Zierschildkröte, Chrysemys picta, im Gartenteich – © Hans-Jürgen Bidmon

Warner - 2012 - 01

Warner, D. A. & T. S. Mitchell (2012): Does maternal oviposition site influence offspring dispersal to suitable habitat? – Oecologia 172(3): 679-88.

Beeinflusst der durch die Mutter gewählte Nistplatz die Ausbreitung der Schlüpflinge in geeignete Habitate?

DOI: 10.1007/s00442-012-2533-3 ➚

Chrysemys picta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Zierschildkröte, Chrysemys picta,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Orientierung und Ausbreitung in geeignete Lebensräume haben einen Einfluss auf die Fitness vieler Tiere, aber die Faktoren, die für diese Verhaltensweisen bestimmend sind, sind kaum bekannt. Bei vielen Schildkröten müssen sich die Schlüpflinge dahingehend orientieren, dass sie möglichst schnell nach dem Schlupf aus ihren unterirdischen Nestern bewohnbare Gewässerhabitate finden. Idealerweise sollte der Platz des Nests in relativen Bezug zum aquatischen Habitat und in einer Beziehung zur Richtung gewählt sein, in der die Schlüpflinge wandern müssen. In unserem Untersuchungsgebiet legen die Zierschildkröten (Chrysemys picta) ihre Nester auf einer Insel westlich und am Festland östlich zur Wasserfläche an, was auch gleichzeitig die Richtung festlegt, in der die Schlüpflinge vom Nest abwandern müssten, um das Wohngewässer zu erreichen. Um festzustellen, ob die Schlüpflingsorientierung intrinsisch (instinktiv) durch den von der Mutter gewählten Ablageort beeinflusst ist, nutzten wir ein zweiteilig-überkreuztes Feldexperiment, wobei wir die Hälfte der Eier eines am Festland abgelegten Nests gegen die Hälfte der Eier eines Nestes austauschten, das auf der Insel abgelegt worden war. Da C. picta Schlüpflinge in ihrem Nest überwintern, gestalteten wir ein weiteres Experiment, um die Einflüsse der mütterlichen Auswahl und die des Nist- oder Entwicklungsorts der Embryonalentwicklung sowie der Überwinterungslokalität vollständig zu entkoppeln. Wir setzten Schlüpflinge in eine kreisrunde Arena im freien Feld und beobachteten, dass die Schlüpflinge unter dieser Bedingung generell eine westliche Orientierung bevorzugten und zwar unabhängig vom Nistplatz, dem Ort ihrer Embryonalentwicklung oder dem Ort des Überwinterungsplatzes. Obwohl sie diese westliche Orientierung hin zum aquatischen Habitat wählten, konnten wir nicht feststellen, ob die naiven Schlüpflinge zur Orientierung Umweltstimuli nutzten oder ob es sich dabei um die intrinsische (instinktive) Vorgabe handelt, sich bei fehlenden Umweltsignalen nach Westen hin zu orientieren. Unabhängig davon lässt sich aber feststellen, dass das Orientierungsverhalten von naiven Schlüpflingen während ihrer terrestrischen Wanderung unabhängig von dem von der Mutter gewählten Nistplatz erfolgt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Wenn man sich das ganze Geschehen vorstellt, so erscheint es wohl eher sinnvoll, dass die Mütter Nistplätze danach auswählen müssen, dass diese möglichst optimale Inkubationsbedingungen bieten. Dass diese automatisch auch innerhalb einer gewissen Zone zum aquatischen Habitat liegen, deutet sich dadurch an, dass auch die Weibchen während der Wanderung zum Nistplatz nicht so weit wandern können, dass sie dabei austrocknen, und diese Gefahr ist für große, erwachsene Individuen per se größer als für Schlüpflinge, die während ihrer Wanderung auch kleinräumige feuchte Verstecke ausnutzen können, insbesondere wenn es sich um Arten handelt, die im Nest überwintern und anschließend einen ganzen Frühling und Sommer Zeit haben, ein Gewässer zu finden. Unsere einheimische Emys orbicularis wandert ja oft mehr als einen Kilometer bis zum Nistplatz. Welche Umweltsignale die Schlüpflinge dann wirklich zur gezielten Gewässerfindung nutzen, ist ungewiss, aber es lässt sich vermuten, dass sie visuelle Stimuli sowie akustische Stimuli wie fließendes Wasser nur dann nutzen können, wenn sie schon dicht genug dran sind. Ich denke, da wir heute wissen, dass selbst Molche ihren Magnetsinn nutzen, um geeignete Laichgewässer zu finden (Schlegel 2008), sollte man diese Möglichkeit auch bei Schildkrötenschlüpflingen nicht ausschließen, und da Wasser (H2O) ein Dipol ist, sollte es vielleicht auch möglich sein, magnetisch die Fließrichtung des Bodenwassers oder Grundwassers zu detektieren (man denke an die Wünschelroutengänger oder die Fähigkeiten mancher Aborigines Wasser zu finden!). Allerdings wäre eine solche Magnetorientierung vermutlich bei der Verfolgung wandernder Schlüpflinge mittels Radiotelemetrie unmöglich, denn das am Körper getragene elektromagnetische Feld (Sender) stört sehr wahrscheinlich die anhand magnetisch wahrgenommener Signale und damit die Orientierung der Schlüpflinge. Das ist eben der Unterschied, denn bei semiadulten und adulten erfahren Tieren, die ihren Lebensraum kennen und die sowohl bekannte Gerüche, sichtbare Strukturen usw. zur Orientierung zu nutzen gelernt haben, kann man einen Sender mit Elektromagnetfeld anbringen, aber bei naiven Jungtieren, die vielleicht essentiell auf ihren Magnetsinn angewiesen sind, kann das sowohl verheerende Folgen für die Tiere haben, als auch zu gravierenden Fehlinterpretationen bei den beobachteten Befunden führen, da die Wissenschaftler dies nicht berücksichtigen können. Hier sind also noch innovative Methoden gefragt, um der Fragestellung wirklich näher zu kommen. Siehe auch Kommentar zu Paterson et al. (2012).

Literatur

Paterson, J. E., B. D. Steinberg & J. D. Litzgus (2012): Revealing a cryptic life-history stage: differences in habitat selection and survivorship between hatchlings of two turtle species at risk (Glyptemys insculpta and Emydoidea blandingii). – Wildlife Research 39(5): 408-418 oder Abstract-Archiv.

Schlegel, P. A. (2008): Magnetic and other non-visual orientation mechanisms in some cave and surface urodeles. – Journal of Ethology 26: 347-359.

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