Poulakakis N., D. L. Edwards, Y. Chiari, R. C. Garrick, M. A. Russello, E. Benavides, G. J. Watkins-Colwell, S. Glaberman, W. Tapia, J. P. Gibbs, L. J. Cayot & A. Caccone (2015): Description of a New Galapagos Giant Tortoise Species (Chelonoidis; Testudines: Testudinidae) from Cerro Fatal on Santa Cruz Island. – PLoS One 10(10): e0138779.
Die Beschreibung einer neuen Galapagosriesenschildkrötenart (Chelonides; Testudines; Testudinidae) vom Cerro Fatal auf der Insel Santa Cruz.
DOI: 10.1371/journal.pone.0138779 ➚
Die Taxonomie der Galapagosriesenschildkröten (Chelonoidis spp.) basiert derzeit primär auf morphologischen Charakteristika und auf der Inselzugehörigkeit (Abstammung). Während des letzten Jahrzehnts ergaben sich aber zunehmend genetische Anhaltspunkte dafür, dass es mehrere evolutionär unabhängige Linien gibt, die es notwendig machten eine neue taxonomische Revision durchzuführen. Auf der Insel Santa Cruz lebt derzeit eine einzige Spezies die als C. porteri beschrieben ist. Neuere genetische und morphologische Studien zeigten aber, dass es innerhalb dieses Taxons zwei räumlich getrennte Evolutionslinien gibt, die den westlichen und östlichen Teil der Insel besiedeln und die als Reserva und Cerro Fatal Populationen bekannt wurden. Die neuen DNS-Analysen von Tieren aus den natürlichen Populationen sowie solche von Museumspräparaten einschließlich des Holotypus für C. porteri bestätigen die Unterschiedlichkeit dieser beiden Linien und untermauern den Befund, dass die Cerro Fatal-Schildkröten den Artstatus zuerkannt bekommen sollten. In dieser Arbeit identifizieren wir die DNS-Charakteristika, die die neue Art definieren und wir zeigen die evolutionären Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen Galapagosschildkröten.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Diese Unterscheidung ist sicherlich gerechtfertigt, denn wie die Autoren anhand der mitochondrialen DNS schon zeigten, stammen beide Gruppen von unterschiedlichen Vorläufern ab, wobei die Reserva-Population die älteste ist und auch von den ältesten Evolutionslinien abstammt und über einen Zeitraum von etwas mehr als 1,7 Millionen Jahre existiert und deutliche Abstammungsbeziehungen zu den Schildkröten der Inseln Isabela, Florena und Pinzon aufweisen. Die östlichen Cerro Fatal Tiere werden etwa auf 430.000 Jahre zurückreichen und sind mit Schildkröten der Inseln San Cristobal, Pinta und Espanola verwandt. Sehr wahrscheinlich handelte es sich dabei um zwei räumlich und zeitlich deutlich getrennte Besiedlungsereignisse. Deshalb diskutieren die Autoren, dass die Cerro Fatal-Schildkröten den Namen Chelonoides donfaustoni bekommen sollen. Diesem Sachverhalt ist auch nichts hinzuzufügen, außer eben der generellen Betrachtung, ob man diese im allgemeinen weitläufig verwandten Schildkröten, die aus der in der Vergangenheit abgelaufenen und immer noch weiterlaufenden Inselradiation hervorgegangen sind, wirklich als verschiedene Arten oder als Unterarten betrachten will. Auch zeigen die Autoren, dass es zwischen beiden angeblichen Arten zu fertilen Hybriden gekommen ist und selbst der im Museum hinterlegte Holotypus für C. porteri ist ein Hybridexemplar. Ich für meinen Teil erkenne sehr wohl die Unterschiede an, denke aber immer noch, dass es nicht wirklich gerechtfertigt ist diese meiner Meinung nach Unterarten als Arten zu beschreiben. Die Gründe für meine Sichtweise habe ich mehrfach kommentiert und dargelegt (siehe dazu Kommentare zu: Abstract-Archiv Themen Genetik & Hybridisierung). Ich weiß wirklich nicht welche Vorteile es haben könnte Tiere mit diesen Fähigkeiten als getrennte Arten anzusehen, denn ich denke, dass wir damit etwas implementieren was der Natur dieser Schildkröten im Hinblick auf ihr globales Langzeitüberleben nicht gerecht wird. Um es nochmal klar für alle zu wiederholen: Ernst Mayr versteht unter getrennten Arten Lebewesen die sich nicht mehr erfolgreich miteinander kreuzen können also wie bei der Kreuzung von Esel und Pferd nur sterile fortpflanzungsunfähige Maultiere entstehen. Unterarten hingegen weisen zwar morphologische und wohl auch physiologische spezifische Eigenheiten auf können sich aber noch gemeinsam fortpflanzen und fertile Nachkommen zeugen also aktiv dazu beitragen, dass ihre Evolutionslinie nicht abreißt. Wenn wir uns also die Langzeitdynamiken auf unserem Planeten Erde mal vor Augen führen, dann haben solche nicht komplett getrennten Evolutionslinien enorme Anpassungs- und Überlebensvorteile weil sie selbst nach Jahrhunderten oder Jahrmillionen der Trennung bei sich verändernden Umweltbedingungen den Genfluss und somit ihr Evolutionspotential enorm steigern können. Eine Fähigkeit die durchaus auch vorteilhaft sein kann um sich sehr schnell an sich katastrophenartig verändernde Umweltbedingungen anpassen zu können. Solche Katastrophen sind aber unser fortlaufendes Schicksal, denn wenn die Kontinentaldrift anhält, dann ist nicht nur das Urland Pangäa einst in die Kontinente zerrissen worden sondern die auf einer Kugeloberfläche treibenden Landmassen werden auch wieder aufeinandertreffen. Das letzteres nicht ohne Probleme von statten gehen wird zeigen uns heute schon die regelmäßig auftretenden Erdbeben.
Aber abgesehen von diesen unausweichlichen Naturgegebenheiten finde ich es auch aus rein menschlicher Sichtweise etwas sehr verblüffend und widersprüchlich wenn eine weltweit sehr erfolgreiche Hybridspezies wie der Mensch (Siehe Neandertaler und Homo sapiens etc.) einer anderen Hybridart wohlweislich das Evolutionspotential absprechen will, zumal wir selbst den Fossilrekord der Chelonia noch nicht gebrochen haben. Wenn sie sich die Kopfportrait-spezifischen Artunterschiede der neu beschriebenen Malayemys-Spezies (Ihlow et al. 2016) anschauen und sich im Internet einmal die Kopfportraits von Massai‘s, Mongolen und Westeuropäern nebeneinanderstellen, dann werden sie sehr leicht erkennen welche Bedeutung dem weltweiten Genfluss dabei zugeschrieben werden sollte.
Auch als Zoologen und Naturschützer sollten wir die belebte Materie dieses Planeten nicht rassistischer beschreiben als sie in Wirklichkeit ist und sollten langsam die Betrachtung von mendelscher Genetik und Umweltanpassung als offenes interagierendes System begreifen (siehe dazu auch Radick (2016).
Literatur
Ihlow, F., M. Vamberger, M. Flecks, T. Hartmann, M. Cota, S. makchai, P. Meewattana, J. E. Dawson, L. Kheng, D. Rödder & U. Fritz (2016): Integrative taxonomy of southeast Asian snail-eating turtles (Geoemydidae: Malayemys) reveals a new species and mitochondrial introgression. – PLoS One 11(4): e0153108 oder Abstract-Archiv.
Radick, G. (2016): Teach students the biology of their time. – Nature 533: 293.