Griechische Landschildkröte, Testudo hermanni boettgeri, Jungtiere – © Hans-Jürgen Bidmon

Vilardell-Bartino - 2015 - 01

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Vilardell-Bartino, A., X. Capalleras, J. Budo, R. Bosch & P. Pons (2015): Knowledge of habitat preferences applied to habitat management: the case of an endangered tortoise population. – Amphibia-Reptilia 36(1): 13-25.

Die Anwendung des Wissens über die Habitatpräferenzen im Habitatmanagement: Der Fall einer bedrohten Landschildkrötenpopulation.

DOI: 10.1163/15685381-00002971 ➚

Griechische Landschildkröte, Testudo hermanni boettgeri, – © Hans-Jürgen Bidmon
Griechische Landschildkröte,
Testudo hermanni boettgeri,
© Hans-Jürgen Bidmon

Um das mögliche Verschwinden der letzten natürlichen einheimischen Population der Westlichen Griechischen Landschildkröte auf der iberischen Halbinsel zu verhindern ist es notwendig, wirkungsvolle Managemententscheidungen zu treffen. Diesbezüglich sind die Erkenntnisse über die Makro- und Mikrohabitate und die Lebensraumgrößen (Home range) von essentieller Bedeutung für das Landmanagement. Mit diesem Ziel vor Augen untersuchten wir zuerst die Habitatpräferenzen und die Lebensraumgrößen für die Westliche Griechische Landschildkröte indem wir 15 adulte Exemplare wöchentlich mittels der Radiotelemetrie von März 2008 bis Mai 2009 in 3 Lokalitäten innerhalb der Albera-Population (nordöstliche Iberische Halbinsel) überwachten. Wir nahmen eine Lebensraumgrößenbestimmung nach der Fixed-Kernel-Abschätzung (FK) und eine nach der Minimum Convex Polygon (MCP)-Methode vor, nachdem wir die Standorttreue der Schildkröten überprüft hatten. Wir beobachteten dabei, dass die individuellen Lebensraumgrößen zwischen Weibchen und Männchen keine signifikanten Unterschiede aufwiesen (durchschnittlich FK = 2,01 Hektar, durchschnittlich MCP = 3,01 Hektar). Zum zweiten untersuchten wir die Makrohabitatauswahl unter Verwendung einer Vegetationskarte. Die bevorzugten Habitate bestanden während der Aktivitätszeit aus offenen Strauchbestand, offenen Waldflächen und Ödland (Brachflächen) und während der Überwinterungszeit aus dichtem Wald, dichtem Buschland und offenem Buschland. Als nächstes untersuchten wir die Mikrohabitatauswahl während der fünf Phasen im Jahreslebenszyklus: Hibernation, Auftauchen aus der Überwinterung, Frühling, Sommer und Herbst. Wir lokalisierten die markierten Schildkröten in wöchentlichem Abstand und klassifizierten die Pflanzenarten am jeweiligen Fundort. Die Hauptkomponentenanalyse zeigte, dass die Landschildkröten Strauch- und Baumbestand zur Überwinterung auswählten, Brombeer- und Kratzbeeren wählten sie während des Sommers und Kräuterbestand (Brachland) wählten sie während der Fortpflanzungszeit. Alle diese Ergebnisse liefern wichtige Richtlinien für das Managementprogramm, welches Flächen, die diese für die Art wichtigen Habitate enthalten müssen, um diese Population überlebensfähig zu halten. Zudem ist es wichtig Todesfälle, die durch Waldarbeiten verursacht werden, zu minimieren. Deshalb testeten wir noch zusätzlich einen neuen Messerkopf zum maschinellen Beschneiden von Büschen, um ein „schildkrötensicheres“ Bearbeiten der Flächen zu gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen verteilten wir 52 eingefrorene Landschildkrötenhybriden auf acht 100 m² Testflächen, und bearbeiteten sechs der Flächen mit dem neuen Schneidekopfaufsatz und zwei mit dem konventionellen Schneidekopf. Im Anschluss untersuchten wir die Panzerverletzungen, die durch die Schneidemesser verursacht worden waren. Wir fanden keine Beschädigungen auf den Flächen, die mit dem neuen Schneidekopfaufsatz bearbeitet worden waren, aber sehr viele Verletzungen bei den Flächen, die konventionell beschnitten worden waren, wobei die Verletzungen bei Jungtieren etwa 40 % ausmachten, während sie bei adulten bis zu 100 % reichten. Diese Ergebnisse verweisen auf die Wichtigkeit dieser unterstützenden Habitatmanagemententscheidungen, die in Abstimmung mit diesen essentiellen Feldstudien getroffen werden müssen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich ganz sicher um eine wesentliche Arbeit zum Habitatmanagement für Landschildkröten, die ähnliche Ergebnisse erbrachte wie vorhergehende Studien in anderen Regionen Europas, die verdeutlichen, dass diese Habitatvoraussetzungen eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzen. Hierbei zeigt sich allerdings auch, dass wir innerhalb des Landmanagements in Hinblick auf den Naturschutz bestimmte Prioritäten berücksichtigen müssen, denn Arten deren Bestand von dichter Bewaldung abhängig ist, kann man auf solchen Flächen nicht erhalten. Zudem zeigt sich, dass gute Landschildkrötenhabitate eigentlich von einer offenen Weidewirtschaft mit Ziegen und Schafen, die in diesen mediterranen Gegenden über Jahrhunderte praktiziert wurden, der Schlüssel für gute Landschildkröten- und Echsenhabitate war, die heute – wenn sie erhalten werden sollen – durch Landmanagementmaßnahmen erreicht werden müssen. Wahrscheinlich kann man sogar davon ausgehen, dass die Landschildkröten in diesen Gegenden sogar eine Hochzeit in Bezug auf ihre Verbreitung und Populationsdichte während der letzten 500 Jahre hatten, weil insbesondere der Segelschiffbau dafür sorgte, das einstmals geschlossene dichte Waldflächen abgeholzt wurden, die heute wieder aufzuwachsen beginnen. Zumindest dort wo die Beweidung der Flächen durch Kleinbauern ausbleibt (siehe auch Popgeorgiev et al. 2014, Berardo et al. 2015, Anadon et al. 2006, 2007). Aber an dieser Stelle möchte ich auf noch etwas aufmerksam machen. Nämlich das Töten von Hybriden, die hier zumindest noch einem guten Zweck als Testobjekte für einen neuen Schneidekopfaufsatz zugeführt wurden. Diese Schildkrötenschützer und „Artreinerhalter“ töten also Landschildkrötenhybriden, die nachweislich Nachkommen von Elterntieren sind, die beide Arten angehören, die in der Europäischen Union streng geschützt sind. Ja und das mit staatlicher Duldung oder gar Zustimmung. Genau dieses Problem wurde erst kürzlich in zwei zukunftsweisenden Arbeiten zur Art- und Biodiversitätserhaltung unter sich verändernden Umweltbedingungen diskutiert (siehe Hamilton & Miller 2015, Kelly & Phillips 2015 und die Kommentare dazu). Deshalb möchte ich hier ganz einfach mal die Frage stellen, ob dieses Vorgehen langfristig sinnvoll erscheint, oder ob es sich dabei nicht doch eher um eine subjektive Managementmaßnahme handelt, die langfristig und in Einklang mit den natürlichen Evolutionsabläufen eher als unsinnig einzustufen ist. Sicher kann man davon ausgehen, dass wie hier geschildert selbst die Überlebensfähigkeit der artreinen Population nur durch Management gesichert werden kann und es sich also letztendlich um gemanagte Tierhaltung im Freiland handelt. Wäre es da in Anbetracht des Aussterbensrisikos nicht eher sinnvoll, dass man vielleicht an einem andern Ort, wo die Schildkröten längst ausgestorben sind, solche Hybriden ansiedelt, denn auch damit sichert man das Überleben genetischer Vielfalt und letztendlich Biodiversität und wie die wissenschaftlichen Befunde zur Evolution und zu den Artbildungsprozessen für viele Arten (z. B. von Hold et al., 2016) einschließlich der Schildkröten zeigen. Hier geht es wirklich um Grundsatzfragen des Arten- und Biodiversitätsmanagement, denen wir uns nicht verschließen sollten, und die anderen Orts schon heute angesichts der Bedrohungsnotlage zu anderen Entscheidungen geführt haben (siehe Hennessy 2015 und den Kommentar dazu sowie die dort zitierte Literatur).

