Zierschildkröte, Chrysemys picta, im Gartenteich – © Hans-Jürgen Bidmon

Warner - 2020 - 01

Warner, D. A., T. S. Mitchell, B. L. Bodensteiner & F. J. Janzen (2020): Sex and Incubation Temperature Independently Affect Embryonic Development and Offspring Size in a Turtle with Temperature-Dependent Sex Determination. – Physiological and Biochemical Zoology 93(1): 62-74.

Bei einer Schildkröte mit temperaturabhängiger Geschlechtsausprägung beeinflussen das Geschlecht und die Inkubationstemperatur die Embryonalentwicklung und die Größe der Nachkommen unabhängig voneinander.

DOI: 10.1086/706786 ➚

Zierschildkröte, Chrysemys picta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Zierschildkröte, Chrysemys picta,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Die Umweltbedingungen unter denen die Entwicklung stattfindet können langanhaltende Auswirkungen auf den Phänotyp von Individuen haben. Zum Beispiel prägt bei vielen Reptilien die Inkubationstemperatur der Eier dauerhaft das Geschlecht der Nachkommen (Temperatur-abhängige Geschlechtsfestlegung, TSD) ebenso wie sie einen Einfluss auf morphologische, physiologische und Verhaltensparameter mitbeeinflusst. Demzufolge sind die Beiträge die sowohl Geschlecht wie auch Inkubationstemperatur zur phänotypischen Variationsbreite leisten schwierig zu identifizieren, denn beide Faktoren werden durch TSD überlagert. Wir nutzten hier chemische Modulationsexperimente um experimentell die Wirkung der Gonaden (Geschlecht) und die Wirkung der Temperatur bei einer Schildkröte mit TSD (Chrysemys picta) zu entkoppeln, um damit deren relativen und interaktiven Beitrag zu Unterschieden bei der Inkubationsdauer und der Schlüpflingsgröße zu ermitteln. Wir zeigen, dass eine warme Inkubationstemperatur wie erwartet die Embryoentwicklung beschleunigt und dass exogen zu den Eiern zugegebenes Östradiol die Inkubationsdauer bei allen getesteten Inkubationstemperaturen zusätzlich verkürzt. Allerdings führte exogen zu geführtes Östradiol unerwarteter Weise zur Entwicklung von Männchen die zudem viel früher als die weiblichen Schlüpflinge schlüpften. Die Unterschiede in Bezug auf die Schlüpflingsgröße wurden ebenfalls durch die Inkubationstemperatur und das Geschlecht beeinflusst, aber die Interaktionen zwischen diesen beiden Parametern waren relativ klein oder nicht signifikant. Die Konsequenzen auf die Fitness der Schlüpflinge bleibt bislang unbekannt, aber wir liefern dazu vorläufige Ergebnisse von unseren Versuchen zur Untersuchung der Langzeit- und den geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Inkubationstemperatur. Manipulative experimentelle Forschungsansätze in Kombination mit Langzeitexperimenten zur Überwachung von Individuen über deren Reproduktionsphase könnten neue Erkenntnisse darüber liefern welche adaptive Signifikanz die Entwicklungsplastizität bei langlebigen Organismen hat.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun eine durchaus interessante Arbeit die gleich zum Jahresbeginn 2020 ein Ergebnis lieferte, dass wenn es zu keinen experimentellen Fehlern kam allem widerspricht was dazu bislang publiziert wurde – Nämlich, dass in die Eier injiziertes Östradiol dazu führt, dass sich Männchen entwickeln! Letzteres wirft Fragen auf? Die sich insbesondere auf den Zeitpunkt der Östradiolgabe in Bezug zur Geschlechtsentwicklungsinduktion beziehen. Hier gibt es dann noch klaren Forschungsbedarf, denn diese Wissenslücke wurde auch durch die vorhergehenden Studien nicht vollständig geklärt. Das mehr Östradiol zur Entwicklung von Männchen führt ist nicht so verwunderlich, denn bei Säugetierembryonen beginnen die embryonalen Hoden der Männchen viel früher mit der Testosternproduktion als die Ovarien der weiblichen Embryonen mit ihrer Östradiolproduktion. Da das meiste Testosteron der frühen männlichen Embryonen durch das Enzym Aromatase zu Östradiol umgewandelt wird entwickeln sich männliche Embryonen unter einem höheren Östradiolspiegel als ihre weiblichen Geschwister, denn sie haben ihr eigenes Östradiol und das aus dem Östradiolblutspiegel der Mutter während ihre Schwestern sich anfänglich nur unter dem Einfluss des mütterlichen Östradiolspiegels entwickeln. Somit dürfte der Schlüssel für die in dieser Arbeit festgestellte unerwartete Wirkung des Östradiols darauf beruhen, dass die Östradiolzufuhr zu einem „entwicklungsphysiologisch“ sehr frühen Entwicklungszeitpunkt erfolgte. Diese Fragen müssten aber Nachfolge Experimente abklären. Bei Interpretation der phänotypischen Variationsbreite habe ich eigentlich keine großen Verständnisschwierigkeiten und würde auch gar nicht so viel spekulieren, denn was die Morphologie anbelangt sollte eigentlich klar sein, dass Weibchen zumindest eine größere Adultgröße als Männchen erreichen. Auch die physiologischen phänotypischen Unterschiede sollten klar sein, denn es gibt zwangsläufig biochemische und physiologische, phänotypische Unterschiede zwischen den Geschlechtern die mit Spermaproduktion und Eiproduktion einhergehen. Das Einzige was man wahrscheinlich nicht klar beantworten kann und erst bei den adult geworden „Schlüpflingen“ testen könnte ist deren geschlechtsspezifisches Verhalten oder ob sich manche Schlüpflinge sogar zu Zwittern entwickelt haben könnten. Es könnte durchaus sein, dass sich einige der Männchen die sich unter dem Einfluss von exogen zugegeben Östradiol entwickelten eher weiblich als männlich verhalten, denn wie sich diese hormonellen Manipulationen unabhängig von deren Beeinflussung der Geschlechtsorgane auf die Gehirnentwicklung und Verschaltung auswirken ist wohl bislang für kein Reptil untersucht worden. Trotz dieser mehr endokrinologischen Betrachtungsweise kann es aber hier auch eine andere Erklärung geben, denn die Eier wurden ja manipuliert und bei dieser Handhabung und den durchgeführten Injektionen könnte es auch zu Temperaturabsenkungen gekommen sein die obwohl nur kurz doch zur Einleitung der männlichen Entwicklung beigetragen haben könnten (siehe Breitenbach et al., 2020). Wie schwer es ist genau die Temperaturen und deren Veränderungen zu messen dazu siehe Tezak et al., (2018).

Literatur

Breitenbach, A. T., A. W. Carter, R. T. Paitz & R. M. Bowden (2020): Using naturalistic incubation temperatures to demonstrate how variation in the timing and continuity of heat wave exposure influences phenotype. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 287(1932): 20200992 oder Abstract-Archiv.

Tezak, B. M., I. Sifuentes-Romero & J. Wyneken (2018): A new approach for measuring temperature inside turtle eggs. – Journal of Experimental Biology 221(20): jeb188698 oder Abstract-Archiv.

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