, um Invasionsrisiken zu vermeiden und gleichzeitig die einheimische Biodiversität im gegenwärtigen Kontext des Klimawandels zu erhalten. Wir haben dieses Problem untersucht, indem wir die gegenwärtigen und zukünftigen (bis 2050) geeigneten Lebensräume der Europäischen Sumpfschildkröte und mehrerer potenziell invasiver gebietsfremder Süßwasserschildkrötenarten, die sich bereits in Europa angesiedelt haben, mithilfe eines GIS-Modellierungsansatzes (Geographic Information System) auf der Grundlage von Datensätzen von CliMond für das Klima, Near-global environmental information (NGEI) für Süßwasserökosysteme (EarthEnv) und Maxent-Modellierung unter Verwendung von Open-Access-Datenbanken, Daten aus der Literatur und Originalfelddaten ermittelt haben. Die Modellierung wurde für sieben Arten gebietsfremder Süßwasserschildkröten durchgeführt, die vom äußersten Norden bis zur südlichen Grenze des europäischen Verbreitungsgebiets von E. orbicularis vorkommen: der Schmuckschildkröte Trachemys scripta (Thunberg & Schoepff, 1792), der Hyroglyphenschmuckschildkröte Pseudemys concinna (Le Conte, 1830), der Rotbauch-Schmuckschildkröte Pseudemys nelsoni (Carr, 1938), der falschen Landschildkröte Graptemys pseudogeographica (Gray, 1831), der chinesischen Weichschildkröte Pelodiscus sinensis (Wiegmann, 1835), der Kaspischen Bachschildkröte Mauremys caspica (Gmelin, 1774) und der Westkaspischen Bachschildkröte Mauremys rivulata (Valenciennes, 1833). In der Ukraine, der östlichsten Grenze der Verbreitung von E. orbicularis, wurden zuvor die aus Nordamerika stammenden T. scripta, aber auch M. rivulata und M. caspica gemeldet, während in Lettland, der nördlichsten Grenze von Emys, zusätzlich P. concinna, P. nelsoni, G. pseudogeographica und die aus Asien stammende P. sinensis gemeldet wurden. Die daraus resultierenden Artenverbreitungsmodelle (SDM) zeigten eine hervorragende Leistung (AUC > 0,8). Von diesen gebietsfremden Arten waren T. scripta (34,3 % der potenziellen Arealausdehnung), G. pseudogeographica (24,1 %) sowie M. caspica (8,9 %) und M. rivulata (4,3 %) die potenziell erfolgreichsten Arten in Bezug auf die Ausbreitung in ganz Europa, hauptsächlich in Osteuropa, insbesondere im Süden der Ukraine (Regionen Odessa, Cherson, Saporischschja und Halbinsel Krim). Die Korrelation zwischen den erarbeiteten SDMs für die einheimische E. orbicularis und die invasive gebietsfremde T. scripta war zuverlässig hoch, was die hohe Wahrscheinlichkeit einer Konkurrenz zwischen diesen beiden Arten an Orten, an denen sie gemeinsam vorkommen, bestätigt. Darüber hinaus ergab eine multiple Regressionsanalyse, dass sich bis 2050 in den meisten Teilen Europas (von den westlichen Ländern bis zur Ukraine) die Gebietsüberschneidung zwischen E. orbicularis und potenziell invasiven gebietsfremden Arten von Süßwasserschildkröten um das 1,2-fache erhöhen wird, was eine stärkere Konkurrenz in der Zukunft bestätigt. Wichtig ist, dass Osteuropa und die Ukraine bis 2050 voraussichtlich die Gebiete mit den am besten geeigneten Lebensräumen für die Europäische Sumpfschildkröte sein werden, in denen es jedoch die geringste Überschneidung mit den invasiven gebietsfremden Arten gibt. Wir kommen zu dem Schluss, dass Osteuropa und die Ukraine die wichtigsten Schutzgebiete für die Europäische Sumpfschildkröte sind, in denen es jetzt notwendig ist, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um langfristig einen sicheren Lebensraum für diese einheimische Art zu gewährleisten.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hier handelt es sich um eine Modellierungsstudie die eigentlich nur andeutet, dass sich im Zuge der prognostizierten Klimaveränderungen die Gebiete in Ukraine und in Lettland zunehmend besser für die Besiedlung mit Emys orbicularis auszeichnen dürften. Ob diese Prognosen noch so zutreffen würden, müsste sich zeigen, denn wie sich die Zerstörung des Kachowka-Staudamms auf die derzeitige und auch zukünftige Verbreitung ausgewirkt haben dürfte, sind in dieser Studie kaum abzuschätzen gewesen, weil es dazu keine aktuellen Daten geben dürfte. Insofern sehe ich diese Prognosen zwar als hilfreich für zukünftige Szenarien an, aber ob sie dann auch so eintreffen dürfte von weit mehr Faktoren abhängen als bislang berücksichtigt werden konnten (siehe dazu auch Bidmon (2024). Ja, und letztendlich dürfte auch die weitere landwirtschaftliche Nutzung und Bewirtschaftung dieser osteuropäischen Länder einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf zukünftige Biodiversitätsentwicklungen und Artenbesiedlungsmöglichkeiten haben. Wie sich aus den heute schon bekannten Problemen diesbezüglich Verbesserungen ergeben sollen, bleibt offen und hängt wohl auch sehr vom gesellschaftlichen Verhalten ab (siehe dazu Luiselli et al., 2024 und den dortigen Kommentar). Denn erst jüngst wurde sogar Science erstmals darauf hingewiesen, wie sich die Agrarindustrie diesbezüglich verhält (Noack et al., 2024), wobei ich es auch gut fand, dass auch ein Artikel der zumindest eine Alternativmöglichkeit schildert beigesteuert wurde (Pennisi, 2024). Siehe dazu auch Furtwängler Erlebnis Erde: Das Ende der Insekten? ➚.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2024): Commercially assisted migration – Invasive species and their future in a globalized world: A perspective – Artikel-Archiv.

Luiselli, L., O. Le Duc, T. P. Van, T. N. Xuan,Mp. B. Dang, G. Kuchling, B. Leprince, H.-T. Shi, L. Mccaskill & P. Giovacchini (2024): A threat analysis for the world's most threatened turtle (Rafetus swinhoei). – Journal for Nature Conservation 78(1): 126577 oder Abstract-Archiv.

Noack, F., D. Engist, J. Gantois, V. Gaur, B. F. Hyjazie, A. Larsen, L. K. M’Gonigle, A. Missirian, M. Qaim, R. D. Sargent, E. Souza-Rodrigues & C. Kremen (2024): Environmental impacts of genetically modified crops. – Science 385(6712): eado9340; DOI: 10.1126/science.ado9340 ➚.

Pennisi, E. (2024): How the Three Sisters shrug off pests; Crops such as maize, beans, and squash can team up, but the mix matters. – Science 385(6712): 920-921; DOI: 10.1126/science.ads7686 ➚.

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