Myers, E. M., F. J. Janzen, D. C. Adams & J. K. Tucker (2005): Quantitative genetics of plastron shape in slider turtles (Trachemys scripta). – Evolution 60(3): 563-572.
Quantitative Genetik der Plastronform bei Schmuckschildkröten (Trachemys scripta).
DOI: 10.1554/05-633.1 ➚
Formvariationen sind in der Natur weit verbreitet, und sie sind sowohl Ausdruck einer Reaktion (auf die Umwelt) als auch ein Ausgangspunkt für Evolution und natürliche Selektion. Um nun die Muster der Evolution der Formgebung zu analysieren, muss man sowohl die Quantität der zugrunde liegenden genetischen Faktoren (ererbte Bandbreite der Variabilität) der Form erfassen, als auch jene, die durch eine bestimmte Umwelt bedingt werden, die auf einen individuellen Organismus einwirkt (Biotopanpassung). Hier benutzten wir geometrische Verfahren der Morphometrie, um die Variationen in der Plastronform bei 1314 neonatalen Schmuckschildkröten (Trachemys scripta) zu erfassen, die aus 162 Gelegen und aus zwei geographisch unterschiedlichen Nistregionen stammten und die im Labor inkubiert worden waren. Die Multivarianzanalyse der Varianz zeigte, dass die Nistregion nur einen begrenzten Einfluss auf die Variabilität der Plastronform zwischen den Gelegen hat, wohingegen die Unterschiede zwischen den individuellen Gelegen signifikant waren und einen sehr ausgeprägten Gelegefaktor vermuten ließen. Eine mögliche Kovariation zwischen Plastronform und möglichen maternalen (mütterlichen) Effektorvariablen (Dotterhormongehalt, Eidimensionen etc.) wurde an einer bestimmten Anzahl von Gelegen untersucht und als vernachlässigbar befunden. Wir testeten ebenso mehrere erst kürzlich vorgeschlagene Methoden zur Erfassung erblicher Formvarbiablen und generalisierten einen univariaten Ansatz zur Analyse ungleich großer Stichproben. Die univariaten Abschätzungen zur Ererbarkeit der Form basierte auf den „Procrustes Distanzen“ (Verfahren zur Abschätzung geometrischer Formen: PD[h] = 0, wenn sich zwei Formen nicht von einander unterscheiden) und ergaben hohe Werte in Bezug auf die Nistpopulation (h[2] ungefähr 0,86), und für die multivariaten Abschätzungen für die maximale additive Vererbbarkeit für beide Nistpopulationen (h[max][2] ungefähr 0,57). Wir analysierten auch, ob es einen bevorzugten Trend in Bezug auf die Evolution der Plastronform innerhalb der einzelnen Nistpopulationen gab, und fanden für jede der beiden Populationen einen eigenen erblichen Trend, der bei beiden Populationen in unterschiedliche Richtung verlief. Obwohl die Größe für die evolutiven Veränderungen bei beiden Populationen gleich waren, gab es Unterschiede in Bezug auf die Art und Weise mit der die Veränderungen evolvierten. Wir schließen daraus, dass der univariate Ansatz zur quantitativen Erfassung geometrisch-morphometrischer Veränderungen nur eine begrenzte, unzureichende Möglichkeit zur Abschätzung bietet, da es unmöglich ist, damit zu beschreiben, wie sich die Form evolutiv entwickelt.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Eine interessante Studie, die zeigt, dass sich schon subtile Unterschiede für ein- und dieselbe Art für unterschiedliche Nistpopulationen und sogar Gelege ergeben. Dies könnte auch bedeuten, das morphometrische Verfahren zur Geschlechtsbestimmung von Schlüpflingen nur innerhalb einer Population oder sogar nur beim Vergleich von Geschwistertieren zu aussagekräftigen, zuverlässigen Daten führen. Zudem zeigt uns der große Einfluss der Vererbung auf die Form innerhalb der jeweiligen Populationen, wie subtil die Evolution arbeitet, die ja durchaus irgendwann zu unterschiedlichen Arten führen kann.