Gelbliche Klappschildkröte, Kinosternon flavescens, Muttertier mit Jungtier – © John B. Iverson

Bronikowski - 2023 - 01

Bronikowski, A. M., A. R. Hedrick, G. A. Kutz, K. G. Holden, B. Reinke & J. B. Iverson (2023): Sex-specific innate immunity and ageing in long-lived fresh water turtles (Kinosternon flavescens: Kinosternidae). – Immun Ageing 20(1): 11.

Die geschlechtsspezifische angeborene Immunität während der Alterung bei einer langlebigen Süßwasserschildkröte (Kinosternon flavescens: Kinosternidae).

DOI: 10.1186/s12979-023-00335-x ➚

Gelbliche Klappschildkröte, Kinosternon flavescens, – © John B. Iverson
Gelbliche Klappschildkröte,
Kinosternon flavescens,
Muttertier mit Jungtier
© John B. Iverson

Hintergrund
Die fortschreitenden negativen Veränderungen des Immunsystems während des Alterungsprozesses die unter dem Begriff Immunseneszenz zusammengefasst werden wurden bei Säugetieren sehr gut untersucht, aber Studien zur Immunsystemfunktion bei langlebigen, wildlebenden Spezies die nicht zu den Populationen von Säugern gehören sind rar. In dieser Studie nutzten wir eine über 38 Jahre andauernde Fang-Wiederfangstudie, um zu quantifizieren welche Beziehungen sich zwischen Alter, Geschlecht, Überlebensrate, Reproduktionsleistung und dem angeborenen Immunsystem bei einem langlebigen Reptil der Gelben Schlammschildkröte (Kinosternon flavescens; Testudines; Kinosternidae) ergeben.

Methode
Wir schätzten die Überlebensrate und die altersbezogene, geschlechtsbezogene Mortalität anhand der Fang-Markierung-Wiederfangdaten für 1.530 adulte Weibchen und 860 adulte Männchen über einen Zeitraum von 38 Jahren ab. Wir analysierten die Fähigkeit zur Abwehr von Bakterien (Bakterizide Kapazität, BC) sowie zwei Immunreaktionen nach Stimulation mit fremden roten Blutzellen – i. die natürliche Antikörper-vermittelte Hämagglutination (Nabs) und ii. die Komplement-vermittelte Hämolyse (Lys) bei 200 Adulti (102 Weibchen; 98 Männchen) die eine Altersspanne von 7 bis zu 58 Jahren abdeckten, die im Mai 2018 direkt nach dem Erscheinen aus der Winterruhe kamen und für die die Reproduktionsleistung sowie die Langzeit-Markierung-Wiederfangdaten verfügbar waren.

Ergebnisse
Wir fanden, dass bei dieser Population die Weibchen kleiner bleiben und länger leben als die Männchen, aber die beschleunigte Mortalitätsrate während der Adultphase für beide Geschlechter dabei gleichblieb. Im Gegenteil dazu zeigten die Männchen eine höhere angeborene Immunität im Vergleich mit den Weibchen und zwar in Bezug auf alle drei gemessenen Testparameter. Alle Immunantworten schwankten invers zum Alter was eine Immunseneszenz erkennen lässt. Für Weibchen die sich in der vorherigen Reproduktionssaison vermehrt hatten nahm die Eimasse (und auch die Gelegemasse) mit dem Alter zu. In Bezug zur altersbedingten Immunseneszenz BC wiesen Weibchen, die kleinere Gelege produzierten auch eine zusätzlich erniedrigte BC auf.

