Aldabra-Riesenschildkröte, Aldabrachelys gigantea, – © Thorsten Geier

Turnbull - 2015 - 01

Turnbull, L. A., A. Ozgul, W. Accouche, R. Baxter, L. ChongSeng, J. C. Currie, N. Doak, D. M. Hansen, P. Pistorius, H. Richards, J. van de Crommenacker, R. von Brandis, F. Fleischer-Dogley & N. Bunbury (2015): Persistence of distinctive morphotypes in the native range of the CITES-listed Aldabra giant tortoise. – Ecology and Evolution 5(23): 5499-5508.

Die Persistenz von distinkten Morphotypen innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets bei einer bei CITES gelisteten Aldabrariesenschildkröte.

DOI: 10.1002/ece3.1764 ➚

Aldabra-Riesenschildkröte, Aldabrachelys gigantea, – © Hans-Jürgen Bidmon
Aldabra-Riesenschildkröte,
Aldabrachelys gigantea,
© Hans-Jürgen Bidmon

Das Verständnis der vorhandenen morphologischen Variationsbreite bei der wildlebenden Population der Aldabrariesenschildkröten ist wesentlich für deren Arterhaltung, da die morphologischen Unterschiede bei in Gefangenschaft gehaltenen Populationen oft dahingehend interpretiert werden, dass es sich dabei um enthaltene genetische Varianten von ausgestorbenen Evolutionslinien handelt. Wenn letzteres stimmen sollte, könnte das Einfluss auf zukünftige Wiederansiedlungsprogramme innerhalb der Region haben. Die derzeitige Population von Riesenschildkröten auf dem Aldabra-Atoll ist unterteilt und lebt verteilt auf mehreren Inseln. Obwohl schon eine auffällige morphologische Variationsbreite während der 1960iger Jahre beschrieben wurde, dachte man, dass es sich dabei um ein temporäres Phänomen handelte. Frühere Wissenschaftler waren zudem besorgt um den Erhalt der Population, da man davon ausging, dass sie das Kapazitätsmaximum ihres Lebensraums überschritten hatte. Wir analysierten monatlich durchgeführte Erhebungsdaten aus 12 Transsekten der letzten 15 Jahre (von 1998-2012) während die Tiere aus vier verschiedenen Subpopulationen gezählt, vermessen und das Geschlecht bestimmt wurden. Zudem analysierten wir die Überlebensdaten von Individuen, die erstmal während der 1970er Jahre markiert worden waren. Daraus ergab sich, dass die Population stabil ist und es keine signifikanten Anzeichen für einen Populationsrückgang gibt. Allerdings unterscheiden sich die Unterpopulationen bezüglich der Populationsdichte, aber diese Unterschiede stehen meist in Bezug zu den ebenfalls vorhandenen Unterschieden bei den vorherrschenden Vegetationstypen. Zudem unterscheiden sich die Unterpopulationen deutlich sowohl in der Körpergröße der Tiere wie auch in Bezug zum Geschlechtsdimorphismus. Vergleiche mit historischen Datensammlungen zeigen jedoch, dass diese phänotypischen Unterschiede zwischen den Unterpopulationen der Aldabrariesenschildkröte während der letzten 50 Jahre beschrieben wurden und es keine Anzeichen für eine Abnahme bei diesen Unterschieden gibt. Wir schließen daraus, dass die Riesenschildkrötenpopulation auf Aldabra unterschiedlichen ökologischen Bedingungen mit spezifischen Selektionsdrücken unterliegt, die dazu führen, dass sich bestimmte stabile Morphotypen innerhalb der getrennten Unterpopulationen ausprägen. Wir vermuten aufgrund dieser Befunde zum Einen, dass das Auftreten morphologischer Unterschiede zwischen in Gefangenschaft gehalten Exemplaren allein nicht ausreicht um überzeugende Argumente dafür zu liefern, dass es sich dabei um den Einfluss von Genen ausgestorbener Arten handelt und zum Zweiten zeigt sich, dass Aldabra ein wichtiges Beispiel dafür liefert, wie das durchgeführte in situ Erhaltungsmanagement zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn über Populationsentwicklungen führt, die es den Schildkröten wahrscheinlich ermöglichen sich