Literatur

Anadon, J.D., A. Gimenez, M. Martinez, J. Martinez, I. Perez & M. A. Esteve (2006): Factors determining the distribution of the spur-thighed tortoise Testudo graeca in south-east Spain: a hierarchical approach. – Ecography 29(3): 339-346 oder Abstract-Archiv.

Anadon, J. D., A. Gimenez, M. Martinez, J. A. Palazon & M. A. Esteve (2007): Assessing changes in habitat quality due to land use changes in the spur-thighed tortoise Testudo graeca using hierarchical predictive habitat models. – Diversity and Distributions 13(3): 324-331 oder Abstract-Archiv.

Berardo, F., M. L. Carranza, L. Frate, A. Stanisci & A. Loy (2015): Seasonal habitat preference by the flagship species Testudo hermanni: Implications for the conservation of coastal dunes. – Comptes Rendus Biologies 338(5): 343-350 oder Abstract-Archiv.

von Hold B. M., J. A. Cahill, Z. Fan, I. Gronau, J. Robinson, J. P. Pollinger, B. Shapiro, J. Wall & R. K. Wayne (2016): Whole-genome sequence analysis shows that two endemic species of North American wolf are admixtures of the coyote and gray wolf. – Science Advances 2: e1501714.

Hamilton, J. A. & J. M. Miller (2015): Adaptive introgression as a resource for management and genetic conservation in a changing climate. – Conservation Biology 30(1): 33-41 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.

Kelly, E. & B. L. Phillips (2015): Targeted gene flow for conservation. – Conservation Biology 30(2): 259-267 oder Abstract-Archiv.

Popgeorgiev, G., N. Tzankov, Y. Kornilev, D. Plachiyski, B. Naumov & A. Stoyanov (2014): Changes in Agri-environmental Practices Pose a Threat to the Herpetofauna: a Case Study from Besaparski Ridove Special Protection Area (Natura 2000), Southern Bulgaria. – Acta Zoologica Bulgarica (5): 157-169 oder Abstract-Archiv.

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