Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, sitzt sonnend am Ufer – © Hans-Jürgen Bidmon

Gong - 2023 - 02

Gong, S., Y. Gao, H. Duan, Y. Ge & Y. F. Wei (2023): Incorporating physiological data into species distribution models to predict the potential distribution range of the red-eared slider in China. – Ecological Indicators 154: 110749.

Die Berücksichtigung physiologischer Daten bei den Artverbreitungsmodellen für die Vorhersage der potentiellen Verbreitungsgebiete für die Rotwangen-Schmuckschildkröte in China.

DOI: 10.1016/j.ecolind.2023.110749 ➚

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

Artverbreitungsmodelle (SDMs) werden häufig für die Vorhersagen zur Ermittlung geeigneter Habitate für fremde, invasive Spezies (IAS) genutzt, um deren Invasionsrisiko zu bewerten. Allerdings sind die SDMs in Misskredit geraten, da sie meist die physiologischen Anpassungsprozesse ignorieren die Spezies nutzen, um auf ihre Umwelt zu reagieren. Die Integration der physiologischen Toleranz in diese SDM – Modelle ist ein notwendiger Faktor, um deren Vorhersagegenauigkeit zu verbessern. Zurzeit wurde ein solcher Untersuchungsansatz noch nicht für das Studium der Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans), einer der 100 invasivsten Spezies weltweit, die auch weitverbreitet in China vorkommt, angewandt. In dieser Studie, die auf Schlupfexperimenten basiert fanden wir, dass die Temperaturtoleranzspannbreite ihrer Embryonen von +21,8 ⁰C bis +33,1 ⁰C reicht. Zudem untersuchten wir für diese fremde Art die Auswirkungen der Embryotemperaturtoleranz in Bezug auf mögliche Invasionsgebiete. Die Vorhersage für die hochgradig geeignete Besiedlungsarealfläche (530.214,71 km²) durch die SDM-Modelle unter Berücksichtigung der Embryotemperaturtoleranz war um 20,9 % kleiner als die Besiedlungsfläche (641.107,60 km²) die von SDM-Modellen ohne Berücksichtigung der Embryotoleranz prognostiziert wurden. Die sich ergebende Differenz zwischen den zwei SDMs konzentriert sich primär auf die Randgebiete der qualitativ hochgradig geeigneten Besiedlungsarealflächen. Der Einbezug der Embryotemperaturtoleranzdaten beeinflusste die Modellvorhersagen dahingehend, dass sich das Ausmaß der Randbereichsflächen, die um die qualitativ hochgradig geeigneten Besiedlungsarealflächen liegen effektiv reduzierten. Qualitativ hochwertige Besiedlungsflächen für die Rotwangen-Schmuckschildkröte konzentrieren sich hauptsächlich auf Südchina, Zentralchina und Ostchina mit einigen Arealen in Nord- und Südwestchina. Es ergibt sich dabei fast kein Invasionsrisiko für die meisten nordöstlichen und nordwestlichen Provinzen Chinas. Diese Studie hat nicht nur eine theoretische Bedeutung für die Optimierung von Vorhersagemodellen, denn sie liefert auch eine wichtige wissenschaftliche Basis für das Invasionsvermeidungsmanagement für Rotwangen-Schmuckschildkröten in China.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit enthält viele farbige Verbreitungskarten auf denen diese möglichen Besiedlungsflächen je nach Modellvorhersage dargestellt werden. Obwohl die hier gewählte Methode zur Ermittlung eines essentiellen, physiologischen Parameters mit der Embryotemperaturtoleranz sehr gut gewählt wurde, müsste er eigentlich noch erweitert werden, da ja davon auszugehen ist, dass in den Regionen und Arealflächen wo die Pivotaltemperatur nicht erreicht wird sich keine fortpflanzungsfähige Population entwickeln kann, da nur Männchen schlüpfen würden, es sei denn die Spezies könnte adaptiv die Pivotaltemperatur an neue Umweltbedingungen anpassen. Solche Flächen könnten zwar potenziell von Rotwangen-Schmuckschildkröten besiedelt werden, aber eben nur, wenn sie dort ausgesetzt oder gar angesiedelt würden. Sicherlich könnten auch in solchen Gebieten mal vereinzelt sehr warme