besser den sich verändernden ökologischen Bedingungen anzupassen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um ein gutes Beispiel wie man nicht gleich jede Phänotypveränderung mit einer neu zu beschreibenden Art gleichsetzt. Obwohl natürlich langfristig auch ökologische Einnischung und Abgrenzung zur Artenbildung beiträgt. Letzteres ist aber ein langer Weg und gerade bei Spezies, die sich die Potenz zur angeblichen Hybridisierung aufrecht erhalten haben, schwierig zu erfassen, da diese Unterpopulationen zwar getrennt leben aber es eben nicht ausgeschlossen ist, dass sich über transozeanische Verdriftung die Kontakte zwischen den Inselpopulationen mehr oder weniger intensiv aufrecht erhalten. Im Grunde genommen ein schönes Beispiel wie Lebensräume ihre Bewohner „adaptiv“ prägen, obwohl es sich dabei um nur eine Art handelt (siehe auch Sanchez et al. 2015). Etwas, das wir ja auch bei unserer eigenen Art Homo sapiens recht gut nachvollziehen können, denn auch uns hat die Umwelt geprägt und es fällt uns nicht schwer die Unterschiede zwischen den afrikanischen Massai und den benachbart lebenden Pygmäenstämmen zu erkennen, ebenso wie wir klare Unterschiede zwischen Indern, Chinesen, Südeuropäern und Nordeuropäern deutlich feststellen können. Sicherlich kommt es auch dabei zu Anpassungen auf den verschiedensten Ebenen, die nicht nur morphologische sondern auch physiologische und genetische nach sich ziehen. Die entscheidende Frage ist doch nur wie wir diese interpretieren? Und noch wichtiger wohl die Frage welcher dieser Interpretationsmöglichkeiten uns in Bezug auf die Erhaltung von solchen Lebensformen im Zeitalter des Anthropozäns wirklich weiterhilft? Wenn ich mir diesbezüglich z. B. die Kopfporträts der erst jüngst in drei Arten aufgespaltenen malaiischen Sumpfschildkröte (Ihlow et al. 2016) anschaue und diesen drei Porträts die Gesichtsporträts eines Schwarzafrikaners, eines Chinesen und eines Nordeuropäers gegenüberstelle, könnte man mir noch so viel über Prozentzahlen für genetische Unterschiede erzählen, ich würde es nicht glauben solange die Autoren nicht auch klar zeigen, dass sich die postulierten neuen Arten nicht erfolgreich miteinander fertil fortpflanzen können. Denn auch der zeitliche Rahmen von globalen Populationsdynamiken ist ja nichts statisch Festgelegtes (denn das was wir gewöhnlich unter „Langzeit“ verstehen kann sehr variabel sein) global gesehen sind da zum Teil Jahrtausende und mehr relativ kurze Zeiträume (siehe Caballero et al. 2017). Wir sollten in Bezug auf manche Lebensformen wirklich fragen, ob wir da nicht Phänotyperhaltung mit Arterhaltung verwechseln? Siehe auch Kommentar zu Renner (2016).

Literatur

Caballero, A., I. Bravo & J. Wang (2017): Inbreeding load and purging: implications for the short-term survival and the conservation management of small Populations. – Heredity 118(2): 177-185 oder Abstract-Archiv.

Ihlow, F., M. Vamberger, M. Flecks, T. Hartmann, M. Cota, S. makchai, P. Meewattana, J. E. Dawson, L. Kheng, D. Rödder & U. Fritz (2016): Integrative taxonomy of southeast Asian snail-eating turtles (Geoemydidae: Malayemys) reveals a new species and mitochondrial introgression. – PLoS One 11(4): e0153108 oder Abstract-Archiv.

Renner, S. S. (2016): A Return to Linnaeus's Focus on Diagnosis, Not Description: The Use of DNA Characters in the Formal Naming of Species. – Systematic Biology 65(6): 1085-1095 oder Abstract-Archiv.

Sanchez, J., L. Alcalde & A. D. Bolzan (2015): First evidence of chromosomal variation within Chelonoidis chilensis (Testudines: Testudinidae). – Herpetological Journal 25(2): 83-89 oder Abstract-Archiv.

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