Engstrom, T. N., H. B. Shaffer & W. P. McCord (2004): Multiple data sets, high homoplasy, and the Phylogeny of softshell turtles (Testudines: Trionychidae). – Systematic Biology 53(5): 693-710.
Multiple Datensätze, eine hohe Homoplasy (evolutiv bedingte Gleichförmigkeit), und die Phylogenese der Weichschildkröten (Testudines: Trionychidae)
DOI: 10.1080/10635150490503053 ➚
Wir präsentieren eine phylogenetische Hypothese und eine neue rangfreie Klassifizierung für alle existierenden Arten der Weichschildkröten (Testudines: Trionychidae). Unsere Daten enthalten DNA Sequenzen von zwei mitochondrialen Protein codierenden Genen and ein 1-kb (kilobase) großes nukleäres Intron für 23 von 26 bekannten Arten und 59 vorher veröffentlichten morphologischen Charakteristika für einen komplementären Satz von 24 Arten. Dieser kombinierte Datensatz deckt die komplette taxonomische Bandbreite für diese global verbreite Klade von Schildkröten ab. Er beinhaltet nur wenige inkomplette Daten für nur wenige Taxa. Obwohl unsere taxonomischen Stichproben vollständig sind, sind die meisten der modernen Taxa Repräsentanten von alten und sehr unterschiedlichen Linien. Und so – wegen der biologischen Realitäten – besteht unsere Stichprobe aus einer oder wenigen Repräsentanten von verschiedenen Vorfahren über einen relativ weit zurückreichenden phylogenetischen Baum. Unsere Analyse des kombinierten Datensatzes konvergiert in einen Satz von gut-definierten Beziehungen, was sich in Übereinstimmung mit vielen Aspekten der traditionellen Weichschildkröten-Systematik befindet, inklusive der Monophylie der Cyclanorbinae und Trionychinae. Jedoch stehen unsere Ergebnisse in Konflikt mit anderen Aspekten der aktuellen Taxonomie und zeigen, dass die meisten der aktuell bekannten Stämme nicht monophyletisch sind. Wir nutzen die daraus resultierende gute Abschätzung der Phylogenese für die Weichschildkröten für zwei Zwecke (1): als Basis für eine neue rangfreie Klassifizierung und (2) um im Rückblick Strategien zu entwickeln zur Analyse hochgradig homoplastischer mtDNS Daten bei weit zurückreichenden phylogenetischen Fragestellungen, bei denen eine Erhöhung der Stichprobenzahl keine Option ist. Die bereinigte (abgeglichene) und gewichtete Parsimonie ([über einen Zeitraum hinweg entwickelte Struktur] hier DNS-Sequenz) bewiesen grundsätzlich das phylogenetische Wirken von hochgradig homoplastischen mtDNS-Sequenzen, aber keine einzige Strategie löste die Probleme, die mit diesen hochgradig homoplastischen Daten in Verbindung stehen. Viele weit im Stammbaum zurückliegende Knotenpunkte (Aufzweigungen) bei der Weichschildkröten Phylogenetik wurden mit hinreichender Sicherheit erst aufgefunden, nachdem nicht-homoplastische Daten aus dem nuklearen Intron hinzugefügt wurden.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Diese Arbeit zeigt sehr schön, dass es auch andere als die klassischen Ansätze gibt, die phylogenetische Aspekte abzuklären. Ob sie sich durchsetzen wird, ist eine andere Frage. Aber es bleibt zu hoffen, dass diese neuen Ansätze tatsächlich zur Klärung offener Fragen zukünftig beitragen. Sicher ist genetische Information Träger des sich in der Evolution verändernden (sich anpassenden) „Bauplans“ eines jeden Organismus. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass es letztendlich die Umweltbedingungen und die an den Organismus gestellten Anpassungsprozesse sind, die solche Veränderungen erzwingen, die dann auch über den Prozess der Selektion ihren Niederschlag auf der Ebene der Gene finden. Somit bleibt abzuwarten, welche dieser Strategien zum Ziel führt. Letztendlich bleibt Phylogenese ein abstraktes Verständnisproblem der Naturgeschichte, sicher ist nur, dass das was wir an Diversität sowohl auf der Ebene der Gene wie auch der Morphologie und Physiologie bei rezenten Arten finden, so gut war, dass es diesen ein Überleben in ihren ökologischen Nischen bis heute ermöglicht hat, denn sonst würden sie längst zu jenen zählen, die ausgestorben sind.