Sommer auftreten, aber letzteres wäre dann eigentlich davon abhängig wie gut die Vorhersagemodelle angepasst wurden. Insofern könnten sich sogar die möglichen Besiedlungsflächen noch weiter verringern, wenn man jene Gebiete ausschließen kann, in denen die Temperatur immer unterhalb der Pivotaltemperatur bleiben würde. Aber wir können ja gerade wieder fast täglich medial miterleben wie klein sowie weich formuliert die Erfolge bei der diesjährigen Klimakonferenz (COP28) ausgefallen sind und müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Menge an Treibhausgasen zwar in Europa etwas (7 %) abgenommen hat, aber weltweit wieder deutlich zugenommen hat. Wenn man sich dann daran erinnert, dass in etlichen Regionen auf diesen Planeten eine Durchschnittstemperaturerhöhung um +2 ºC erreicht ist und man sich dann die Prognosen bei Murali et al. (2023) ansieht, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, zu der selbst die weniger geeigneten Besiedlungsflächen zu jenen gerechnet werden müssen, die dann im Vergleich zu den heutigen idealen Besiedlungsflächen die optimaleren Bedingungen bieten könnten. Allerdings halte ich es angesichts der schon heute weltweiten invasiven Ausbreitung mancher Schildkrötenarten (siehe dazu Bidmon, 2023) für sehr unwahrscheinlich, dass man diese Ausbreitung noch überall rückgängig machen kann, denn auch damit wären sehr wahrscheinlich größere und sogar unakzeptable ökologische Eingriffe in etlichen Gebieten notwendig, die sich kaum mehr rechtfertigen ließen. Insofern wäre es eigentlich auch sinnvoll in solchen Gebieten, in denen die Etablierung dieser invasiven Arten unvermeidbar bleibt, sich darauf zu konzentrieren und zu untersuchen, wie sich diese invasiven Arten im Zuge der Anpassung an ihre neue Umwelt verändern und anpassen. Denn im Grunde genommen bietet sich hier die Chance wirklich einmal evolutive Weiterentwicklung „life“ zu beobachten und zu erfassen. Letztendlich passiert hier ja sehr wahrscheinlich das Gleiche, wie damals als die ersten Vorfahren der Galapagosschildkröten (laut der genetischen Befunde C. chilensis) sich auf den Inseln ansiedelten und später auch ausbreiteten. Sicher sind das angedachte Langzeitprojekte deren Ergebnisse unsere eigenen Nachfolgegenerationen auswerten dürften. Nichtsdestotrotz wäre es aber ein sinnvoller Anfang, wenn von Beginn an echte Daten zur Verfügung stünden. Zudem wäre es schon einmal ein Beginn molekulargenetisch zu erfassen, woher die Gründerindividuen solcher invasiven Populationen stammen, denn auch daraus könnte sich zeigen, wie und wo sich unterschiedlich zusammengesetzte Gründerpopulationen wie weiterentwickeln und verändern. Ich denke, da der Homo sapiens auch Bestandteil der Natur auf diesen Planeten ist trägt auch sein Handeln zur natürlichen Verbreitung von Spezies bei, und zwar so wie wir das auch für Nutz- und Zierpflanzen und Nutztierarten bzw. Rassen auch seit Jahrhunderten praktizieren ohne uns so sehr darüber aufzuregen, dass wir gleich und überall in eine „Invasionspanik“ verfallen. Damit möchte ich auf keinen Fall die Ausbreitung invasiver Arten fördern, sondern lediglich darauf verweisen, dass man dort, wo es ohnehin nicht mehr vermieden werden kann, grundlagenwissenschaftlich das Beste daraus machten sollte. Siehe dazu auch die Argumente bei Dupuis-Desormeaux et al. (2022).

Literatur

Dupuis-Désormeaux, M., J. E. Lovich & J. W. Gibbons (2022): Re-evaluating invasive species in degraded ecosystems: a case study of red-eared slider turtles as partial ecological analogs. – Discover Sustainability 3(1): 15 oder Abstract-Archiv.

Murali, G., T. Iwamura, S. Meiri & U.Roll (2023): Future temperature extremes threaten land vertebrates . – Nature 615(7952): 461-467 oder Abstract-Archiv.

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