Euphrat-Weichschildkröte, Rafetus euphraticus, aus der Türkei– © Yusuf Bayrakci

Ginal - 2023 - 01

Ginal, P., J. Stahlberg, A. Rauhaus, P. Wagner, D. Rödder & T. Ziegler (2023): Threatened turtles and tortoises (Testudines) in zoos: A ZIMS database analysis for improved One Plan Approach to Conservation actions. – Salamandra 59(3): 262-274.

Gefährdete Wasser- und Landschildkröten (Testudines) in Zoos: Eine ZIMS-Datenanalyse für einen gemeinsamen „Ein-Plan-Ansatz“ für Erhaltungsmaßnahmen.

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Euphrat-Weichschildkröte, Rafetus euphraticus, – © Yusuf Bayrakci
Euphrat-Weichschildkröte,
Rafetus euphraticus,
© Yusuf Bayrakci

Wasser- und Landschildkröten gehören zu den am stärksten bedrohten Wirbeltieren der Welt, wobei mehr als die Hälfte der derzeit 352 anerkannten Arten als gefährdet gelten. Um die Ziele des IUNC CPSGs-Ein-Plan-Ansatz für Arterhaltung umzusetzen, analysieren wir hier die verfügbaren Informationen aus dem Zoologischen-Informationsmanagementsystem (ZIMS) um einen Überblick zu geben, welche Spezies derzeit in Zoos gehalten werden. Insgesamt 252 Spezies (71,6 %) befinden sich derzeit in Institutionen, die bei ZIMS beteiligt sind, wovon 138 dieser Spezies als gefährdet gelistet sind (76,7 % aller gefährdeten Schildkröten). Zusätzliche 26 (15 gefährdet) Arten sind in der Datensammlung der Zootierliste (Zoo Animal List) aufgeführt. Zoos halten 152 (84,4 %) von 180 gefährdeten und 110 von 150 nicht gefährdeten Arten und sie zeigen eine Präferenz für die Haltung gefährdeter Arten. Mit Blick auf die gefährdeten Schildkrötenarten sind 9 Arten mit mehr als 500 Individuen in den Sammlungen von Zoos vertreten, wohingegen 25 Arten nur als Einzelindividuen oder in Gruppen mit nur einem Geschlecht gehalten werden. Mehr als die Hälfte der gehaltenen Spezies befinden sich in ein bis zehn Zoos. Die meisten Arten werden in Nordamerika, Europa und Asien gehalten, wo auch die meisten Institutionen die ZIMS angehören, beheimatet sind. Insgesamt werden 92 (59 davon gefährdete) Spezies (37,1 % aller in Zoos gehaltenen Arten) erfolgreich in 140 Zoos während der letzten 12 Monate nachgezogen (15,8 % von 888 ZIMS-Institutionen halten Schildkröten). Es existiert also schon eine Tendenz dazu, insbesondere gefährdete Spezies nachzuzüchten. Dennoch können Zoos ihre Erhaltungszuchtnetzwerke optimieren und weitere Erhaltungszuchtprogramme zum Aufbau von Reservepopulationen realisieren, was einer angestrebten Erfüllung des IUCN’s-Ein-Plan Ansatzes zur Arterhaltung schon sehr nahekommt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Sicherlich eine gute Initiative, um möglichst gezielt Zuchtgruppen auch auf internationalem Niveau zusammenzustellen, um so möglichst die genetische Diversität hochzuhalten und um langfristig überlebensfähige Metapopulationen aufbauen zu können. Allerdings bleibt wohl immer die Frage bestehen, wie sich solche Zuchtgruppen langfristig sowohl in Bezug auf ihr natürliches Verhalten als auch in Bezug auf ihre Physiologie an die artifiziellen Haltungsbedingungen anpassen und auch verändern. Zumindest, wenn solche Individuen wieder ausgewildert werden sollen, muss man solche Fragestellungen im Blick behalten, denn wir haben ja damit die natürliche Selektion, die einen wesentlichen Einfluss auf die Evolution und Umweltanpassung der wildlebenden Populationen hat oder hatte, meist völlig eliminiert (siehe z. B. Bidmon, 2019 und die dortige Literatur). Wenn es um die reine Erhaltung von solchen Metapopulationen geht, dann wird es wahrscheinlich während dieses Jahrhunderts noch wichtiger die einzelnen Zuchtgruppen weltweit verteilt zu etablieren, denn Umweltkatastrophen können auch Zoos betreffen und davon soll es ja in Zukunft im Zuge des Klimawandels weit mehr geben als wir uns das heute vorstellen. Ob manche der so erhalten Arten, dann jemals wieder erfolgreich ausgewildert werden können, bleibt auch zumindest, wenn man längerfristig denkt, fraglich? Denn für viele könnten die Prognosen (siehe z. B. Murali et al., 2023) auch bedeuten, dass man gar keine geeigneten natürlichen Lebensräume mehr vorfindet. Siehe dazu auch Luiselli et al., (2024) und den dortigen Kommentar.
Für mein Dafürhalten fände ich es deshalb durchaus wichtig, sich nicht nur um diese stark gefährdeten Arten zu kümmern, sondern sich darum zu bemühen, wie man eventuell von invasiven Arten wissenschaftlich dazulernen kann, denn diese Arten etablieren ja gerade neue wildlebende Populationen, in für sie eigentlich fremden Habitaten. Dabei wäre es durchaus interessant zu erfahren, wie sie sich nicht nur, wie heute oft behauptet, geeignete Umweltbedingungen in für sie geografisch fremden Regionen zunutze machen, sondern wie auch sie sich verhaltensmäßig und physiologisch selbst an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Daraus ließe sich, wie ich finde vieles lernen.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2019): It has to be convenient! Aesthetics versus usefulness and objectives in animal maintenance: A comment to sound a note of caution to current developments. – Schildkröten im Fokus 16(3): 12-25 oder Artikel-Archiv.

Luiselli, L., O. Le Duc, T. P. Van, T. N. Xuan,Mp. B. Dang, G. Kuchling, B. Leprince, H.-T. Shi, L. Mccaskill & P. Giovacchini (2024): A threat analysis for the world's most threatened turtle (Rafetus swinhoei). – Journal for Nature Conservation 78(1): 126577 oder Abstract-Archiv.

Murali, G., T. Iwamura, S. Meiri & U.Roll (2023): Future temperature extremes threaten land vertebrates . – Nature 615(7952): 461-467 oder Abstract-Archiv.

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