Delaney, D. M., L. A. Hoekstra & F. J. Janzen (2020): Becoming creatures of habit: Among‐ and within‐individual variation in nesting behaviour shift with age. – Journal of Evolutionary Biology 33(11): 1614-1624.
Zum Gewohnheitstier werden: Die inter- und intraindividuelle Variabilität im Nistverhalten verändert sich mit dem Alter.
DOI: 10.1111/jeb.13701 ➚
Die Quantifizierung von Verhaltenswiederholungen ermöglichte es sowohl Verhaltens- wie auch Evolutionsbiologen die Vererbbarkeit von wichtigen Lebensprozessen zu erfassen. Verhaltensweisen verändern sich während des Lebens und altersabhängige Variation sollte dazu dienen negative mikroevolutionäre Anpassungen, die wesentliche Aspekte betreffen zu vermeiden. Zusätzlich sollte man um ein mechanistisches Verständnis über die ontogenetische Variationsbreite im Verhalten für inter- und intraindividuelle Unterschiedlichkeit zu erlangen, die Variationsbreite quantitativ für die gesamte Lebenszeit erfassen. Wir werteten eine über 30 Jahre laufende Studie über Zierschildkröten (Chrysemys picta) aus, um zu untersuchen welchen Beitrag das Lebensalter bei der Variabilität in Bezug zum Wiederholungsverhalten im Fall des Nistverhaltens leistet. Wir fanden heraus, dass vier Komponenten des Nistverhaltens wiederholt werden und dass der Einbezug des Lebensalters Abschätzungswerte für die Wiederholbarkeit der mütterlichen Nistplatzauswahl erhöht und zwar in Bezug zur Baumkronenbedeckung über dem Nest. Wir identifizierten Kanalisation (also die Verkleinerung der intraindividuellen Varianz mit zunehmenden Alter) in Bezug zur Baumkronenbedeckungsauswahl bei einem reduzierten die Individuen betreffenden Datensatz, obwohl es dabei zu keiner Verschiebung bei der Wiederholbarkeit kam. Zusätzlich zeigte eine Zufallsregressionsanalyse, dass die Weibchen mehr interindividuelle Unterschiede in Bezug auf die Baumkronenbedeckungsauswahl mit zunehmenden Alter aufwiesen. Dies spricht dafür, dass eine richtige Computermodellierung der altersbezogenen Varianz es erlauben könnte präzisere Abschätzungswerte für deren Vererblichkeitspotential zu erhalten. Zudem würde dabei auch die Erfassung der inter- und intraindividuellen Varianzkomponenten im Vergleich zur reinen Wiederholbarkeitserfassung möglich. Letzteres würde ein besseres mechanistisches Verständnis über die Mechanismen der Verhaltensvariabilität über die Lebensspanne hinweg ermöglichen.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Nun eine Bevorzugung von bestimmten Ansprüchen an den individuell ausgewählten Nistplatz an den Tag zu legen kann den individuellen Reproduktionserfolg steigern. Allerdings spricht die dabei beobachtete Unterschiedlichkeit (Varianz) bei den einzelnen Weibchen wohl eher dafür, dass diese Variationsbreite einen Vorteil für die Population darstellt. Denn wenn zum Beispiel einzelne Weibchen immer durch Baumkronen stärker beschattete Nistplätze wählen könnte auch das dazu beitragen, dass trotz mit dem Klimawandel steigenden Temperaturen auch noch einige Gelege mehr Männchen produzieren. Allerdings die Ursachen und besonders die hier von den Autoren mit erwähnte Vererbbarkeit solcher Auswahlkriterien für einen Nistplatztyp erscheint mir nur auf einer sehr groben Skala als sinnvoll. Was soll das heißen? Sicher sollte in einem groben Rahmen die Suche nach einem geeigneten Nistplatz ererbt sein, allerdings wie diese Nistplatzwahl dann im Rahmen einer an die Umweltbedingungen angepassten Adaptionsbreite zu realisieren ist sollte aus genetischer Sicht variabel bleiben und bei einigen Beobachtungen spricht auch bei Schildkröten einiges dafür (siehe Kommentar zu Burns et al., 2020). Denn für langlebige Tiere können sich ja die Umweltbedingungen innerhalb ihrer Lebenszeit selbst vor Ort zum Teil mehrfach verändern was sie dazu zwingen würde sich mittels adaptiver, umweltmodulierter Verhaltensweisen anzupassen (siehe dazu Szabo et al., 2020). Ja und wie Mitglieder dieser Arbeitsgruppe auch schon gezeigt haben gibt es auch noch andere individuelle Schwankungen zwischen den Weibchen sowohl zwischen verschieden Populationen aber auch insbesondere innerhalb einer Population (siehe Bodensteiner et al., 2019) und den dortigen Kommentar). Allerdings scheint auch hier bei diesen Zierschildkröten wieder ein nur oft allzu menschliches Phänomen zu beobachten sein: Nämlich die zunehmende Tendenz an alten Gewohnheiten festzuhalten, was man auch im Extremfall als „zunehmenden Altersstarrsinn“ abtun mag. Auch trifft wieder der Satz, dass belebte Materie auf all ihren Entwicklungsstufen sich immer so verhält wie im „Wahren Leben“. Letzteres Verhalten betrifft aber wie gesagt hier nur die individuelle Ebene. Das Faszinierende daran ist aber eigentlich etwas Anderes – nämlich auch hier die Erkenntnis, dass die Evolution Leben grundsätzlich auf Variabilität aufgebaut hat, denn nur sie ist wohl der Garant für ein Langzeitüberleben der DNS unter sich zeitweise drastisch verändernden Umweltbedingungen und zwar sowohl innerhalb der organismischen wie auch der abiotisch Umweltbedingen. Ja, und auch die Betrachtung der Schildkrötenliteratur zeigt uns auf den vielfältigsten Ebenen diese Abhängigkeit von dieser Unterschiedlichkeit sie dazu (Erickson et al., 2020; und den dortigen Kommentar).
Literatur
Bodensteiner, B. L., D. A. Warner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider & F. J. Janzen (2019): Geographic variation in thermal sensitivity of early life traits in a widespread reptile. – Ecology and Evolution 9(5): 2791-2802 oder Abstract-Archiv.
Erickson, J., C. Kurzmann Fagundes, M. d. S. Magalhaes, L. C. Dias, R. C. Vogt, I. P. Farias & J. Zuanon (2020): Natural nests incubated in two different soil types lead to an overall balanced sex ratio in Podocnemis unifilis hatchlings on the lower Purus River, Brazil. – Salamandra 56(4): 309-316 oder Abstract-Archiv.
Szabo, B., D. W. A. Noble & M. J. Whiting (2020): Learning in non-avian reptiles 40 years on: advances and promising new directions. – Biological reviews of the Cambridge Philosophical Society 96(2): 331-356 oder Abstract-Archiv.
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Chrysemys picta – Zierschildkröte