Schlussfolgerung
Im Gegensatz zum generell verbreiteten Muster welches niedrigere Immunantworten für Männchen im Gegenzug zu den Weibchen für die Wirbeltierimmunität beschreibt (was möglicherweise auf die immunsuppressive Wirkung von Androgenen zurückzuführen ist) fanden wir in Bezug auf alle drei gemessenen Immunparameter eine höhere Immunität bei den Männchen. Zusätzlich und gegensätzlich zu den früheren Arbeiten bei Zierschildkröten und Rotwangen-Schmuckschildkröten, die keine Immunseneszenz zeigten, fanden wir bei der Gelben Schlammschildkröte sowohl eine altersabhängige Abnahme bei der BC und Lys sowie in Bezug auf die natürlichen Antikörper.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um eine interessante Studie die eine altersbedingte Abnahme der Leistung des Immunsystems zu zeigen scheint. In Bezug auf die Krankheitsanfälligkeit und die Gelegegröße habe ich schon Abnahmen bei sehr alten Weibchen mehrerer Arten zumindest unter Haltungsbedingungen beobachtet. Was mich aber etwas aufhorchen lässt ist die im Vergleich zu den Männchen niedrigere Immunabwehr bei den adulten Weibchen obwohl deren Bakterienabwehr erhalten bleibt! Was mich dabei noch etwas verblüfft hat ist die Annahme, dass Spezies mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung keine von Geschlechtschromosomen abhängen Unterschiede bezüglich der Immunabwehr zeigen sollten, dabei sind es doch gar nicht direkt Chromosomen die die Immunität realisieren, sondern Proteine, Lipide etc. und weisen doch auch bei TSD-Arten geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Insofern könnte auch die schwächere Immunität der Weibchen mit der Jahreszeit einhergehen, da die Messungen ja kurz nach Erwachen aus der Winterruhe und der beginnenden Frühjahrspaarung vorgenommen wurden. Auch bei Säugetieren ist es so, dass zur Zeit der Ovulation die Immunabwehr der Weibchen abgesenkt ist, da damit eine zu starke Abwehrreaktion gegenüber den körperfremden Spermien vermieden werden soll und die Einnistung der befruchteten Eizelle unterstützt werden soll. Insofern könnte die zu dieser Zeit gemessene erniedrigte Immunabwehr bei den adulten Weibchen auch die Aufnahme und Speicherung der körperfremden Spermien dienen. Allerdings ist es bei Schildkröten nicht ganz unbekannt, dass es auch zu einer Ressourcenabwägung zwischen Reproduktion und Immunsystem kommen kann, sodass man gerade bei den adulten Weibchen das Stadium der Eireifung berücksichtigen müsste, da die Weibchen in diesem Stadium mehr Proteinsynthese für Dotterproteine nutzen als für die Immunabwehr. Hier wäre es wohl dringend gebeten, um zu einer abschließenden Beurteilung zu kommen auch einmal Vergleichsmessungen zur Immunabwehrleistung am Ende der Paarungszeit und/oder Reproduktionsperiode durchzuführen oder die Immunabwehrreaktionen der Weibchen mit dem Stadium der Eireifung zu korrelieren. Ob auch K. flavescens durch Genduplikationen die das Altern verlangsamen profitieren wie es von (Glabermann et al., 2021) für Landschildkrötenspezies beschrieben wurde müsste noch untersucht werden, denn aus immunphysiologischer Sicht könnte auch zwischen der Alterung des Immunsystems, DNS-Reparatur und Zelltod eine Beziehung bestehen. Siehe auch Lopez-Perez et al., (2020) und die dort zitierte Literatur sowie Da Silva et al. (2022) und Reinke et al., (2022).

Literatur

da Silva, R., D. A. Conde, A. Baudisch & F. Colchero (2022): Slow and negligible senescence among testudines challenges evolutionary theories of senescence. – Science 376(6600): 1466-1470 oder Abstract-Archiv.

Glabermann, S., S. E. Bulls, J. M. Vazquez, Y. Chiari & V. J. Lynch (2021): Concurrent Evolution of Antiaging Gene Duplications and Cellular Phenotypes in Long-Lived Turtles. – Genome Biology and Evolution 13(12): evab244 oder Abstract-Archiv.

López-Pérez, J. E., P. A. Meylan & J. M. Goessling (2020): Sex-based trade-offs in the innate and acquired immune systems of Sternotherus minor. – Journal of Experimental Zoology Part A: Ecological and Integrative Physiology 333(10): 820–828 oder Abstract-Archiv.

Reinke, B. A., H. Cayuela, F. J. Janzen, J.-F. Lemaître, J.-M. Gaillard, A. M. Lawing, J. B. Iverson, D. G. Christiansen, I. Martínez-Solano, G. Sánchez-Montes, J. Gutiérrez-Rodríguez, F. L. Rose, N. Nelson, S. Keall, A. J. Crivelli, T. Nazirides, A. Grimm-Seyfarth, K. Henle, E. Mori, G. Guiller, R. Homan, A. Olivier, E. Muths, B. R. Hossack, X. Bonnet, D. S. Pilliod, M. Lettink, T. Whitaker, B. R. Schmidt, M. G. Gardner, M. Cheylan, F. Poitevin, A. Golubović, L. Tomović, D. Arsovski, R. A. Griffiths, J. W. Arntzen, J.-P. Baron, J.-F. Le Galliard, T. Tully, L. Luiselli, M. Capula, L. Rugiero, R. McCaffery, L. A. Eby, V. Briggs-Gonzalez, F. Mazzotti, D. Pearson, B. A. Lambert, D. M. Green, N. Jreidini, C. Angelini, G. Pyke, J.-M. Thirion, P. Joly, J.-P. Léna, A. D. Tucker, C. Limpus, P. Priol, A. Besnard, P. Bernard, K. Stanford, R. King, J. Garwood, J. Bosch, F. L. Souza, J. Bertoluci, S. Famelli, K. Grossenbacher, O. Lenzi, K. Matthews, S. Boitaud, D. H. Olson, T. S. Jessop, G. R. Gillespie, J. Clobert, M. Richard, A. Valenzuela-Sánchez, G. M. Fellers, P. M. Kleeman, B. J. Halstead, E. H. Campbell Grant, P. G. Byrne, T. Frétey, B. Le Garff, P. Levionnois, J. C. Maerz, J. Pichenot, K. Olgun, N. Üzüm, A. Avcı, C. Miaud, J. Elmberg, G. P. Brown, R. Shine, N. F. Bendik, L. O'Donnell, C. L. Davis, M. J. Lannoo, R. M. Stiles, R. M. Cox, A. M. Reedy, D. A. Warner, E. Bonnaire, K. Grayson, R. Ramos-Targarona, E. Baskale, D. Muñoz, J. Measey, F. A. de Villiers, W. Selman, V. Ronget, A. M. Bronikowski & D. A. W. Miller (2022): Diverse aging rates in ectothermic tetrapods provide insights for the evolution of aging and longevity. – Science 376(6600): 1459-1466 oder Abstract-Archiv.

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