Çilingir - 2017 - 01

Çilingir, F. G., F. E. Rheindt, K. M. Garg, K. Platt, S. G. Platt & D. P. Bickford (2017): Conservation genomics of the endangered Burmese roofed turtle. – Conservation Biology 31(6): 1469-1476.

Die Erhaltungsgenetik für die hochgradig gefährdete Burmesische-Dachschildkröte.

DOI: 10.1111/cobi.12921 ➚

Die Burmesische-Dachschildkröte (Batagur trivittata) zählt zu den bedrohtesten Schildkröten der Welt. In Myanmar gibt es nur noch eine wild lebende Population. Anhand von Freilandbeobachtungen schätzt man die Anzahl der sich noch wild fortpflanzenden Exemplare auf ungefähr 12. Kombinierte in-situ und ex-situ Erhaltungsmaßnahmen für diese Spezies erbrachten zur Zeit etwas mehr als 700 Gefangenschaftsnachzuchten, die sich während des letzten Jahrzehnts ansammelten und die überwiegend aus Gelegen die wild abgelegt und dann eingesammelt worden waren stammten. In einer der umfassensten Studien die sowohl moderne genomische Methoden wie auch aktive in-situ und ex-situ Erhaltungsmaßnahmen kombinierte wurden ca. 1.500 nicht verbundene Genom-weite Einzelnukleotidpolymorphismen (SNPs) die von etwa 40 % der verbliebenen globalen Gesamtschildkrötenpopulation stammten analysiert. Wir fanden dabei, dass die Individuen fünf distinkte genetische Cluster bildeten, wovon vier volle Verwandtschaftsfamilien umfassen. Wir ermittelten eine niedrige effektive Populationsgröße von etwa 10 (≤10). Allerdings fanden wir noch keine schwerwiegenden Anzeichen für Inzucht, was wahrscheinlich dadurch bedingt ist, dass der derzeitige genetische Flaschenhals erst kürzlich erfolgte. Basierend auf den Daten zur genetischen Verschiedenheit (Diversität) formten wir zwei Gruppen zu je 30 Nachzuchttieren, die wir auswilderten, was auch gleich zu einer Steigerung beim Nachwuchs in der wildlebenden Population führte. Weitere 25 Individuen, die nach den gleichen genetischen Kriterien zusammengestellt worden waren, wurden in den Zoo von Singapur verbracht und werden dort als Sicherheitspopulation gehalten. Unsere Studie zeigt, dass „anwendungsbezogene Forschung“ im Erhaltungsmanagement durch eine erfolgreiche Vernetzung von akademischer Zusammenarbeit mit rigoroser Anwendungsumsetzung der zuverlässigen genetischen Methoden erreicht werden kann.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Erhaltungsansatz für die Burmesische Dachschildkröte. Die Autoren beschreiben ausführlich die Gründe für die Populationszusammenbrüche, nicht nur durch die Bejagung und das Absammeln dieser Flussschildkröten, sondern dass sie letztendlich den Staudammprojekten zur Energiegewinnung zum Opfer wurden, da ihre Niststrände verloren gingen, sodass nur eine kleine Reliktpopulation im oberen Chindwinfluss übrig blieb. Die Arbeit verweist auch sehr schön auf die Probleme, die sich für die Erhaltung in der Praxis ergeben, denn zum einen war der Niedergang der zweiten bekannten Population im Dokthawady-Flusssystem nicht mehr zu retten, so dass aus dieser nur noch zwei von Fischern erworbene Exemplare im Gefangenschaftsnachzuchtprogramm genutzt werden konnten. Zum anderen zeigte sich, dass die Schlupfraten bei der verbliebenen wild lebenden Population während der letzten Jahre drastisch abnahmen, was wahrscheinlich aufgrund der überalterten verbliebenen Männchen zustande kam. Dieser Befruchtungs- und Nachzuchterfolg ließ sich auch als eines der sofort sichtbar geworden Anzeichen für die Auswilderungs- bzw. Wiederansiedlungsmaßnahmen als Erfolg erkennen, da die jungen ausgewilderten Männchen eben für wieder ansteigende Schlupfraten bei allen frei lebenden, ablegenden Weibchen sorgten. Dennoch verweisen auch hier die Autoren darauf, dass die niedrigen Anzeichen für Inzucht nur von kurzer Dauer sein werden und dass zunehmend bei dieser kleinen Ausgangspopulation mit Inzucht zu rechnen ist. Insofern dürfte die Langzeitüberwachung dieser noch wild lebenden aufgestockten Population durchaus zukünftig auch gute Daten zur natürlichen genetischen Bereinigung (Caballero et al. 2017, und Kommentar zu Rogers & Slatkin 2017) liefern, zumindest dann wenn man die abgelegten Nester auch unter natürlichen Bedingungen schlüpfen lässt und nicht dazu übergeht alle Schlüpflinge in Headstart-Programmen unter menschlicher Obhut und Versorgung aufzuziehen. Inwieweit diese Maßnahmen letztendlich das Überleben der Evolutionslinie von Batagur trivittata sichern kann, bleibt wohl dennoch fraglich und dürfte nicht zuletzt auch weit mehr von den politischen Entscheidungen innerhalb Myanmars abhängen als von den gut gemeinten und gemanagten Erhaltungsmaßnahmen der beteiligten Wissenschaftler. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei aber um gemanagte Natur wie sie schon von Hennessy (2013, 2015; Anonymus 2016) beschrieben und zur Diskussion gestellt wird. Siehe auch Bidmon (2017).

Literatur

Anonymus (2016): Moving an endangered tortoise (Perth, Australia). – Science 353(6300): 628-629 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Caballero, A., I. Bravo & J. Wang (2017): Inbreeding load and purging: implications for the short-term survival and the conservation management of small Populations. – Heredity 118(2): 177-185 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2013): Producing ‘prehistoric’ life: Conservation breeding and the remaking of wildlife genealogies. – Geoforum 49: 71-80 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.

Rogers, R. L. & M. Slatkin (2017): Excess of genomic defects in a woolly mammoth on Wrangel island. – PLOS Genetics 13(3): e1006601 oder Abstract-Archiv.