Falsche Spitzkopfschildkröte, Pseudemydura umbrina, – © Gerald Kuchling
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Watson - 2023 - 01

Watson, C. (2023): Will moving endangered species save them from climate change? – Nature 621: 22-25.

Wird die Umsiedlung gefährdeter Spezies sie vor dem Klimawandel schützen?

DOI: None ➚

Falsche Spitzkopfschildkröte, Pseudemydura umbrina, – © Gerald Kuchling
Falsche Spitzkopfschildkröte,
Pseudemydura umbrina,
© Gerald Kuchling

Einige der sehr stark gefährdeten Tiere könnten in ihren derzeitigen Lebensräumen wohl nicht überleben. Forscher testen eine kontrovers diskutierte Strategie, nämlich die solche Arten umzusiedeln, bevor es zu spät ist.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Dieser Feature-Artikel hat eigentlich kein richtiges Abstract, aber er adressiert eine viel diskutierte Fragestellung. Letztendlich wurde auch schon diesbezüglich gehandelt und es wurden schon mehr Arten umgesiedelt als nur die hier in der Hauptsache adressierte Pseudemydura umbrina (siehe Anonoymus, 2016, Paget et al., 2023; Morris, 2023).
Mittlerweile zählen zu den von solchen Maßnahmen betroffenen Spezies auch das Bergzwergopposum,
Burramys parvus sowie der Schwarzfußalbatros, Phoebastria nigripes. Worauf diese Arbeit auch verweist, ist die wohl hinlänglich bekannte Erkenntnis, dass das wohl für alle vom Klimawandel stark bedrohte Arten nicht möglich sein wird! Ja und wenn ich dazu mal anfügen darf, wird es diese Möglichkeiten für jene Spezies die wir bis dato noch gar nicht kennen, auch nicht geben. Warum gibt es aber hier eine so kontroverse Diskussion? Nun, weil etliche meinen, dass man hier das Potenzial für neue Invasionen schaffen könnte. Schön wäre das wohl für diese Arten, wenn sie sich in ihren neuen angedachten, bislang experimentellen Habitaten einleben und entsprechend anpassen könnten, aber danach sieht es eigentlich kaum aus. Zumindest würde ich aber einmal behaupten wollen, dass solche Versuche weitaus sinnvoller sein dürften als zum Beispiel die Diskussion darüber, ob man lange ausgestorbene Arten auf molekulargenetische Art und Weise wiederbeleben sollte (siehe Hennessy, 2013). Ja, und auch die vielen Versuche durch Speziesumsiedlungen ausgestorbene Arten z.B. auf Inseln durch die Umsiedlung rezenter Arten zu ersetzen tut eigentlich nichts Anderes, da man damit meist den Verlust an endemischer Flora eindämmen möchte, die im ökosystemischen Sinn von ihrem tierischen Samenverbreitern abhängig ist. Sicher haben in der Vergangenheit meist ungewollte oder gewollte Artverschleppungen und Auswilderungen zur Zerstörung etlicher Lebensräume beigetragen, aber mal etwas zynisch ausgedrückt, das hat die menschliche Populationsausbreitung auch. Selbst heute werden viele Arten, wenn wir allein an Nutz- und Zierpflanzen denken, durch den Menschen weltweit verbreitet und letztendlich passiert hier zwar gehäuft, aber dennoch das Gleiche wie langfristig in der Natur auch. Wenn dem nicht so wäre, wäre wohl z.B. der Galapagosarchipel nie von Schildkröten und anderen Spezies nach seiner vulkanischen Entstehung besiedelt worden (z.B. Hennessy, 2015; Torres et al., 2023). Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob wir genauso wenig wie wir alle durch den Klimawandel bedrohten Arten umsiedeln können, wirklich durch Erhaltungsversuche dynamische Evolutionsprozesse verhindern können. Wir Homo sapiens sind Teil der Evolution und als soziale und moralische Spezies ist es uns anscheinend oder zum Glück nicht möglich, die in der Vergangenheit gemachten, aber heute erkannten Fehler rückgängig zu machen oder zu vermeiden. Eigentlich hat uns die Angst, die mit der COVID-19-Krise kam gezeigt, wie wir CO2-Reduzierung realisieren könnten, aber davon ist nicht allzu viel übriggeblieben, denn wir streben nach wie vor weiter nach Wirtschaftswachstum, die Fernreisen und Schiffsreisen werben und machen weiter wie bisher. Jede Fluggesellschaft strebt weiteres Wachstum an, obwohl damit die Belastung an Treibhausgasen zunimmt und wir alle machen mit, denn 2024 wurde das „Vor-Corna-Reisevolumen“ schon übertroffen. Ja selbst nationale Rivalitäten werden nicht zum Wohle der Umwelterhaltung zurückgestellt, wie uns die derzeitige Weltkonfliktlage vor Augen führt. In Anbetracht dieser unserer Machenschaften, sollen wir uns da wirklich noch kontroverse Diskussionen darüber leisten, ob es sinnvoll erscheint, einige stark bedrohte Arten durch Umsiedlungen oder durch den Aufbau von Metapopulationen etwas länger am Leben zu erhalten? Letztendlich erkennen wir doch heute schon, dass uns die Zeit zum Umsteuern davonläuft und dass jede Umweltmaßnahme wie z.B. die Reduktion von CO2 durch Elektrofahrzeuge wieder erst einmal den Einsatz neuer umweltbelastender Vorgehensweisen voraussetzt, denn allein die Neuproduktion solcher Fahrzeuge verursacht eine höhere Belastung als die Nutzung dessen, was schon vorhanden ist und dazu müssen neue Bergbaugebiete für den Gewinn der sogenannten Seltenen-Erden erschlossen werden. Es wird also Jahrzehnte dauern, bis wir wirklich die Umweltbelastung auf wirkungsvolle Art reduziert haben werden. Ja und in der Zwischenzeit agieren wir wie so oft in unserer Geschichte nach dem Prinzip Hoffnung. Nämlich der Hoffnung, dass der Planet und sein Klima uns persönlich von den jetzt schon nachweislich zunehmenden Katastrophen verschonen mag. Von Letzterem kann schon in diesem Jahr für das Saarland und Bayern berichten und das Winterhochwasser in Niedersachsen kurz vor dem Jahreswechsel sollte man auch nicht übersehen (siehe auch Bidmon, 2024). Vielleicht befreit sich der Planet damit auch zunehmend von uns und wir führen die sogenannten kontroversen Diskussionen auch in Bezug auf das eine oder andere Hobby, nur um uns von einer katastrophaler werdenden Zukunft abzulenken. Vielleicht sollten wir die Ferienzeit wirklich einmal nutzen, um auch darüber nachzudenken und vielleicht auch gesamtgesellschaftlich zu handeln.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2024): Commercially assisted migration – Invasive species and their future in a globalized world: A perspective – Artikel-Archiv.

Hennessy, E. (2013): Producing ‘prehistoric’ life: Conservation breeding and the remaking of wildlife genealogies. – Geoforum 49: 71-80 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.

Morris, S. (2023): Consider physiology when translocating animals. – Natural climate change 13: 769-770; DOI: 10.1038/s41558-023-01747-9 ➚.

Paget, S., A. C. Gleiss, G. Kuchling & N. J. Mitchell (2023): Activity of a freshwater turtle varies across a latitudinal gradient: Implications for the success of assisted colonisation. – Functional Ecology 37(7): 1897-1909 oder Abstract-Archiv.

Torres, F., E. J. Huang, J. L. Román-Carrion & G. S. Bever (2023): New insights into the origin of the Galápagos tortoises with a tip-dated analysis of Testudinidae. – Journal of Vertebrate Paleontology e2313615 oder Abstract-Archiv.

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