Carolina-Dosenschildkröte, Terrapene carolina, – © Hans-Jürgen Bidmon

Roe - 2023 - 01

Roe, J. H., M. S. Chavez & A. E. Hudson (2023): Ecological and Fitness Correlates of Personality in a Long-lived Terrestrial Turtle. – Herpetologica 79(1): 9-21.

Ökologische und Fitnesskorrelate von Personalität bei einer langlebigen Landschildkröte.

DOI: 10.1655/Herpetologica-D-22-00018➚

Carolina-Dosenschildkröte, Terrapene carolina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Carolina-Dosenschildkröte,
Terrapene carolina,
© Hans-Jürgen Bidmon

Eine individuelle Verhaltensbevorzugung (wie z. B. Persönlichkeit oder Temperament) können die Interaktionen mit der Umwelt beeinflussen und können somit wichtige ökologische und evolutionsassoziierte Konsequenzen für tierische Populationen haben. Mut definiert also die Tendenz eines Individuums sich risikoreichen Aktivitäten auszusetzen und ist eine phänotypische Variable, die in Beziehung zu zahlreichen verhaltens- und fitnessbezogenen Abläufen bei freilebenden Tieren steht. Wir untersuchten die Unterschiede und die Wiederholbarkeit des Einsatzes von mutigem Verhalten bei zwei wildlebenden Populationen der östlichen Dosenschildkröte (Terrapene carolina carolina) mit der Radiotelemetrie und wir erfassten dabei fitnessbezogene Korrelate für Mut über mehrere Jahre. Wir beobachteten eine Vielzahl an Unterschieden zwischen den Individuen und in Bezug auf die individuelle Verhaltenskonsistenz (Wiederholbarkeit) von mutigem Verhalten, gemessen in Bezug auf die Zeitperiode, bis sie ihre Köpfe wieder aus dem Panzer streckten nach einem standardisierten Beschränkungsassay (Aufgreifen). Die einzelnen Individuen zeigten ebenso mehrere konsistente Verhaltensweisen im freien Feld wie z. B. die Bewegungsrate, die Home Range Größe und auch in Bezug auf das Datum zudem sie ihre Winterruhe beendeten. Die Schildkrötenindividuen mit den kürzesten Zeitperioden zu denen sie den Kopf eingezogen behielten (mutigere Schildkröten) zeigten eine größere Home Range und sie kamen früher aus der Winterruhe hervor und sie zeigten eine leicht erniedrigte Überlebensrate im Vergleich mit den scheueren Individuen. Mut hatte aber keinen Einfluss auf die Zeitfenster, zu denen sie sich innerhalb ihres bevorzugten Temperaturbereichs aufhielten oder deren Wachstumsraten oder die Häufigkeit, mit der sie sich paarten oder mit der sie sich mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen aggressiv auseinandersetzten. Mutiges Verhalten und dessen Auswirkungen auf die Verhaltensweisen im Freiland unterschieden sich sowohl zwischen den Geschlechtern, wie auch zwischen den beiden Populationen und zudem erwies sich die Beziehung, die zwischen Mut und Überlebensrate bestand, als zeitweise variabel. Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass es bei T. c. carolina intrinsische Verhaltenstypen gibt und sie betonen die Wichtigkeit von Langzeit-Multipopulationsstudien, wenn es darum geht ökologische Prozesse und Evolutionsprozesse zu untersuchen die die Phänotypen in Bezug auf die Persönlichkeit von Schildkröten prägen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun diese Studie verweist einmal mehr auf die individuellen Verhaltensunterschiede bei Tieren und hier bei Schildkröten. Welche Faktoren dabei vielleicht von Geburt an die individuelle Persönlichkeit prägen sind dabei wohl weit schwerer zu erfassen und zu klären als die Unterschiede, die man diesbezüglich zwischen unterschiedlichen Populationen beobachten kann, da unterschiedliche Populationen sich ja auch oft mit unterschiedlichen Umweltbedingungen auseinandersetzten müssen. Siehe dazu auch Golubovic et al. (2014) sowie Roth & Krochmal, (2015) und Ibanez et al (2018), denn dann kommt Habitatanpassung und Selektion ins Spiel, wobei meist die Individuen die niedrigste Überlebensrate aufweisen, die aufgrund mangelnder Umweltanpassung ausselektioniert werden. Das dabei auch die Beziehung zwischen Mut (Draufgängertum, Risikobereitschaft) und Überlebensfähigkeit temporär unterschiedlich ausfallen kann ist einleuchtend, denn die Umweltbedingungen können sich sowohl räumlich wie zeitlich verändern und andere Verhaltensweisen erfordern. Selbst wir Menschen kennen solche Situationen und erleben sie hautnah gerade wieder in Bezug auf einen Extremfall in Europa, denn zu Friedenszeiten waren auch in der Ukraine meist andere individuelle Verhaltensweisen gefragt als wir sie jetzt zu Kriegszeiten erleben. Wenn sie weniger extreme Beispiele haben wollen, dann geht das auch, denn eine raue, trockene Oberfläche lässt sich meist problemloser überqueren als eine gerade nassgeregnete glitschige Oberfläche und auch diese Aufgabe kann je nach persönlichem Alter schon für jedes Individuum risikoreicher und gefahrvoller sein. Allein diese beiden Beispiele liefern schon gute Einsichten in Bezug auf das, was mit der zweiten Hälfte des vorletzten Satzes in diesem Abstract zum Ausdruck gebracht werden soll. Es verhält sich halt auf allen Entwicklungsstufen belebter Materie immer so wie im wahren Leben.

Literatur

Golubović, A., M. Andjelkovic, D. Arsovski, A. Vujovic, V. Ikovic, S. Djordjevic & L. Tomovic (2014): Skills or strength-how tortoises cope with dense vegetation? – Acta Ethologica 17(3): 141-147 oder Abstract-Archiv.

Ibáñez, A., J. Martín, A. Gazzola & D. Pellitteri-Rosa (2018): Freshwater turtles reveal personality traits in their antipredatory behaviour. – Behavioural Processes 157: 142-147 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2015): The Role of Age-Specific Learning and Experience for Turtles Navigating a Changing Landscape. – Current Biology 25(3): 333-337 oder Abstract-Archiv.

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